Zunächst mal: Konnte man Halep in ihren bisherigen Major-Finals einen Vorwurf machen? Kaum. Bei den French Open 2014 verlor sie in engen drei Sätzen gegen Maria Sharapova, im Vorjahr in Paris traf Jelena Ostapenko nach Haleps 6:4, 3:0-Führung alles (Halep wurde aber auch zu defensiv), bei den Australian Open in diesem Jahr war sie am Ende platt - die Nachwirkung des Halbfinal-Dramas gegen Angie Kerber.
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Viele Profis flüchten sich nach bitteren Niederlagen in Plattitüden. Halep nicht - sie erzählte oft, wie lange sie gebraucht habe, die Ostapenko-Niederlage zu verkraften, sie sprach über ihre Alpträume und über Besuche bei einem Sportpsychologen. Halep verzichtete auf die Aussage, auch ohne Major-Titel eine tolle Karriere zu haben. Ihr Ziel für 2018 war, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, das gab sie offen aus.
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Hatte sie womöglich aus der Wawrinka-Schule geschöpft? Der Schweizer ließ sich nach zu vielen Enttäuschungen den berühmten Satz von Literatur-Nobelpreisträger Samuel Beckett auf den Arm tätowieren: "Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser." Wawrinka zeigt nach wichtigen Siegen gerne mit dem Zeigefinger in Richtung Kopf, um seine neu gelernte Einstellung zu untermauern. Halep tat dies nach ihrem Sieg über Kerber ebenso. Sie wollte in Paris "besser scheitern".
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Gegen Stephens ging sie als Weltranglistenerste als Favoritin ins Match, dazu mit einer 5:2-Führung im direkten Vergleich. Aber auch mit dem Wissen, dass Stephens eine abgezockte Finalspielerin ist: Sechs Mal stand die US-Open-Siegerin 2017 in einem Endspiel, sechs Mal gewann sie. Und auch im Paris-Finale spielte Stephens furchtlos, Halep hingegen begann nervös.
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Es war von Beginn ein hochklassiges Endspiel: Stephens spielte ohne Schwäche, und Halep lag trotz gutem Tennis mit 3:6, 0:2 zurück. Halep hätte es sich einfach machen können, eine Niederlage wäre gut mit Stephens starkem Auftritt erklärbar gewesen. Liegt man gegen einen stark auftrumpfenden Gegner zurück, bleibt einem oft die Haltung, dranzubleiben und auf einen Einbruch zu warten. Halep blieb dran, aber veränderte auch ihre Spielrichtung, spielte mit mehr Bogen, ging zum richtigen Zeitpunkt mehr Risiko. "Und ich habe aufgehört, Fehler zu machen - das ist mir über die zwei Wochen am besten gelungen", sagte sie.
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Haleps Stärke: Sie ist körperlich vielleicht die Beste der Welt - und das weiß sie. Stephens hingegen mag eine grandiose Defensivkünstlerin und Ballstrikerin sein, aber austrainiert ist sie nicht. Auch Halep war klar: Wenn es über die volle Distanz geht, wird sie fitter sein. Halep wusste: Sie kann ihre Taktik ändern, mehr über's Körperliche gehen. Und das hat sie getan.
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Halep drehte das Match mit tollem Tennis - und einer großartigen Körpersprache: Sie gab sich zwar die Faust, aber blieb ruhig. Auch als sie Ende von Durchgang zwei und in Satz drei wichtige und spektakuläre Ballwechsel gewann, drehte sich nicht durch, sondern blieb völlig bei sich.
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Beim 5:1 in Satz drei ging es um alles: Aufschlag zum Matchgewinn, zum ersten Grand-Slam-Titel. Und wie spielte Halep die letzten Punkte? Weiter offensiv, ohne auf Fehler von Stephens zu warten. Halep wollte selbst gewinnen und zimmerte fünf erste Aufschläge ins Feld, unter anderem ihr erstes Ass der Begegnung. "Beim 5:0 habe ich mir gesagt: Jetzt muss ich es mir holen und nicht auf ihre Fehler warten." So spielt ein Champion ein Match zu Ende!
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"Als ich zurückgelegen bin, dachte ich: Alles egal, jetzt kann ich mich entspannen." Das sagte Halep nach Matchende und erklärte so ihre Steigerung ab Satz zwei. Dieser Gedankengang ist gut: Halep hätte in Selbstmitleid versinken, über Stephens' starken Auftritt verzweifeln, in eine negative Denkspirale verfallen können. Halep befreite sich auf positive Art - mit Erfolg. Sie war heute spielerisch, körperlich UND mental stark!
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Aus Niederlagen lernt man - eine alte (und abgedroschene) Weisheit. Halep hat gelernt. "Letztes Jahr war ich zu defensiv, diesmal nicht", sagte sie. Und: "Heute Nacht habe ich gut geschlafen, im letzten Jahr vor dem Finale gar nicht." Und noch mal: "Im Vorjahr habe ich mit Satz und Break geführt und habe verloren. In diesem war ich einen Satz und ein Break hinten - und daran geglaubt, dass ich gewinne."
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"Von diesem Moment habe ich geträumt, als ich angefangen habe, Tennis zu spielen", sagte Halep in der Pressekonferenz - ein Grand-Slam-Titel, speziell bei den French Open war ihr Kindheitstraum. Halep hat ihn nie aufgegeben und endlich erreicht - und das völlig verdient!
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Halep hat in der Vergangenheit viele Matches zu schnell abgegeben. Nach ihrem 4:6, 0:6-Viertelfinal-Aus gegen Ekaterina Makarova in Melbourne 2015 gab sie die Devise aus, ein "Fighter Girl" werden zu wollen und nichts mehr abzuschenken. Wort gehalten hat sie nicht, die erfolglose Ansprache von Coach Darren Cahill in Miami im Vorjahr wurde zum Internet-Renner und Cahill trennte sich im Anschluss kurzzeitig von seinem Schützling. An ihr Versprechen, mehr an sich und ihrer oft zu negativen Einstellung zu arbeiten, erinnerte sie sich auch weiterhin nicht immer, im Cincinnati-Finale 2017 gegen Garbine Muguruza drosch sie die letzten vier Bälle frustriert in die Prärie. Dennoch: Der Weg ist das Ziel - und Halep hat am Samstag ihr Meisterstück abgeliefert. Sie darf sich nun zurecht "Fighter Girl" nennen.