Auf Court 1 herrschte Festtagsstimmung, als der Sandplatzkönig bei strahlendem Sonnenschein und im himmelblauen Muskel-Shirt zur Tat schritt. Rafael Nadal wurde in der "Stierkampfarena", wie der drittgrößte Court von Roland Garros genannt wird, lautstark begrüßt. Was nicht nur daran lag, dass der Samstag traditionell der "Kids Day" ist.
Der spanische Superstar trainierte rund anderthalb Stunden hochkonzentriert mit dem Franzosen Lucas Pouille. Und das getrieben von einem ganz großen Ziel, einer ganz großen Zahl: "La Decima".
Bei den am Sonntag beginnenden French Open (bis 11. Juni) will Nadal seinen zehnten Paris-Titel holen - seinen ersten an der Seine seit 2014. Es wäre eine historische Leistung, denn in der Open Era seit 1968 war es noch keinem Profi gelungen, ein Grand-Slam-Turnier so oft zu gewinnen. Derzeit teilt sich Nadal den Rekord mit Martina Navratilova. Die gebürtige Tschechin triumphierte in Wimbledon zwischen 1978 und 1990 insgesamt neunmal.
"Rafa ist der Topfavorit"
Die Konkurrenz jedenfalls rechnet fest mit einem Nadal in Galaform, der in Paris eine einzigartige Matchbilanz von 72:2 Siegen vorzuweisen hat. "Rafa ist definitiv der Topfavorit. Er spielt momentan sehr selbstbewusst und viel besser als in der letzten Saison", sagte Titelverteidiger Novak Djokovic (Serbien/Nr. 2) über den an Position vier gesetzten Nadal, auf den er erst im Halbfinale treffen könnte.
Für Boris Becker ist Nadal ohnehin schon jetzt der beste Sandplatzspieler aller Zeiten. "Um das zu sein, muss er Roland Garros nicht noch mal gewinnen", sagte Becker dem SID und meinte über die sportliche Wiedergeburt des Linkshänders: "Es ist sagenhaft, was für einen Leistungssprung Rafael in den letzten sechs Monaten gemacht hat."
"La Decima" unterm Eiffelturm käme für Nadal, der am kommenden Samstag (3. Juni) 31 Jahre alt wird, einer Erlösung gleich. Im vergangenen Jahr hatte er wegen einer Handgelenksblessur nicht zu seinem Drittrunden-Match antreten können. Und das bei "seinem" Turnier, in seinem Reich, auf der geliebten "Terre Battue", die so etwas zu sein scheint wie der natürliche Lebensraum der früheren Nummer eins.
Auf der Rückfahrt ins Hotel saß der 14-malige Majorsieger damals weinend im Taxi. Kein Wunder, dass Nadal trotz seiner jüngsten Titel auf den Sandplätzen von Monte Carlo, Madrid und Barcelona diesmal mit Prognosen vorsichtig ist: "Ich kam im letzten Jahr mit positiven Gefühlen. Ich hoffe, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt", meinte Nadal, der wegen einer chronischen Knieentzündung schon um seine Karriere hatte bangen müssen.
Druck wegschieben
Die Renaissance ist dem Australian-Open-Finalisten Nadal ebenso wie seinem Dauerrivalen Roger Federer (Schweiz) geglückt. Unter Druck will sich der Spanier aber trotzdem nicht setzen lassen. "Mir ist egal, ob ich ein Kandidat auf den Titel bin. Ich habe nur eine Chance: Wenn ich gut spiele, gesund bin und jedes Training und Match mit der richtigen Einstellung angehe", sagte der 29-Jährige der Weltpresse.
Nadal will auch ein bisschen für Onkel Toni gewinnen, seinen Coach seit frühster Kindheit. Der 57-Jährige wird ihn nur noch in dieser Saison betreuen.
"Unser Verhältnis war immer exzellent, es gab nie Krisen", sagte Toni Nadal, von dem Rafa als kleiner Junge dachte, er habe magische Kräfte. Ob diese für Nadals "La Decima" nötig sein werden? Nach dem derzeitigen Stand der Dinge eher nicht.