Gebhard Gritsch, 61, ist österreichischer Leistungssport-Trainer und Berater. Von 2009 bis 2017 war er im Team mit Novak Djokovic, bis dieser nach einer Verletzung und mentalen Tief sein Team erneuerte - allerdings ohne Erfolg. Seit diesem Frühjahr ist Gritsch wieder mit Djokovic vereint, die Folge waren Siege des "Djokers" in Wimbledon und bei den US Open.
tennisnet: Was macht Djokovic wieder anders, wieder besser als noch im Frühjahr?
Gebhard Gritsch: Er hat einen klaren Kopf und weiß was er will. Und er hat die Liebe und Motivation zum Tennis und Wettkampf wieder gefunden.
tennisnet: War Djokovics Krise eher der Verletzung geschuldet oder einem mentalen Loch, nachdem er 2016 in Paris gewonnen hat?
Gritsch: Es war beides - wobei das mentale Loch eine größere Rolle spielte als die Verletzung. Dieses war primär die Folge einer extremen mentalen Belastung über viele Jahre.
tennisnet: Haben Sie Djokovic verstanden, als er sein Team gefeuert hat - oder war er zu dieser Zeit mental in einer anderen Welt?
Gritsch: Nach Paris war die Luft draußen und der Schutzmechanismus des eigenen Körpers bewahrte ihn von weiterer Überbelastung. Natürlich wollte Novak mit seiner Siegermentalität das nicht wahr haben und versuchte alles, um so schnell wie möglich auf die Siegerstraße zurückzukehren. In der Veränderung des Teams sah er einen wichtigen Schritt dazu. Fakt ist, dass das Team nach Paris genauso der langjährigen Belastung Tribut zahlen musste und die Arbeit und Motivation darunter litt.
tennisnet: Hat er letztlich eingesehen, dass die Trennung ein Fehler war, dass er sein Erfolgsteam mehr braucht, als er dachte?
Gritsch: In der schwierigen Phase, in der sich Novak befand, konnte er kein Risiko eingehen und er brauchte ein erprobtes System, das er kannte und dem er vertraute. Ich bin sicher, dass ihm einige das auch geraten haben.
tennisnet: Was hat ihm von der Fitness her gefehlt, als Sie wieder zusammengearbeitet haben?
Gritsch: Obwohl Novak sicher auch in der schwierigen Zeit intensiv an seiner Fitness gearbeitet hat, hatte er im tennisspezifischen Bereich Aufholbedarf. Das war der primäre Fokus in den ersten paar Monaten.
tennisnet: Was immer wieder auffällt, ist Djokovics Dehnbarkeit, sein Spitzname ist ja "Gumby". Ist das etwas, das man erlernen kann (und dann fördern) - oder ist es in gewissem Maße angeboren?
Gritsch: Diese Flexibilität hat an und für sich jedes Kind, geht allerdings mit dem Alter verloren, wenn man nicht täglich daran arbeitet. So viel ich weiß, hat Novak in der Pilic-Akademie den Mehrwert erkannt und das Flexibilitätstraining beibehalten und verbessert.
tennisnet: Was hat sich an Djokovics Einstellung geändert, damit er wieder Erfolg hat? Was sind jetzt seine Ziele?
Gritsch: Primär hat er seine Mission im Tennis wiedergefunden mit neuen Zielen und neuem Zugang zum Professionalismus.
tennisnet: Gab es auch Überlegungen im Team, Boris Becker zurückzuholen?
Gritsch: Das weiß ich nicht. Boris hat in der Vergangenheit mit seiner Erfahrung sicherlich in wichtigen Bereichen zum Erfolg und der Dominanz Novaks beigetragen.
tennisnet: Haben Sie Angst, dass Djokovic wieder mal in ein ähnliches mentales Loch fallen könnte?
Gritsch: Das glaube ich nicht. Ich habe den Eindruck dass er sich der Vergänglichkeit des Erfolgs im Spitzensport bewusst ist und seine noch guten Jahre voll ausnutzen möchte.