Muster an Beharrungskraft: Holt del Potro noch einen Major-Titel?

Juan Martin del Potro
© getty

Die Sehnsucht nach einem anderen Titel-Helden bei den Grand Slams hat einen Namen: Für Juan Martin del Potro wäre es nach Horror-Jahren die Krönung seines Comebacks.

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Als Juan Martin del Potro vor neun Jahren in einer magischen Tennisnacht die lange Siegesserie von Roger Federer beendete, schien auch die Macht-Architektur im Tenniszirkus ins Wanken zu geraten. Del Potro, genannt "El Palito" ("Die Bohnenstange"), wirkte wie einer, der die Dominanz der Titanen brechen konnte - mit seinen Hochgeschwindigkeits-Schlägen, mit seiner Leidenschaftlichkeit, mit guten Nerven in der Hitze der Duelle. Del Potros Karriere war mehr als geradlinig verlaufen bis zu jenem traumhaften Moment, er war nacheinander der jüngste Profi in den Top 100, den Top 50, den Top Ten und dann auch in den Top 5.

Delpo endlich verletzungsfrei

Doch ausgerechnet nach der geglückten Gipfelbesteigung im Big Apple begann das jahrelange Leiden des "Turm von Tandil", des zerbrechlichen 198-Zentimeter-Riesen mit dem großen Herz und dem schwer verletzunganfälligen Körper: "Ich habe echte Horrorjahre hinter mir", sagt del Potro, "ich war nicht weit davon entfernt, mit dem Tennis aufzuhören." Allein drei Handgelenksoperationen hatte del Potro zu überstehen, immer wieder wurde er zurückgeworfen in seinen Anstrengungen, immer wieder musste er mühselige Comebacks in Angriff nehmen. Nun aber, im Jahr 2018, eine kleine Ewigkeit nach seinem ersten und einzigen Grand-Slam-Coup, scheint der Hochbegabte mit dem harten Punch wieder in der Lage zu sein, für richtig Aufruhr unter dem Grand-Slam-Establishment zu sorgen.

Endlich verletzungsfrei, endlich ohne Ängste und Zweifel über seine Wettbewerbstauglichkeit, rauscht der zupackende Argentinier bei den US Open wie selbstverständlich durch die Turnierrunden - auch am Sonntag geriet der Publikumsliebling beim glatten Drei-Satz-Sieg über den jugendlichen Herausforderer Borna Coric (Kroatien) nie in Gefahr. "Hochzufrieden" sei er mit dem bisherigen Turnierverlauf, gab der 29-jährige zu Protokoll: "Ich habe auch noch genug Energie im Tank für das, was kommt." Wer kommt, ist zunächst John Isner, der körperlich noch etwas größere 208-Zentimeter-Aufschlaggigant, der gerade seine beste Zeit im Proficircuit erlebt. Der aber im Normalfall nicht über genügend Tennis-Ressourcen verfügen sollte, um del Potro zu stürzen.

Schon im Vorjahr hatte del Potro für Aufsehen in der Stadt gesorgt, in der einst sein Stern am Tennishimmel aufzugehen schien. Gegen Österreichs Ass Dominic Thiem drehte und wendete er eine völlig verrückte Partie nach 0:2-Satzrückstand und 2:5- und 0:30-Defizit im vierten Durchgang noch zu seinen Gunsten, lieferte dabei ein Meisterwerk an Beharrungskraft, Willensstärke und Trotzigkeit ab. Auch gegen Maestro Roger Federer ging del Potro, dieser Sisyphos der Tenniswelt, anschließend an seine Grenzen, gewann in vier umkämpften Sätzen - und schied dann ermattet im Halbfinale gegen Matador Nadal aus. Der Spanier gewann schließlich auch das Turnier, wieder einmal einer aus der schier unantastbaren Führungselite.

"Wer würde ihm diesen Sieg hier nicht gönnen?"

So sehr die Renaissance der alten Titanen Federer und Nadal zuletzt begeisterte, so sehr auch das strahlende Comeback des vorübergehend kriselnden Novak Djokovic imponierte - es gibt bei vielen in der Branche und bei Fans auch eine keineswegs klammheimliche Sehnsucht nach anderen Titel-Helden, nach Abwechslung in der Kür der Grand-Slam-Champions. Und keiner verkörpert diese Sehnsucht mehr als der so lange leidende del Potro, der vor zwei Jahren seinen größten Coup neben dem US Open-Sieg 2009 gelandet hatte - die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Rio. "Wer würde ihm diesen Sieg hier nicht gönnen", sagt Schwedens Altmeister Mats Wilander, "er hätte es ohne Zweifel auch verdient, noch mal ganz oben auf dem Podium zu stehen."

Anders als vor einem Jahr hat del Potro für den heißen Grand-Slam-Endspurt noch Kräfte konservieren können. Bisher hat er noch keinen Satz verloren, auch gegen Isner dürfte es keine lange Abnutzungsschlacht geben. Im Halbfinale könnte es dann zu einer Neuauflage des elektrisierenden Duells mit Nadal kommen, dem Führenden in der Weltrangliste, dem vielleicht formstärksten Spieler im Hier und Jetzt. "Wenn ich noch mal einen Grand-Slam-Titel gewinnen würde, wäre es der größte Moment meiner Karriere", sagt del Potro, "nach all dem, was ich hinter mir habe."

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