Als Dominic Thiem elf Jahre alt war, hatte Günter Bresnik genug. Bälle reinspielen, schön und gut, Nummer 2 der Junioren, schön und gut. Auch andere in Thiems Alter spielten schön und gut. Im Tennis lohnt sich jedoch nur ganz oder gar nicht - und nur die Wenigsten schaffen es dorthin, wo sich's so richtig lohnt. Unter die Top 50. Oder besser: die Top 10. Als Thiem und Bresnik im Frühjahr 2005 von einem Jugendturnier in Frankreich zurückkamen, sagte Bresnik den Satz, der Thiems Leben verändern sollte: »Ab jetzt machen wir's gescheit.« Und Bresnik drehte Thiems Spiel einmal komplett um.
»Sein gesamtes Verhalten, seine Persönlichkeit, ist sehr defensiv«, beschreibt er seinen Schützling im Jahr 2016. »Die beidhändige Rückhand hätte ihn nirgendwohin gebracht. Er wäre ein durchschnittlicher Spieler geworden.« Dass Profis von einer beidhändigen auf eine einhändige Rückhand umstellen, war vor allem früher nicht ungewöhnlich. Pete Sampras und Stefan Edberg sind die bekanntesten Beispiele, vor allem die Rückhand des Schweden war neben dem Volleyspiel sein Paradeschlag - und optisch ein Genuss. Thiem, mit einer guten und sicheren beidhändigen Rückhand ausgestattet, schlug Bresniks Ansicht nach zu zaghaft. Der neue Ansatz: die Rückhand so hart wie möglich schlagen, »volle Post«, und eben einhändig. »Ich habe seinem Vater gesagt: Wenn du zu einem Turnier fährst und die Leute anhalten und fragen, wer dieser Idiot ist, der jeden Ball so hart wie möglich schlägt, dann haben wir es geschafft.« Die Kugel dabei auch noch ins Feld zu bekommen - nur eine Frage der Zeit, so Bresnik. (Ein Ansatz, den auch Onkel Toni mit Rafael Nadal verfolgte.) »Wir mussten die Barriere lösen, dass er den Ball im Spiel halten will, anstatt ihn richtig zu schlagen.« Thiem verlor in Folge ein Match nach dem anderen, wurde vom Angstgegner zum Traumlos. »Ist das ein Scherz mit der einhändigen Rückhand?«, fragten ihn andere Spieler. Bresniks Motto aber war klar: »Du musst lernen, gewinnen zu wollen, statt nicht verlieren zu wollen.« Und: »Es ist mir egal, wenn du mit 15, 16, 17 verlierst. Mir ist wichtig, was du mit 20, 21, 22 gewinnst.«
Auch für Bresnik war die Umstellung ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Verliert ein Spieler nach technischen Umstellungen mehr als zuvor, ziehen Eltern gerne die Notbremse. Nicht so bei Dominic Thiem. Vater Wolfgang, selbst Tennistrainer für Hobbyspieler, war mit Mitte 20 in Bresniks Tennisschule gewechselt, obwohl dieser ihn erst abgewimmelt hatte, ihm klargemacht hatte, dass er einem Familienvater nicht genug zahlen könne. Papa Thiem war am nächsten Tag wiedergekommen, im Trainingsanzug, mit Tennistasche - der Anfang. Dass Bresnik in den Mittagspausen beobachtete, wie Wolfgang Thiem mit Dominic trainierte, und bald selbst das Coaching übernahm - die Folge.
Thiem setzte sein erstes Ausrufezeichen 2011, als er Österreichs Tennislegende Thomas Muster in der Wiener Stadthalle in den endgültigen Ruhestand beförderte; 2015, mit 21, folgte der endgültige Durchbruch mit drei Turniersiegen; 2016 schaffte er es ins Halbfinale von Roland Garros und zog in die Top Ten der Welt ein. Die New York Times widmete Thiem in diesem Sommer eine Story unter dem Titel Dominic Thiem, the Hardest-Working Man in Tennis, im Wall Street Journal war er The Tennis Phenom Who Chose to Be Terrible.
Und Thiems Rückhand? Gilt mittlerweile als eine der gefährlichsten (und schönsten) der Welt.
Die aktualisierte und neu bearbeitete Auflage von "111 Gründe, Tennis zu lieben" (328 Seiten) enthält zehn Bonusgründe und ist im Buchhandel erhältlich, ebenso online, z.B. über Amazon, Thalia, Hugendubel.
Preis: 9,99 Euro