ATP Finals: Alexander Zverev und Ivan Lendl - Der Grimmige und der junge Star

Von Jörg Allmeroth
Ivan Lendl und Alexander Zverev zu Wochenbeginn in London
© getty

Das Endspiel bei den ATP Finals in London (19 Uhr, live auf Sky und in unserem LIVE-TICKER) wird der erste große gemeinsame Auftritt von Alexander Zverev mit seinem neuen Coach Ivan Lendl.

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Als Alexander Zverev am Samstagabend zum großen WM-Halbfinal-Coup gegen Roger Federer ausgeholt hatte, zeigte Ivan Lendl schon fast eine übernatürliche Regung. Ein feines Lächeln huschte über das Gesicht des eingebürgerten Amerikaners, dann schüttelte er anerkennend die Hand von Zverevs Vater, Alexander senior. Und dann setzte Lendl schnell wieder seine undurchdringliche Miene auf, sein berühmt-berüchtigtes Pokerface. Lendl war gewiß stolz auf seinen Schützling, aber diesen Stolz und die Genugtuung als verantwortlicher Trainer auch zu zeigen, gehört nicht zu seinem Charakter-Repertoire.

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"Ich bin kein Theaterdarsteller", hat Lendl einmal über sich gesagt - und er meinte damit, er könne und wolle keine Rolle in der Öffentlichkeit spielen. Etwas vorgeben, das er nicht ist. Eins allerdings steht fest, und zwar schon vor den letzten Ballwechseln beim letzten Spiel des letzten Turniers des Jahres, vor dem ATP-WM-Finale zwischen Zverev und dem Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic: Lendls Engagement beim besten Spieler der nächsten Tennis-Generation zeigt Wirkung. Und schafft Tatsachen in einem Sport, der sich letztlich über Ergebnisse definiert und nicht über Eindrücke.

Alexander Zverev legt in den entscheidenden Momenten zu

Anders als bei anderen Auftritten auf großen Tennisbühnen legte Zverev in den entscheidenden WM-Momenten in der Londoner O2-Arena regelmäßig zu, punktete mit einer bisher nicht gekannten Attitüde und Souveränität. Das war schon im ausschlaggebenden Gruppenspiel gegen seinen Freund Isner zu sehen, erst recht aber gegen den Meisterspieler und gewieften Taktiker Federer. "Wir arbeiten in der Matchvorbereitung unheimlich akribisch und methodisch", sagt Zverev, "Ivan hat für jede Frage, für jedes Problem eine Antwort. Er ist aber auch ein sehr lustiger, umgänglicher Typ." Lendl lasse ihm nach Enttäuschungen auch genügend zeitlichen Spielraum, "um runterzukommen": "Und dann besprechen wir in Ruhe, was falsch lief. Nicht in der Hitze des Augenblicks."

Beziehungen zwischen Profispielern und Trainern auf diesem Niveau sind vor alleim eine delikate Frage der gegenseitigen Anerkennung und der Autorität. Zverev hatte schon als Teenager gesagt, es gebe nur wenige in der Tenniswelt, die ihm wahrscheinlich "richtig weiterhelfen" könnten. Becker, der deutsche Altmeister, gehörte selbstverständlich dazu. Aber Lendl paßte genau so in das Profil des jungen Himmelsstürmers, jener Lendl, der ein Weggefährte von Papa Zverev gewesen war. Ein paar Monate wurde in diesem Jahr hinter den Kulissen hin und her verhandelt, bevor die Allianz im Vorfeld der US Open startbereit war. Zverev scheiterte auf den ersten Metern damals in New York zwar kläglich, ausgerechnet auch noch gegen den deutschen Routinier Philipp Kohlschreiber, aber sein Erwartungshorizont war ein anderer - bis heute übrigens, auch beim ATP-Finale.

Ivan Lendl hat schon einige Stellschrauben bewegt

"Die ersten richtigen Veränderungen bei mir, die wird man nächstes Jahr sehen", sagte Zverev in London. Veränderungen auch und vor allem bei den Grand Slams, bei denen Zverev bisher unterdurchschnittlich agierte. Was gleichwohl nichts daran ändert, dass Lendl, der Champion des unbewegten Gesichtsausdrucks, schon einige Stellschrauben in Zverevs Spiel und Mentalität bewegt hat. Bewegung paßt hier buchstäblich, denn der 21-jährige wirkt beweglicher in der Spielführung, in seiner taktischen Vorgehensweise. Und in der Art und Weise, wie er sich mental präsentiert als Handelsreisender in Sachen Tennis.

Zverev hat seine Leidenschaft nicht verloren, gelegentlich bricht auch noch die alte Wut und Zornigkeit aus ihm heraus. Aber es wirkt nicht mehr selbstzerstörerisch, destruktiv und verstörend wie oft in der Vergangenheit, sondern wie ein kurzfristiger Impuls, um sich voranzutreiben. "Es hat mir selbst nicht gefallen, wie ich früher manchmal die Kontrolle verloren habe", sagte Zverev vor dem WM-Turnier, bei dem er nun seinen größten Karriereerfolg überhaupt festschrieb, die Entzauberung der Über-Figur Federer. Zverev hat kein Hehl daraus gemacht, dass er Lendl auch wegen dessen Erfolgen mit Andy Murray verpflichtet hatte. Der britische Hoffnungsträger war zweimal eine Liasion mit Lendl eingegangen, sie brachte ihm unvergleichlichen Erfolg in seiner Laufbahn: Den Triumph in Wimbledon, olympische Goldmedaillen, Platz eins der Weltrangliste. Und auch den WM-Titel, daheim in London.

"Er hat mich beruhigt als Spieler. Er war eine feste Autorität", sagt Murray heute über den grimmigen Übungsleiter, der im Internet gelegentlich wegen seiner bärbeißigen Art zur Zielscheibe milden Spotts von Szenebetrachtern wurde. Aber immer vor dem Hintergrund, dass niemand, keiner aus dem großen Heer der echten und selbsternannten Experten, seine Qualitäten als Tennis-Flüsterer in Zweifel stellte. Wie ginge es auch bei einem Mann, der mit seinem kompromißlosen Arbeitsethos eine neue Professionalität in seinen Sport transferierte. "Man kann Alexander Zverev nur zu seiner Trainerwahl gratulieren", sagte zuletzt einmal John McEnroe. Was etwas heißen kann: Denn der hitzköpfige New Yorker war einst der legendärste Gegner und erbittertste Rivale von Lendl.

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