Es gibt sie. Die Geläuterten, demütig und aufrichtig nach vorn blickend. Voller Respekt für jeden, dem sie begegnen. Erst recht für die Schwächeren. Die Geläuterten machen immer weiter - auch wenn es schmerzt. Die Geläuterten geben sich ihrer einen Sache hin, bis sie mit der Faust gen Himmel ragend das Feld als Sieger verlassen. Sie mögen nicht die talentiertesten auf ihrem Gebiet sein, doch mit ihrer Einstellung und dem Charakter, welchen sie mit den Jahren entwickeln konnten, erreichen sie großartige Triumphe. Auf dem Tennisplatz stellt sich nicht nur die Frage des spielerischen Könnens. Es stellt sich auch die Frage nach dem Charakter. Ziel ist es, dass ein absolutes Gleichgewicht entsteht. Ist ein Teil der Waage, spielerisches Können oder der Charakter zu weit unten, kann kein Gleichgewicht mehr entstehen.
Die "eine Sache" entdecken
Basketball. Pokémon-Go. Gegner beleidigen. Nick Kyrgios hat uns in seiner natürlich noch recht jungen Karriere viele seiner Talente vorgestellt. Tennis schien bisher immer eine Nebenrolle im Krimi "Kyrgios" zu spielen. Spektakuläre Hot Shots erschienen wichtiger als der Sieg eines Matches. Der coole, lässige Gang nach einem solchen Hot Shot wirkte durchdachter als manche Taktik gegen Andy Murray. Gegen die aktuelle Nummer eins der Welt wird Kyrgios wohl niemals den Platz als Sieger verlassen.
Kyrgios wird sich zwischen Playstation, Basketball und Halsketten entscheiden müssen. Entscheidet er sich für die Playstation und die Dreier auf dem Basketball-Feld, können wir uns auf viele weitere Kyrgios-Momente freuen. Fällt die Wahl auf die "eine Sache", das Tennis, muss die absolute Weltspitze einen wahren Herausforderer fürchten. Kyrgios ist das beste Beispiel dafür, dass im Tennis weitaus mehr als 70 Prozent im Kopf entschieden werden. Der Kopf spielt nicht nur auf dem Platz eine Hauptrolle. Der Kopf ist außerhalb des Platzes der Regisseur. Ist dieser nicht ganz bei der Sache und fest im Stuhl gelingt das gesamte Projekt nicht. Es werden sich immer wieder kleine Fehler einschleichen. Fehler, die Potenzial verschenken.
Verbesserung über Ego
Nick Kyrgios muss sein Ego aus dem Regiestuhl werfen. Stetige Verbesserung muss sein Ziel lauten. Kleinigkeiten großartig machen. Das Ziel sollte nicht Grand-Slam-Sieg oder Top 10 lauten - sondern einzig und allein Verbesserung. Was Kyrgios von den Topleuten unterscheidet, ist nicht die schlechtere Vorhand oder das noch nicht so ausgeprägte Spielverständnis. Der Charakter von Nick Kyrgios ist nicht der eines absoluten Topspielers. Der beste Aufschlag und die unglaublichsten Hot Shots machen keinen Tennisspieler zu einem Champion. Erst der Charakter verwandelt einen großartigen Spieler in einen erfolgreichen Spieler. Die Arbeit findet nicht nur auf dem Platz an der Technik der Grundschläge statt, sondern auch im Geist des Spielers. Wer sich als Mensch verbessert, verbessert sich automatisch auch als Tennisspieler.
Die Top-10 sind für Nick Kyrgios eine Frage des Charakters.
Das ATP-Ranking im Überblick