Als Alexander Zverev letzte Woche in Cincinnati auf Ivan Lendl angesprochen wurde, war er voll des Lobes für den ehemaligen Weltstar. Lendl sei jemand, "der weiß, wie man auf jedem Level dieses Sports gewinnt", erklärte Zverev generös, "er ist definitiv einer, der einem richtig helfen kann." Allerdings gebe es derzeit keine Pläne für einen Trainerwechsel, so Zverev, "ich denke, dass Ivan aber in der Zukunft eine Hilfe sein kann."
"Willkommen im Team", Ivan Lendl !!!
Nun ist die Zukunft schon da. Im Hier und Jetzt, direkt vor den US Open. Am Mittwochabend nämlich lancierte Zverev über das Internet-Portal "Instagram" ein neues Gruppenfoto seiner Betreuungsmannschaft, auf dem neben den üblichen und bekannten Verdächtigen - Vater Alexander Zverev, Physiotherapeut Hugo Gavril und Fitnesscoach Jez Green - auch ein ausnahmsweise dezent lächelnder Ivan Lendl abgebildet war.
"Willkommen im Team" lautete die kurze Botschaft unter dem Bildchen, das vor der größten Tennisarena der Welt aufgenommen wurde - dem Arthur Ashe-Stadion in Flushing Meadow, Dort, am Schauplatz der US Open, wird sich ab kommendem Montag dann auch die erste Bewährungsprobe für Zverev und seinen neuen, berühmten Mentor abspielen, beim letzten Grand Slam-Spektakel der Saison.
Lendl lobt Zverevs "einzigartige Fähigkeiten und ein großartiges Arbeitsethos"
"Sascha hat einzigartige Fähigkeiten und ein großartiges Arbeitsethos. Ich freue mich, ihm zu helfen, seine Ziele zu erreichen", sagte Lendl in einem ersten Statement, das er über seinen langjährigen Agenten Jerry Salomon verbreiten ließ.
Zverev und Lendl - diese Allianz kommt nicht ganz überraschend nach einem monatelangen Spekulationstheater an der Transferbörse des Welttennis, nach diskreten Trainingseinheiten des deutschen Ausnahmetalents mit dem ehemaligen Großmeister bereits in Florida.
Die Aufgabe von Ivan, dem Schrecklichen, erinnert an seinen Job bei Murray
Lendl passt ins Anforderungsprofil, das für den komplizierten Charakter Zverev gilt, für einen Hochbegabten, der oft noch Schwierigkeiten hat, seine Talente gewinnbringend auf den allergrößten Bühnen einzusetzen. Und der, bei aller Professionalität in der Trainingsarbeit, nicht selten durch eigene Undiszipliniertheiten auf den Centre Courts das Mögliche in Spitzenmatches unmöglich macht.
Lendls Aufgabe erinnert an dessen ersten großen Job als Tenniscoach - bei einem gewissen Andy Murray. Dem britischen Superstar gewöhnte der bärbeißige Amerikaner mit tschechischen Wurzeln die zuweilen selbstzerstörerische Attitüde in Topduellen ab, das ewige Lamentieren, die aufbrausenden, hitzköpfigen Tiraden. An Lendls Seite wurde Murray zum Grand Slam-Champion, 2013 beendete der Schotte so auch die ewige heimische Titeldürre in Wimbledon, 77 Jahre nach dem letzten Sieg von Fred Perry im Grand Slam-Heiligtum.
Genaue Jobdefinition des Neuen im "Team Zverev" steht noch aus
Wie genau Lendls Job nun definiert ist, steht nach dem Ende der wochenlangen Geheimniskrämerei und der gelegentlich albernen Versteckspielchen noch nicht fest. Der 58-jährige Weltstar, in den 80er Jahren gern als "Ivan, der Schreckliche" gehandelt, wird vermutlich als zusätzliche Kraft das Team Zverev bereichern, nicht als Ersatz von Trainervater Alexander.
Lendl hatte sich nach zwei Einsätzen bei Murray wieder vom Profitennis zurückgezogen und zwischenzeitlich auch Anfragen von Spitzenspielern abgelehnt, darunter auch eine Offerte des tschechischen Asses Tomas Berdych. Hinter dem Engagement Lendls dürfte als treibende Figur vor allem Zverevs Manager Patricio Apey stehen - der Chilene könnte speziell nach den schwierigen Sommerwochen seines Klienten akuten Handlungsbedarf gesehen haben.
Lendl redet intern bevorzugt Klartext
Zverev hatte sich in Wimbledon mit Schieds- und Linienrichtern angelegt und jüngst auch mit einer Tirade nach dem verlorenen Kanada-Mastersfinale unfreiwillig für Aufsehen und Kopfschütteln gesorgt. Das Finalspiel sei "erbärmlich" gewesen, so Zverev, auch der Sieger Tsitsipas habe "nicht gut gespielt."
Bisher hatte Zverev kein wirkliches Korrektiv in der eigenen Tennisfirma, keinen, der ihm sagte, dass er gegen diese oder jene Branchenetikette verstieß - auch nicht Vater Alexander. Von Lendl ist solche Duldsamkeit oder Toleranz nicht bekannt. Der oft so mürrisch dreinblickende Anti-Star, öffentlich um jedes Wort verlegen, redet intern bevorzugt Klartext. Auch oder gerade, wenn´s weh tut. Zverev wird sich daran gewöhnen müssen, wenn er Fortschritte erzielen will.
Das Experiment mit Lendl birgt auch Gefahren - für beide Seiten
Fortschritt - das heißt in seinem Fall: Bessere Ergebnisse bei den Grand Slams. Besseres Matchmanagement, besser als zuletzt bei den Majors, als er in den Auftaktrunden unnötige Energien verschleuderte. Und eben bessere Selbstbeherrschung, Konzentration aufs Wesentliche.
Der Spanier Juan Carlos Ferrero war mit dieser Mission bei Zverev gescheitert, im Frühjahr wurden ihm die Trennungspapiere überreicht. Es kam danach zu einer kleinen bis mittleren Schlammschlacht, Ferrero rief dem jungen Deutschen nach, er habe nicht mehr auf ihn hören wollen, er habe es auch oft am korrekten Umgang fehlen lassen. War es ein Akzeptanzproblem, weil Ferrero nicht zu ganz großen Namen zählte - zu den Supercoaches, die einst die Szene beherrschten, mit Edberg bei Federer, mit Becker bei Djokovic, mit Lendl auch bei Murray? Ganz abwegig ist die Vermutung nicht.
Nun, wo die Ära der großen Ehemaligen bei den Stars von Heute beinahe vorbei schien, tritt Lendl also noch einmal zur Arbeit an. Es ist ein riskantes Experiment. Für den Mann, der einst ein neues Profiethos in seinen Sport brachte, als harter, unerbittlicher Schwerstarbeiter vor drei Jahrzehnten. Und für Zverev. Ein Scheitern mit Lendl, ein krachendes Scheitern sogar, es würde vor allem ihm als Niederlage ausgelegt. Und als wenig hoffnungsvolles Zeichen für seine ganze Karriere.