Ganz am Ende war nur noch Bitterkeit und Machtlosigkeit. Es war der Moment im Masters-Finale von Key Biscayne, als Alexander Zverev zwar offiziell noch im Spiel war - und doch auch wieder nicht. 4:5 und 0:15 lag der 20-jährige Deutsche im dritten, entscheidenden Satz zurück gegen den Amerikaner John Isner, als der tat, was er am besten kann. Aufschläge zu produzieren, die entweder ein Ass sind oder nicht mehr returnierbar.
Isner machte es kurz und schmerzvoll für Zverev. Drei Asse hintereinander. Spiel, Satz und 6:7, 6:4, 6:4-Sieg, der erste Masters-Titel im zarten Alter von 32 Jahren für den 2,08-Meter-Riesen Isner, im allerletzten Match, das im Crandon Park nach 30 Turnierjahren gespielt wurde.
Der größte Sieg für Isner war zugleich die größte bisherige Niederlage für Zverev, denn noch immer hat das Masters in Miami einen herausgehobenen Stellenwert in der Welt des Wanderzirkus. Die Niederlage für Zverev war nicht nur groß wegen der Bedeutung des Turniers, sondern weil sich für den jungen Hamburger auf dieser prominent ausgeleuchteten Bühne in Florida eine Geschichte nervlicher Probleme in sehr wichtigen Duellen fortsetzte - mit der enttäuschendsten Konsequenz freilich. "Ich habe im Endspiel so viele Fehler gemacht wie im ganzen Turnier zusammen", sagte Zverev hinterher.
ATP Miami: Zu wenig Initiative von Alexander Zverev
Und zwar Fehler vor allem, als es galt, kühlen Kopf zu bewahren und die eigentliche spielerische Überlegenheit konsequent in Punktgewinne umzusetzen. Zwei Mal verlor Zverev seinen Aufschlag im neunten Spiel, in den Sätzen zwei und drei. Und weder den Satzausgleich noch die spätere Niederlage konnte er nach den Patzern vermeiden.
Im letzten Akt des Dreiteilers zertrümmerte Zverev nach dem 4:5-Break wutentbrannt seinen Schläger, der aufgestaute Zorn triumphierte da über die lange Zeit recht eisern demonstrierte Disziplin. Die verpaßte Chance, einige Schwächen im ersten Vierteljahr dieser Saison mit dem Miami-Pokalcoup zu retuschieren, weckte Erinnerungen an einige komplizierte Grand Slam-Auftritte des Youngsters. An Matches, in denen Zverev gegen seine eigene Natur, gegen seine Tennis-Identität spielt.
Auch gegen Isner versuchte sich Zverev bei den Big Points wieder daran, eher auf Fehler seines Gegners zu warten und die eigene Initiative aufzugeben. Es kostete ihn, wie andernorts, dann den möglichen, eigentlich fälligen Sieg. Natürlich sind Niederlagen wie in Miami oder zuletzt auch bei den Australian Open in Melbourne immer auch Gelegenheiten zum Lernen, zum Bessermachen, aber Zverev muss aufpassen, dass sich diese Fehlschläge nicht hartnäckig im Kopf festsetzen. Paradox, aber wahr: Zverev will extrem viel, erwartet extrem viel, setzt sich selbst unter Druck - und wirkt zuweilen dann passiv, etwas gelähmt in Augenblicken, in denen sich ein Match entscheidet.
Zverev-Coach: Ivan Lendl im Anmarsch?
Unwillkürlich rieb der Miami-Sieger Isner noch ein wenig Salz in die Wunden, als er bei den offiziellen Zeremonien Zverev dafür dankte, dass er ihn für diesen ersten großen Laufbahnerfolg habe "gewinnen lassen." Und tatsächlich: Mehr als Isners Sieg war die Essenz dieses Spiels die Niederlage Zverevs.
In das erste Vierteljahr der Serie 2018 fiel auch die Trennung Zverevs von seinem spanischen Coach Juan Carlos Ferrero, dem der 20-jährige nachrief, er, Ferrero, habe ihn zu sehr in ein Korsett von Befehl und Gehorsam zwingen wollen. Ferrero seinerseits monierte Undiszipliniertheiten, Zverev habe sich nicht immer so verhalten, wie es einem Profi auf diesem Level anstehe.
Warum der Rückblick? In Miami habe sich Ivan Lendl angeblich im Camp von Zverev aufgehalten, kolportierten Beobachter, möglicher Weise bahne sich da eine Zusammenarbeit zwischen dem ehemaligen Tennis-Asketen und dem jungen Deutschen an. Ob das Sinn machen würde, in diesem Stadium von Zverevs Karriere oder eben gerade jetzt, ist eine ziemich gute Frage.
Man könnte meinen, dass Zverev erst einmal voll ausreifen muss, nicht nur mental, sondern auch körperlich, bevor Lendl mithelfen könnte, die Potenziale des großen Talents zu heben. Und zwar in ähnlicher Manier, wie es Lendl einst beim Schotten Andy Murray getan hatte. Man könnte indes auch genau so gut argumentieren, dass Lendl den oft mit sich selbst ringenden Zverev nun formen und lenken könnte, damit sich Probleme wie in Miami nicht weiter vertiefen oder verschärfen.
Alexander Zverev in ATP-Finals
Jahr | Turnier | Belag | Gegner | Ergebnis |
2016 | Nizza | Sand | Dominic Thiem | 4:6, 6:3, 0:6 |
2016 | Halle | Rasen | Florian Mayer | 2:6, 7:5, 6:3 |
2016 | St. Petersburg | Hartplatz | Stan Wawrinka | 6:2, 3:6, 7:5 |
2017 | Montpellier | Hartplatz | Richard Gasquet | 7:6(4), 6:3 |
2017 | München | Sand | Guido Pella | 6:4, 6:3 |
2017 | Rom | Sand | Novak Djokovic | 6:4, 6:3 |
2017 | Halle | Rasen | Roger Federer | 1:6, 3:6 |
2017 | Washington | Hartplatz | Kevin Anderson | 6:4, 6:4 |
2017 | Canada Masters | Hartplatz | Roger Federer | 6:3, 6:4 |
2018 | Miami | Hartplatz | John Isner | 7:6, 4:6, 4:6 |
Davis Cup Rafael Nadal als nächste Aufgabe
Aber vielleicht kommt auch alles anders - und Lendl wird der neue Berater von Novak Djokovic, als Ersatz für den verärgert geflohenen Übungsleiter Andre Agassi. Der hatte seinen Djokovic-Abschied zum Finalwochenende in Miami mit den Worten bekanntgegeben, man sei sich schließlich nur darin einig gewesen, "dass wir in den meisten Punkten uneinig sind."
Zverev hat nun gleich die nächste große Aufgabe vor sich, als Führungsspieler der deutschen Davis-Cup-Mannschaft am kommenden Wochenende beim Auswärtsduell im spanischen Valencia. Er wird dort, im Sand der Stierkampfarena, auch auf den Matador Rafael Nadal treffen. Gegen diese Herausforderung wirkt das Finale von Miami im nachhinein wie eine eigentlich leichte Übung.