Er kann gar nicht anders. Er muss und will immer 100 Prozent geben. Und wenn er auf einem der großen Centre Courts umherwirbelt, dann erlebt man ihn auch in dieser Pose, in seiner Paraderolle: Als Schwerstarbeiter, der jeden einzelnen Punkt spielt, als wäre es der Letzte in seinem Leben. Der fightet bis zum Umfallen.
"Ich kenne keine Kompromisse. Ich spiele immer am Limit", sagt Dominic Thiem, der 24-jährige Niederösterreicher. Früh hat er sich in der Weltspitze etabliert, vor allen anderen aus der Generation zwischen 20 und 25 im Welttennis - und auch bei den French Open spielt er nun schon im dritten Jahr hintereinander eine gewichtige, tragende Rolle.
Am Dienstag könnte der glühende Kämpfer aus Österreich nun auch zum French-Open-Spielverderber für seinen Freund Alexander Zverev (21) werden, im Viertelfinale treffen die Kumpel mal wieder aufeinander. Es könnte das bisher prickelndste, spannungsgeladenste Match bei diesem Championat werden, obwohl Zverev sich schon bisher als Spezialist für allerlei Drama und Aufregung über die volle Distanz von fünf Sätzen erwiesen hat - mit drei Aufholjagden nach 1:2-Defizit.
"Er müsste eigentlich etwas müde sein", sagt Thiem. Aber der Konjunktiv verrät den Respekt vor dem geschätzten Weggefährten: Wer weiß schon, welche Reserven dieser Zverev noch mobilisieren kann im Zieleinlauf des Grand-Slam-Spektakels, welche Drehungen und Wendungen er in seinen Matches abermals zu inszenieren vermag. "Ich bin auf alles gefasst bei ihm", sagt Thiem.
Dominic Thiem letzter Sieger gegen Rafael Nadal
Aber das gilt umgekehrt natürlich und selbstverständlich auch für Zverev. Denn gerade im roten Sand von Paris fühlt sich Thiem auf vertrautem Erfolgsterrain. Immerhin hat er als einziger Spieler den ganz Großen und Etablierten in den beiden letzten Jahren die Stirn geboten, 2016 und 2017 stand er jeweils im Halbfinale, vor zwölf Monaten verlor er schließlich erst gegen Dauer-Champion Rafael Nadal.
Doch selbst ihm, dem mallorquinischen Matador, konnte er anderswo Angst und Schrecken einjagen. Vor gut drei Wochen bezwang er Nadal zum zweiten Mal grandios auf Sand, prestigeträchtiger hätte dieser Sieg kaum sein können, beim Masters in Madrid. Im Finale verlor er dann aber gegen Zverev, unerwartet deutlich in zwei Sätzen.
Thiem schafft gegen Nadal - und nicht nur gegen ihn - das Kunststück, noch ein gutes Stück härter und dynamischer als der Gegner auf den Ball zu prügeln. Als er den zehnmaligen French-Open-Champion 2016 in Rom schlug, waren seine Bälle durchschnittlich 20 Stundenkilometer schneller als die von Nadal.
Thiem ist eben kein Fall fürs Ästhetische, fürs Filigrane, sondern für Power mit Präzision. Letztlich hat er sich so auch seinen Namen gemacht im Wanderzirkus: Immer mit Wucht und Kraft, geradezu mit Urgewalt betreibt er seine Missionen. "Volle Post" ist der prägende Begriff für das Lebenswerk, das Thiem und sein Manager und Trainer Günter Bresnik entwickelt haben.
In einem Vorwort zu Bresniks Buch "Die Dominic-Thiem-Methode. Erfolg gegen jede Regel" schrieb Thiem dazu: "Volle Post! Das hieß: Auf jeden Ball mit ganzer Kraft draufdreschen. Stundenlang."
Coach Günter Bresnik sagt: "Wir arbeiten mehr, richtig und gescheit"
Thiem ist gern den langen, schweren Weg mit Bresnik gegangen - dem Mann, der vor einem Vierteljahrhundert auch einmal in Diensten von Boris Becker stand. Dass er schon einmal auf Platz 4 der Weltrangliste auftauchte und es regelmäßig mit den besten Sandplatzwühlern der Welt aufnahm, verdankt er nach eigener Einschätzung dem massiven Übungsprogramm, dem er sich auf Weisung Bresniks unterwarf.
"Ich habe mehr gemacht als 99 Prozent der anderen Spieler", sagt Thiem, "ich habe mein Leben dem Tennis untergeordnet, seit ich zu Günter gewechselt bin." Das war mit zwölf Jahren, und von da an ging es auch immer weiter bergauf für den Wiener.
Und für Coach Bresnik, der das Motto für die sportliche Partnerschaft so vorgegeben hatte: "Wir arbeiten mehr. Und wir arbeiten richtig, gescheit. Nur so kann Gutes entstehen." Für Thiem ist Bresnik ein ähnlich väterlicher Begleiter, wie es für Zverev der eigentliche Papa ist - Alexander senior.
Thiem hat bisher recht entspannte Tage bei diesen French Open verlebt. Er hat es nicht weit bis zur Turnieranlage im Westen von Paris, er wohnt bei seiner Freundin, der französischen Profispielerin Kiki Mladenovic, er hat keinen Stress in Shuttleautos, im ewigen Stautheater der Kapitale. Auch bei der Arbeit im roten Sand hielt sich der Aufwand noch in Grenzen, zwar musste der Lichtenwörther schon drei Mal über vier Sätze rackern, aber in ähnliche Bredouille wie Freund Zverev geriet er nie. Er hat gute zwei Stunden weniger gespielt als Zverev.
Thiem geht mit Respekt, aber auch mit einem ordentlichen Stück Selbstbewusstsein in das große Match. Auch weil er weiß, dass er seine überragende Physis am ehesten in jener Phase der Saison ausspielen kann, die von Rutschübungen im roten Sand geprägt ist. "Wenn du weißt, dass du auch nach vielen Stunden noch den Extraweg gehen kannst, ist das einfach ein gutes Gefühl", sagt Thiem, "das schafft Sicherheit."