Als Philipp Kohlschreiber am Samstagnachmittag im schmucklosen Interviewraum Drei des Billie-Jean-King-Tenniscenters saß, ließ er zum Abschluß der munteren Plauderrunde noch schnell ein Lichtlein der Hoffnung für sich selbst aufscheinen. Was er brauche, um endlich einmal Roger Federer (36) zu schlagen, wurde Kohlschreiber gefragt: "Einen Monstertag, nicht mehr und nicht weniger", sagte der Deutsche da, "aber so einen Tag habe ich auch drauf."
Am Montag, im Achtelfinale der US Open, ist er zum insgesamt zwölften Mal in seiner Karriere mit Federer verabredet, der Größte aller Zeiten ist ein guter Freund Kohlschreibers, aber er ist auch der ewige Spielverderber für ihn. Überall auf der Welt, auch schon früher in New York, oft in Wimbledon und im ostwestfälischen Halle.
Wohl wenig Unterstützung in New York
Elf Spiele bisher, elf Niederlagen, 0:11, es ist eine vernichtende Bilanz, ein Zeugnis, das einen in Depressionen stürzen könnte. Aber Kohlschreiber, in überzeugender Form bisher bei diesen Amerikanischen Meisterschaften des Jahres 2017, kennt kein Verzagen, keine Angst und keine lähmenden Zweifel, jedenfalls nicht öffentlich: "Es sind die Spiele, für die man als Profi lebt. Da will man sein Herz auf dem Platz lassen, alles raushauen", sagt der 33-jährige tapfer. Dass er bei der größten Herausforderung überhaupt in seinem Job auf wenig Unterstützung in der größten Tennisarena der Welt rechnen kann, im Arthur-Ashe-Stadion, ist ihm auch klar: "23.900 Zuschauer werden für Roger sein, 100 vielleicht für mich. Aber das ist normal bei seinen Matches."
Er wolle sich Federers Match am Abend im Fernsehen anschauen, "ganz gemütlich und entspannt", hatte Kohlschreiber nach seinem eigenen Drei-Satz-Sieg der dritten Runde gegen den Australier John Millmann gesagt. Was er dabei zu sehen bekam, konnte ihm einerseits nicht gefallen haben, denn beim brillanten Auftritt in der Spätvorstellung gegen den Spanier Feliciano Lopez schaltete Federer nach dem lahmen, stotternden Turnierstart plötzlich zwei, drei Gänge höher. Doch Kohlschreiber wusste nach der nur 106 Minuten dauernden Abendshow des Schweizers gleichzeitig auch genau, wie es inzwischen um Federer steht. Der balancierte nicht mehr rätselhaft am Abgrund des frühen Scheiterns herum, sondern präsentierte sich in Titelform.
Aber Kohlschreiber geht zweifellos gut gerüstet in das Duell, das ein Dutzend Rendezvous´ mit Federer vollmacht. Nach den schwachen Auftaktmonaten in dieser Saison hat sich der Bayer wieder konsolidiert und spielt nun wieder mit mehr Mumm und Moral. "Die Leidenschaft ist zurück bei ihm", sagt sein neuer Trainer, der Österreicher Markus Hipfl, "er hat richtig Spaß am Tennis, am Fighten. Und er lässt sich nicht mehr hängen in den Matches." So verkraftete Kohlschreiber auch den Unglücksmoment vom Hamburger Rothenbaum, als er Ende Juli im Halbfinale gegen Florian Mayer wegen einer Verletzung aufgeben musste. Direkt darauf gewann er das Turnier in Kitzbühel, pausierte danach - und hinterlässt jetzt bei den US Open einen frischen, aufgeräumten Eindruck. Und zwar auch unüberhörbar, wie Kohlschreiber selbst ironisch zu Protokoll gab: "Ich rede jetzt auch wieder zuviel."
"Allen Grund, an Chance zu glauben"
Federer, der Kumpel, der ihn schon häufig zu Trainingswochen einlud, ist nun also wieder im Weg. Er muss keine unüberwindliche Hürde sein für Kohlschreiber, findet Boris Becker: "Ich traue Philipp einiges zu gegen Roger", sagt der neue Oberaufseher des deutschen Männertennis, "er spielt bisher ein tolles Turnier, ist absolut auf der Höhe des Geschehens. Er hat allen Grund, an seine Chance zu glauben." Kohlschreiber will das Spiel "natürlich genießen", aber als Sieger, als Partyschreck, als Mann, der das märchenhafte Grand Slam-Jahr Federers dann auch beendet: "Man muss eine gewisse Lockerheit mit auf den Platz bringen, aber auch unheimlich solide spielen. So dass er sich gar nicht entfalten und wohlfühlen kann", sagt Kohlschreiber.
Viel Zeit wird Kohlschreiber nicht mehr haben, um sich einen der offen gebliebenen Wünsche als Berufsspieler zu erfüllen. Einen Sieg gegen Federer, gegen den Mächtigen, oft Übermächtigen. Allen anderen aus der Gruppe der Tennis-Superhelden hat Kohlschreiber schon mal einen Streich gespielt, er hat gegen Matador Rafael Nadal genauso wie gegen Novak Djokovic gewonnen. Er schlug auch schon Andy Murray und Stan Wawrinka. Nur eben nicht Federer. Vor zwei Jahren war er in Halle einmal ganz dicht dran, im entscheidenden Tiebreak des dritten Satzes führte er schon 5:3 - und verlor doch. "Wenn du denkst, du hast ihn, entwischt er dir doch noch", sagt Kohlschreiber, "er ist halt Roger Federer."