Im November 2016 waren noch einmal die beiden damaligen Topstars am Drücker, die Nummer eins und Nummer zwei der Weltrangliste, Andy Murray und Novak Djokovic. Murray und Djokovic gewannen ihre Vorrundengruppen, sie gewannen dann auch ihre Halbfinals - und im Endspiel triumphierte schließlich der umjubelte Lokalmatador Murray gegen seinen Altersgenossen Djokovic.
Viel ist auch in den letzten Monaten über Murray und Djokovic gesprochen worden, aber es hatte nichts mehr mit Trophäen und Titeln zu tun, mit berauschenden Auftritten auf den Centre Courts der Tingeltour. Es ging fast immer um Krisen, ums Ausgebrannt-Sein, um kleinere und größere Verletzungen. Und wenn nun an diesem Sonntag wieder zur WM in die 02-Arena zu London geladen wird, dann werden die beiden führenden Spieler der Vorsaison und der Vorjahre überhaupt nicht dabei sein.
Beide haben ihre Saison längst beendet, richten schon alle Hoffnungen aufs kommende Jahr, auf ein Comeback in der Weltspitze. Übrigens nicht nur sie: Auch vier weitere WM-Teilnehmer aus 2016 sind jetzt in London nicht dabei - Stan Wawrinka, Kei Nishikori, Milos Raonic und Gael Monfils. Allesamt nie in Form gekommen im Jahr 2017, allesamt frühe Saison-Aussteiger und nun auf Comebackmission. Nur der Österreicher Dominic Thiem und der Kroate Marin Cilic sind von den 2016 ursprünglich qualifizierten Profis auch in den nächsten Tagen dabei, eine unfreiwillige Rochade ohne Beispiel in der WM-Geschichte.
Wilander: "... dann wärst du jetzt Multimillionär"
Womit man bei den ebenso unvermuteten Hauptdarstellern des Jahres wäre, allen voran zwei alten Meistern und einem jungen Himmelsstürmer. Rafael Nadal (31), Roger Federer (36) und Alexander Zverev (20): Dieses Trio prägte die Spielzeit 2017 mit einer Wucht, Klasse und Dynamik, die niemand erwarten konnte. "Verrückt ist noch eine Untertreibung für diese Saison", sagt Federer selbst. Genau wie Nadal hatte er 2016 noch verletzt zuschauen müssen, als in London um die Titel gekämpft wurde. Dann folgte erst sein märchenhaftes Comeback, und dann nahm auch Nadals Rückkehr in den Tenniscircuit gewaltig Fahrt auf.
Als nach den US Open die Grand Slam-Saison abgerechnet wurde, hatten sie, der Maestro und der Matador, wie in einstigen Glanzzeiten schiedlich-friedlich die Major-Titel unter sich aufgeteilt. Federer siegte bei den Australian Open und in Wimbledon, Nadal bei den French Open und in New York. "Alles war scheinbar wie immer. Aber alles war auch irgendwie auf den Kopf gestellt", sagt der schwedische Star früherer Tage, Mats Wilander, "wenn du auf all das getippt hättest, wärst du jetzt Multimillionär." An den Machtverhältnissen in der Hackordnung wird die WM auch nichts ändern, ganz egal, was in London passiert: Nadal wird das Jahr als Nummer 1 beenden, Federer als Nummer 2. Beide haben einen massiven Vorsprung auf den Rest der Profis.
Zumindest im regulären Tourbetrieb kam ihnen öfters einer in die Quere, der sozusagen die dritte Kraft der Saison 2017 war: Deutschlands neuer Tennisstar Alexander Zverev. Mit seinen 20 Jahren ist er gerade der jüngste Spieler seit dem Argentinier Juan Martin del Potro (2009), der sich für die ATP-WM qualifiziert hat. Zverev verbuchte zwar durchwachsene Resultate bei den Grand Slam-Wettbewerben, nur in Wimbledon kam er in die zweite Woche eines Majors. Doch ansonsten bewegte er sich - erstaunlich genug - allermeistens auf Augenhöhe mit den Besten, schlug bei seinen beiden Masters-Siegen Djokovic in Rom und Federer in Montreal. Erst zuletzt ging ihm in der Tretmühle der Tour ein wenig die Puste aus.
Jetzt bleibt nur noch eine Frage übrig, nach zehneinhalb Monaten voller Turbulenzen und verblüffender Drehs: Wer hat das letzte Wort bei der WM? Federer, Nadal, Zverev? Oder einer, den wieder niemand auf der Rechnung hat?