Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon
Spätabends, in der Plauderrunde der BBC auf dem Dach des Wimbledon-Fernsehzentrums, schickte John McEnroe eine mehr als dezente Warnung an den Titelverteidiger heraus. "Gegen Dustin Brown muss Andy Murray einen guten Tag haben, um durchzukommen. Vielleicht sogar einen extrem guten Tag", sagte McEnroe in der TV-Show "Today at Wimbledon" - mit Blick auf das deutsch-schottische Zweitrundenduell am Mittwoch auf der Hauptwiese in Londons Südwesten.
Der Amerikaner hat in Tennisangelegenheiten ein phänomenal gutes Gedächtnis, er weiß, was dieser eigenwillige Deutsche mit den hüftlangen Rasta-Zöpfen in gewissen Stunden auf den Court zaubern kann, speziell in Wimbledon. "Brown kann dich verrückt machen mit seinem Spiel", so McEnroe, "Rafael Nadal kann ein Liedchen davon singen."
Schillerndes Unikat
Tatsächlich läuft Brown, dieser etwas andere Weltenbummler im Wanderzirkus, gern zu außergewöhnlicher Form auf, wenn die Karawane der Profis an der berühmten Church Road ihre Zelte aufschlägt. Spätestens seit der 32-Jährige aus Winsen an der Aller vor ziemlich genau zwei Jahren den zweimaligen Champion Nadal in einer fabelhaften Centre-Court-Show heim nach Mallorca schickte, ist Brown eine kleine Berühmtheit im All England Lawn Tennis and Croquet Club - eine schillernde Figur, ein Liebling des Publikums und gefragter Gesprächspartner der Medien. "Wimbledon holt immer das Beste aus mir heraus", sagt Brown.
Der "Germaican", Sohn eines jamaikanischen Vaters und einer deutschen Mutter, war und ist im Rasenparadies eine mehr als willkommene Sturm-und Drang-Abwechslung im oftmals öden Grundlinientennis, das viele Kollegen auch auf den Tennisgrüns zeigen. Als er den haushohen Favoriten Nadal bezwang, im Match seines Lebens, preschte Brown nicht weniger als 99 Mal ans Netz vor, versenkte Volleys mit traumwandlerischer Sicherheit - und lieferte ansonsten serienweise Schläge, die in keinem Lehrbuch stehen.
"Es war wie eine Offenbarung damals", sagt noch jetzt der schwedische Ex-Weltranglistenerste Mats Wilander, "so sollte Rasentennis sein." Auch gegen den starken Portugiesen Joao Sousa produzierte der Rasta-Man in der ersten Runde des laufenden Turniers schon wieder einen Sensationsschlag - ein Brown-Hecht nach Becker-Vorbild aus dem Halbfeld, unerreichbar für den Gegner.
"Besondere Inspiration"
Rasta-Man Brown hatte vor Jahren auch schon in einer abenteuerlich guten Vorstellung den Ex-Champion Lleyton Hewitt in Wimbledon geschlagen - es war der Anfang einer außergewöhnlichen Beziehung zu diesem Tennis-Schauplatz, zum Turnier der Turniere. "Man spürt einfach eine besondere Inspiration hier", sagt Brown, der sich über viele mühsame Tourjahre überhaupt erst unter die Top 100 und damit auch in die Hauptfelder von Grand-Slam-Turnieren vorspielte.
Früher zog er sogar mit einem Campingwagen über die kleineren und mittelgroßen Tennisorte, um Geld zu sparen und sein Vagabundenleben stemmen zu können. "Die Finanzen waren immer ein Thema bei mir. Man muss sich professionelles Tennis auch leisten können", sagt der 32-Jährige.
Gegen Murray, den solidesten Defensivspieler der Welt, kann Brown nur die Flucht in die Offensive helfen, die Angriffswucht, die ihn auch bei anderen Sensationscoups ausgezeichnet hatte. Zu dumm nur, dass Brown - und nicht nur er - glaubt, dass die Courts in Wimbledon immer langsamer werden, Jahr für Jahr.
French Open schneller als Wimbledon
"Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass die Plätze in Paris inzwischen schneller sind als hier", so Brown, "das macht es nicht leicht, aggressiv und druckvoll zu sein. Selbst klassische Serve-and-Volley-Spieler trauen sich nicht mehr so oft nach vorne auf dem Rasen."
Es sei ein "absoluter Traum", gegen die Nummer 1 der Welt, gegen den Titelverteidiger Murray antreten zu können, sagt der Deutsche vor dem Treffen am MIttwoch, "das ist großartig." Noch schöner als das Rendezvous selbst kann nur der Sieg sein, und den will Brown mit seinem unkonventionellen Repertoire festschreiben auf dem Centre Court:
"Ich muss Andy aus der Wohlfühlzone kriegen." So wie es ihm mit Nadal vor zwei Jahren gelang. Der sagte später über Brown: "Er spielte nie drei ähnliche Schläge hintereinander. Ich fand nie mein Vertrauen."