Von Florian Goosmann aus Stuttgart
Auch im gesegneten Tennisspieler-Alter von 39 Jahren ist man vor Anfängerfehlern nicht gefeit. Tommy Haas hatte den ersten Satz gegen Pierre-Hugues Herbert recht unspektakulär, aber sicher gewonnen; in Durchgang zwei beim Stand von 4:4 verwertete er den möglicherweise vorentscheidenden Breakball zum 5:4. Herbert aber hatte andere Ideen: Er challengte und gewann den Punkt - Einstand. Haas kam kurz darauf doch noch zu seiner Breakchance, die er vergab.
Mit Folgen. Im anschließenden Spiel wirkte Haas plötzlich fahrig, verzog eine wilde Vorhand zum 15:30 und machte den entscheidenden Fehler: Während das Publikum ihn noch versuchte aufzumuntern, agierte Haas hektisch. Haas hetzte, statt das Tempo zu drosseln, statt sich noch mal wegzudrehen und sich zu sammeln - es folgte der Satzausgleich. "Vielleicht war ich da mit meinen Gedanken schon einen Schritt weiter, als ich hätte sein sollen", wusste Haas im Anschluss über seinen Faux-pas. Und plötzlich war ein Match, das bis dahin gemütlich anzuschauen war, wieder offen.
Familiensache - "Emotionen und schöne Bilder"
Dabei waren sie alle gekommen, um ihn siegen zu sehen: Ehefrau Sara ebenso wie Papa Peter mit Gattin Brigitte, Schwester Sabine, dazu Nichte und Neffen. Und, wie Haas nach dem Match verriet, auch Tochter Valentina war kurz vor Matchbeginn mit der Schwiegermama aus L.A. angereist. "Ich hab sie vorm Spiel gar nicht gesehen, erst währenddessen. Das sind Emotionen und schöne Bilder, die sich da entwickeln. Für die ich dankbar bin, denn es war das große Ziel vor einem Jahr nach der OP."
Vielleicht war es eben jener Blick in die Box, vielleicht aber auch die Erfahrung aus 21 Jahren Profitennis: Haas fing sich und ließ Herbert nicht wegziehen, beim Stand von 5:5 und 15:30 aus der Sicht des aufschlagenden Franzosen schlug er zu. Zwei starke Returns vor die Füße des Franzosen, gefolgt von perfekten Passierschlägen. Den Breakball verwertete Haas dann sicher, das Spiel zum Matchgewinn und zum Federer-Duell am Mittwoch ebenso.
Haas im Einstein-Modus: Alles ist relativ
Es war erst Haas' fünfter Sieg seit seinem Comeback im Januar, und wo diese Leistung steht, ist schwer in Worte zu fassen. Für eine ehemalige Nummer zwei ist dies natürlich zu wenig; für einen 39-Jährigen mit der Krankenakte eines Stuntmans ist sie stark.
Haas ist genau dieser Punkt mehr als bewusst. Rein sportlich sei sein Comeback, ohne zwei Siege in Folge, "eine Katastrophe", er sei mit mehr als 500 Matchgewinnen auf der ATP-Tour natürlich anderes gewohnt. "Aber wenn ich bedenke, was ich in den letzten dreieinhalb Jahren durchgemacht habe, muss man jedes Match feiern, das man gewinnt." Und: "Wenn ich schaue, wie viele Spieler auch ohne Verletzungen auf der Tour fighten, von Futures zu Challengers fahren und Probleme haben unter die Top 150 der Welt zu kommen, muss man sehen, dass jedes Match auf der Tour ein Highlight ist."
Dass er viele seiner Matches zuletzt nur knapp verloren habe, zeige ihm jedoch, dass es Sinn mache, dass es richtig war, weiterzuspielen. "Wenn man jede Woche eine Klatsche kriegen würde, würde man nach dem vierten, fünften oder zehnten Mal sagen: Jetzt ist es so weit. Obwohl ich auch das Gefühl habe, dass es deswegen zum Ende des Jahres vorbei ist."
Jetzt gegen Federer
Ein Match gegen Federer ("Ich bin froh, ihn einen Freund nennen zu dürfen") sei nach wie vor sehr speziell, so Haas. "Am Ende der Karriere versucht man umso mehr, Matches zu bekommen, an die man sich erinnern kann." Die Bilanz gegen den Maestro: 3:13; auf Rasen lautet sie 1:5. Wobei der Sieg von Haas herausragt: Im Endspiel von Halle im Jahr 2012 besiegte er Federer in zwei Sätzen.
Die Chance ist also da, umso mehr vielleicht, als da Federer erstmals nach zehn Wochen Pause wieder ins Turniergeschehen eingreift - speziell auf Rasen ein riskantes Unterfangen. Haas aber setzt auch dies in Relation. Er freue sich darauf und wolle gewinnen. Aber: "Auch wenn es kein Match mehr geben würde, dann wäre ich schon zufrieden. Alles, was jetzt kommt, ist ein Bonus."