Roger Federer über seine Metamorphose: „Ich habe den Perfektionismus zu sehr gesucht“

Roger Federer
© getty

Wo stünde Roger Federer ohne ein spezielles Ereignis in Hamburg im Jahr 2001? Vermutlich nicht weit vorne in den Geschichtsbüchern.

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Von Florian Goosmann aus Stuttgart

"Nicht schon wieder", "Nicht schon wieder", "Nicht schon wieder"... Roger Federer hatte am Samstag in Stuttgart gleich mehrere Déjà-vu-Erlebnisse. Es war das dritte Match seiner Karriere gegen Nick Kyrgios, und beide bisherigen endeten mit dem engsten aller Ergebnisse: in jedem Satz ging es in den Tiebreak; 2015 in Madrid siegte Kyrgios, 2017 in Miami dann Federer. (Und auch im inoffiziellen Spiel im Rahmen des Laver Cups 2017 ging es in einen Champions-Tiebreak, den Federer gewann.)

In Stuttgart endete Satz eins ebenfalls in einer Tiebreak-Entscheidung, und wie brutal Tennis ist, war hier gut zu beobachten. Federer war stark ins Match gestartet, hatte bei eigenem Aufschlag nichts anbrennen lassen und war bei Kyrgios' Service gut in den Return gekommen, zum Break hatte es aber trotz zweier Chancen nicht gereicht. Im Tiebreak agierte er dann mit zu wenigen ersten Aufschlägen und etwas vorsichtig - Kyrgios hingegen war punktgenau da.

Ma hat ma Glück, ma hat ma Pech...

Nachdem der Australier sich in Satz zwei eine Auszeit gegönnt hatte, kam also der Tiebreak im Dritten. Federer, noch immer ohne Breakball gegen sich, servierte den ersten Punkt stark, griff gut an - und Kyrgios passierte aus vollem Lauf. "Ich dachte nur: Jetzt läuft das wie in Satz eins!", gestand Federer, packte dann jedoch gute Returns aus und chippte den ersten Matchball übersichtlich an Kyrgios vorbei zum 6:7 (2), 6:2, 7:6 (5)-Sieg.

Beim Matchball jedoch kamen sie noch mal hoch, die Gedanken an seine Weissenhof-Niederlagen 2016 und 2017. "Normal ist es ja besser, 6:5 vorne zu liegen als zurück. Aber die letzten Male, als ich 6:5 geführt hatte, habe ich die Matches verloren. So sehr ich da positiv denken wollte, waren das Thiem- und Haas-Match doch im Kopf." Zumindest im Anschluss sah es auch Federer praktisch: "Letztlich gewinnt man mal, und mal verliert man. Es kann nicht immer in die eigene Richtung gehen." Diesmal ging es in seine Richtung - am Ende steht der erste Finaleinzug im dritten Anlauf in Stuttgart; dort geht's morgen ab 13 Uhr gegen Milos Raonic.

Federers Suche nach dem Perfektionismus

Es war ein unterhaltsames Match zwischen Federer und Kyrgios, mit feinem Rasentennis, und auch der Australier gab sich deutlich motivierter und zufriedener als noch zu Beginn seiner Stuttgart-Mission. Eine spezielle Sympathie für ihn scheinen ohnehin viele Kollegen zu haben - auch Federer gehört dazu. Zumal Kyrgios ihn etwas an sich selbst erinnere, bevor er seine Einstellung geändert habe, um erfolgreicher zu werden, wie Federer erzählte.

Ein entscheidendes Match auf dem Weg dorthin habe in Deutschland stattgefunden. "2001 in Hamburg habe ich gegen Franco Squillari verloren, habe wieder viel lamentiert, war enttäuscht von meiner Leistung, habe alles kommentiert. Da habe ich mich entschieden, ruhiger zu werden." Mit Erfolg. "Danach habe ich das Viertelfinale in Paris und Wimbledon erreicht, habe in Wimbledon gegen Sampras gewonnen. Das hat mir gezeigt, dass es auch anders geht."

Dennoch sei nicht alles vergleichbar zu Kyrgios. "Bei ihm ist's mehr die Konzentration, sich immer wieder neu zu motivieren, bei jedem Punkt das Gleiche zu machen. Das fällt ihm schwer. Bei mir war's mehr die Frustration, wenn ich nicht jeden Ball getroffen habe. Ich habe wohl zu sehr den Perfektionismus gesucht."

Federer hatte aber noch weitere Gründe für die Metamorphose. "Mir war es zudem peinlich, mich vor Tausenden von Leuten daneben zu benehmen. Und fast dafür bekannt zu werden, auch bei den anderen Spielern. Dass die sich gesagt haben: Der Federer fällt dann eh ab, da musst du nur dranbleiben. Ich wollte bekannt dafür sein, dass ich mental stark bin und nicht nur talentiert."

Eine Gemeinschaftsleistung sei auch das gewesen. "Meine Familie und Mannschaft haben mir gesagt, dass ich mich beruhigen, es mal anders probieren soll." Nach der Entscheidung in 2001 habe es dennoch zwei Jahre gedauert, bis er sich "als neue Version von mir selbst" wohlgefühlt habe. "Ein langer Weg, und ich bin froh, dass ich die Kurve bekommen habe."

Federer ab Montag wieder die Nummer 1 der Welt

Die nach wie vor neue Version stellt nun erneut die älteste Nummer eins der Welt, Federer geht am Montag in seine 310. Woche an der Spitzenposition. Das zu erreichen sei in Stuttgart noch mal anders gewesen sei als bislang. Bei Grand Slams stehe die Nummer eins nicht so im Zentrum, erklärte Federer, "bei einem 250er oder 500er ist das anders."

Wobei auch Rotterdam noch mal ein spezieller Fall gewesen sei. Den Weg dorthin, im Februar diesen Jahres, habe er eben mit diesem Ziel auf sich genommen. "Das war ziemlich extrem. Da konnte ich schwer sagen: Ich bin mal hier, probiere das Turnier zu gewinnen... Ach, Welt-Nummer eins ist auch möglich? Das wusste ich gar nicht...", erzählte Federer. "Das wäre nicht gut angekommen, so naiv dort anzutreten."

Aber auch wenn eh alles nur ein Bonus ist für den Schweizer Meisterspieler: "Es fühlt sich gut an. Und es mit einem Tiebreak-Sieg im entscheidenden Satz zu schaffen, verleiht dem Ganzen noch mal mehr Drama."

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