"Wie eine göttliche Fügung"

Rafael Nadal und Roger Federer treffen in einem ewigen Klassiker im Finale der Australian Open aufeinander.
© getty

Alle Daten und Fakten sagen nichts darüber aus, was an diesem Finalsonntag der Australian Open 2017 passieren wird. Am Tag des unwahrscheinlichsten Endspiel zwischen dem Maestro und dem Matador.

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Das letzte Januar-Wochenende hatten sich alle in der großen Familie von Roger Federer etwas anders vorgestellt. Federer selbst, der unverwüstliche Tennis-Virtuose, erzählte in den letzten Tagen in Melbourne gleich mehrfach, seine Zwillingstöchter hätten ihn schon gefragt, wann es "denn endlich wieder zum Skifahren geht." Und damit lagen sie irgendwie ja auf einer Wellenlänge mit ihrem Opa, mit Federers Vater Robert, denn der gab gerade in einem Radiointerview daheim in der Schweiz zu Protokoll, dass er schon vor ein paar Tagen mit der Heimkehr des Sohnes gerechnet habe - nach einer Woche und zwei, drei Runden Australian-Open-Tennis ungefähr: "Wir hatten uns für dieses Wochenende einen Skiausflug vorgenommen, auf der Lenzerheide." Wir - also Papa Robert und auch Sohn Roger.

"Vielleicht größte Grand Slam-Endspiel überhaupt"

Der Trip auf Hänge und Pisten muss nun noch aber ein bisschen warten. Für die Töchter, auch für den Papa Federers. Denn Federer hat noch zu tun, im Tennis-Wunderland Australien. Dort, wo er der vielleicht verrückteste Darsteller bei einem emotionalen Grand-Slam-Revival geworden ist, bei einer Nostalgie-Party, die auch die beiden Spielerinnen des Damenfinales von Melbourne einschließt, die Williams-Schwestern Serena und Venus. Und natürlich Federers Gegner im ultimativen Turnierspiel um den Siegerpokal, einen gewissen Rafael Nadal. "Es ist wie eine göttliche Fügung", sagt der frühere amerikanische Superstar John McEnroe über den Showdown der Titanen von einst, "mehr kann uns das Schicksal jedenfalls nicht schenken."

Ob dieses Rendezvous des Tennis-Ästheten Federer (35) gegen Nadal (30), den legendären Kämpfer im Wanderzirkus, das "vielleicht größte Grand Slam-Endspiel überhaupt" ist, wie Ex-Größe Andy Roddick sagt, ist pure Ansichtssache. Aber dass es eins der überraschendsten Rendevous' auf einer der vier großen Tennisbühnen ist, wer wollte daran ernsthaft zweifeln. Mit vielem hätte man zu Saisonbeginn auf dem Roten Kontinent gerechnet, mit einer Fortsetzung der Dominanz von Andy Murray und Novak Djokovic am ehesten, vielleicht auch mit einem Durchbruch von Spielern wie Milos Raonic, Kei Nishikori oder auch Grigor Dimitrov.

"Rafael war der größte, der wichtigste Gegner in meiner Laufbahn"

Doch inmitten aller Turbulenzen und Sensationen in diesem Major-Spektakel behaupteten sich ausgerechnet zwei Spieler, die beide schon als Grand-Slam-Titelkandidaten abgeschrieben waren - zwei, von denen man glaubte, sie hätten das Allerbeste hinter sich, auch wegen der Verletzungen, die zuletzt ihre späten Karrieren ins Stocken gebracht hatten. "Dass wir uns hier im Finale treffen würden", sagt Nadal, "hat niemand gedacht. Aber ich habe immer, jeden Tag, auf einen Moment wie diesen hingearbeitet." Auf den letzten Metern zur Finalverabredung mussten beide schon ans Limit gehen, Federer im bisher umkämpftesten Vergleich gegen Landsmann Stan Wawrinka, Nadal in einem knapp fünfstündigen Klassiker gegen den brillanten Dimitrov. "Ich freue mich auf dieses Endspiel. Rafael war der größte, der wichtigste Gegner in meiner Laufbahn", sagt Federer, "sein Spiel hat einen unverwechselbaren Charakter."

So wie Federers Spiel selbst - und genau das ist auch der Grund für viele schon unvergessliche Matches der beiden Champions. Und für die Hoffnung, dass bei diesen Australian Open der Federer/Nadal-Clasico noch das Beste für den Schlussakt bereit hält. "Wir werden großes, sehr großes Tennis sehen - ohne einen eindeutigen Favoriten", sagt der Schwede Mats Wilander, ehedem die Nummer eins der Welt. Kaum einer aus dem Tross der Experten und langjährigen Szenebeobachter glaubt, dass die kürzere Ruhepause zwischen Halbfinals und Finals ein gravierender Nachteil für Nadal wird. "Er ist so fit und frisch wie seit Jahren nicht. Und er hat schon immer gezeigt, wie grenzenlos sein Wille sein kann", sagt Australiens früherer Tennisheroe Pat Cash, "das ist ein Kampf auf Augenhöhe, in jeder Beziehung."

Der Tag des unwahrscheinlichsten Finals

Und es ist ein Spiel der Superlative, schon vor dem ersten Ballwechsel. Nie standen sich zwei Männer gegenüber, die kombiniert so viele Grand-Slam-Titel besitzen - Federer 17, Nadal 14. Nie gab es ein Spiel zweier Profis mit mehr Finalerfahrungen bei den "Major"-Wettbewerben: Federer rückte 28 Mal in ein Endspiel vor, Nadal 21. Mehr als alles andere aber ist es ein Zweikampf zweier prägender Superstars, die auf der Höhe ihrer Kunst und Klasse größer als ihr Sport selbst waren. Und es noch immer sind. Federer und Nadal, das sind Namen, die auch die kennen, die nicht so genau über Vor- und Rückhand, Lob oder Stopp Bescheid wissen. Federer und Nadal, sie sind Charakterköpfe, außergewöhnliche Individualisten, auch stilbildende Rivalen, die für Fairness im Umgang miteinander stehen. Größer als für den jeweils anderen könnte der Respekt kaum sein. Dann, wenn Federer über Nadal sagt: "Ich bin sein größter Fan." Und wenn Nadal über Federer sagt: "Er ist der Größte aller Zeiten."

Und doch: Einer wird dem anderen nun den großen Traum vom späten Centre-Court-Glück verderben. Von einem gewaltigen Comeback aus Verletzungssorgen und manchen Selbstzweifeln, ob es noch einmal für einen Sprung in die Weltspitze und zum Griff nach großen Pokalen reicht. 23 Mal hat Nadal bisher gegen Federer gewonnen, der Maestro siegte im Umkehrschluss nur elf Mal. Aber alle Daten und Fakten sagen nichts darüber aus, was an diesem Sonntag kommen wird. Am Tag des unwahrscheinlichsten Finals zwischen ihnen, zwischen Maestro und Matador.

Die Australian Open im Überblick