Von Jörg Allmeroth aus London
Als Angelique Kerber auf der Terrasse des Internationalen Pressezentrums stand, am Ende dieses langen, ereignisreichen Wimbledon-Samstags, war die Klimaveränderung sofort zu erkennen. Kerber gab die letzten deutschen TV-Interviews, sie wirkte aufgedreht, gutgelaunt, sie scherzte sogar mit den Berichterstattern, sie lachte und winkte einigen Fangrüppchen zu, die sich in der Nähe versammalt hatten. Vieles von der Verspannung und Frustration der letzten Monate schien abgefallen in diesem Moment - und nach diesem Tag. Dem Tag, an dem die deutsche Weltranglisten-Erste den unwahrscheinlichsten und zugleich besten Sieg dieser schweren Saison 2017 gefeiert hatte. "Es war ein wirklich wichtiger Erfolg. Er hat mir gezeigt: Es geht doch", sagte Kerber nach dem 3:6, 7:6 (7:2), 6:4-Comeback-Triumph gegen die Amerikanerin Shelby Rogers.
Worauf sich Kerber verlassen konnte bei diesem Entfesselungsakt, waren die Qualitäten, die sie an die Spitze der Tenniswelt gebracht hatten - in der Aufholjagd von einem 3:6, 2:4-Rückstand zum Achtelfinaleinzug gegen die Spanierin Garbine Muguruza zeigte die 29-Jährige das Herz einer großen Kämpferin und verzehrende Leidenschaft. Als nichts mehr zu laufen schien für sie, rannte sie ihre Gegnerin plötzlich in Grund und Boden - auf schnellen Beinen, dazu mit frisch erwachtem Selbstbewußtsein. "Angie ist ja nicht jemand, der sich wie eine Nummer 1 auf den Platz stellt. Mit breiten Schultern", sagte Bundestrainerin Barbara Rittner, "aber heute hat sie, in der Endphase des Spiels, wieder Selbstvertrauen und Stärke ausgestrahlt." In der BBC-Plauderrunde "Today at Wimbledon" assistierte Legende Martina Navratilova: "Es ist noch nicht alles Gold bei Angie. Aber ich spüre, dass ihr Feuer wieder da ist. Dieser große Wille."
Keine Schönheitspreise
Kerber ackerte und rackerte sich durch die ersten Wimbledon-Runden, vor dem Rogers-Match. Sie haderte oft genug mit sich selbst, sie war unzufrieden. Es war nicht vergnügungssteuerpflichtig, ihr zuzuschauen bei eher verkrampften Tennis-Bemühungen. Aber sie stellt im Moment ja sowieso keine größeren Ansprüche, sie ist zufrieden, muss zufrieden sein mit reinen Erfolgserlebnissen. "Langsam zurückfinden" in die Spur, ist ihre Devise. Und auch dieses Mantra gilt: Die Nummer eins ist nicht wichtig, dieser Platz ganz oben in der Hackordnung. Sondern "die Kraft, sich durchzusetzen in den Matches": "Schönheitspreise brauche ich nicht unbedingt."
War der Sieg gegen Rogers nun der Dreh in dieser vielfach frustrierenden Spielzeit, ein Augenblick der Wende? Kerber blieb angemessen vorsichtig, trotz der signifikanten Leistungssteigerung und Stimmungsaufhellung: "Es war einfach ein schöner Tag für mich. Ein Tag, an dem ich mir selbst bewiesen habe, was ich kann." Gegen ihre nächste Gegnerin, die an Nummer 14 gesetzte Muguruza, geht sie eher als leichte Außenseiterin ins Spiel - schließlich hat die Spanierin die letzten vier Partien ausnahmslos gewonnen gegen Kerber, auch 2015 hier in Wimbledon. "Nach so einem Sieg wie gegen Rogers geht man einfach mit einem besseren Gefühl ins weitere Turnier", sagt Kerber, "ich freue mich auf dieses Achtelfinale." Und vielleicht auch noch auf mehr in diesem Wimbledon-Jahr 2017.