Becker: "Ich stehe hinter den Spielern"

Der neue "Head of Men's Tennis" im DTB: Boris Becker
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Boris Becker gibt den Diplomaten nach dem Davis-Cup-Affront. Der neue Head of Men's Tennis des DTB hütet sich vor harscher Kritik an den Zverev-Brüdern vor dem Relegationsmatch in Portugal.

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Von Jörg Allmeroth aus New York City

Als Boris Becker am Ende der ersten Grand-Slam-Woche seine Zwischenbilanz in New York zog, kam im Media Garden des Billie-Jean-King-Tenniscenters fast alles zur Sprache. Das Abschneiden der deutschen Herrenprofis, das US-Open-Spektakel überhaupt, die Perspektiven der nationalen Nachwuchsspieler.

Der Versuch eines Themenwechsels aber misslang dann gründlich. Kaum war auch nur das Wort Davis Cup gesagt, die Bitte, eventuelle Gespräche vor Ort mit den Spielern zu skizzieren, ging der neue Head of Men's Tennis des DTB in Blockadehaltung: "Ich beantworte nur Fragen, die mit diesem Turnier zu tun haben."

Fehlstart für Becker?

Becker wusste da wohl schon, was am Dienstag kommen würde, bei der Nominierung für das Relegationsspiel gegen Portugal Mitte September. Die kollektive Absage der besten deutschen Tennisspieler für das Spiel, aber auch die Wahrnehmung eines Fehlstarts für ihn, für Becker, in seiner Rolle als Oberhäuptling des nationalen Herrentennis.

Becker hatte in jenem New Yorker Interview auch die Grand-Slam-Misere gestriffen, die vielen Verletzten, die Rückzüge von Prominenten wie Andy Murray, Novak Djokovic oder Titelverteidiger Stan Wawrinka. Es sei "kein schönes Bild fürs Tennis." Becker hatte recht. Aber das Fehlen der beiden Zverev-Brüder, Alexander und Mischa Zverev, und von Philipp Kohlschreiber beim Kampf gegen den Abstieg in der Nähe von Lissabon, auch das ist kein schönes Bild. Für den Verband, für Becker, für den Davis Cup selbst auch.

Die Situation ist allerdings ein wenig komplexer als manche Schlagzeilen und Schlussfolgerungen es andeuten, jene plakative These, das alles sei vor allem eine persönliche Ohrfeige für Becker. Es ist ein Affront, ganz sicher, Becker hätte einen viel besseren, harmonischeren und reibungsfreieren Beginn seiner Amtszeit verdient gehabt, aber die Entscheidung gegen ein Davis-Cup-Mitwirken war bei Alexander Zverev und Philipp Kohlschreiber wohl längst vor den US Open gefallen, auch vor Beckers Inthronisation beim DTB.

Umzustimmen war keiner mehr von ihnen, Zverevs älterer Bruder Mischa spielte in den Diskussionen für das Portugal-Match sowieso keine ernstzunehmende Rolle, er ist alles andere als ein Sandplatz-Experte.

Die Allmacht der Spieler

Becker tat deshalb bei aller insgeheimen Verärgerung zunächst mal das Richtige und Wichtige, auch im Bewusstsein, dass im Davis Cup immer die Spieler letztlich alle Macht besitzen - und deren bezahlte Einflüsterer dazu. Der 49-jährige Held vergangener Davis-Cup-Schlachten spielte auf offener New Yorker Bühne den Diplomaten, versicherte, er werde immer hinter den Spielern stehen und ihre Entscheidungen akzeptieren. Die Versuchung eines größeren Rundumschlages mag latent da gewesen sein, eine Abrechnung mit den teils fadenscheinigen Argumenten, aber Becker widerstand ihr.

Im Fall von Alexander Zverev sagte er, das Management habe den Start verhindert, Zverev selbst habe gern spielen wollen. Das Naheliegende verschwieg Becker, die Tatsache, dass sich ein intelligenter 20-jähriger Berufsspieler auch gegen eine solche Einschätzung seiner Berater durchsetzen kann. Aber Becker will und kann es sich nicht mit Zverev verscherzen, er braucht ihn immer dann, wenn der spielen will, vielleicht schon wieder nächstes Jahr. Das ist die Realität im Davis Cup, im modernen Profitennis dieser Tage.

Kohlschreibers Absage wurde sowohl beim DTB wie auch von Becker mit ungnädigerem Unterton aufgenommen. "Er hat eine Chance vergeben, etwas für seine Reputation zu tun", sagte Becker, "aber natürlich hat er auch Sorgen wegen einiger Verletzungen, die er in dieser Saison schon erlitten hat." In der Verbandsführung wurde auch die Frage aufgeworfen, ob Kohlschreiber schon früh gewusst habe, dass die Zverevs nicht mitmischen würden - und ob er dann auch Nein gesagt habe, aus der Befürchtung, als Sündenbock für eine mögliche Niederlage da zu stehen.

Sinn mache seine Absage jedenfalls nicht nach den US Open, hieß es aus der DTB-Führung: "Aus im Achtelfinale, zwei Wochen Zeit bis zum Davis-Cup-Match, wo ist da das Problem." Kohlschreiber habe immer versichert, sein Traum sei es, einmal den Davis Cup zu gewinnen, so ein DTB-Mann: "Aber in der B-Gruppe holst du keinen Pokal."

Notbesetzung

Jan-Lennard Struff, Cedrik-Marcel-Stebe, Yannick Hanfmann und Tim Pütz werden nun für Deutschland spielen, es ist nicht das allerletzte Aufgebot, aber es ist eine Notbesetzung. Wie bei so vielen anderen Nationen auch - womit man schon bei der anderen Ebene dieses Themas wäre. Dem Davis Cup selbst. Bei allem Jammern und Klagen über den Egoismus der deutschen Stars wird gern vergessen, welchen Bedeutungsverlust der älteste Teamwettbewerb der Welt in letzter Zeit erlitten hat.

Wer in die Aufgebote der Teams für Relegationsspiele oder sogar Weltgruppen-Matches schaut, erkennt schmerzhafte Personallücken - aus der engeren Weltspitze fehlen die Topleute reihenweise. Viele Tennisasse spielen schon länger nur noch Lust und Laune mit, sporadisch, willkürlich, "immer dann, wenn es ihnen in den Kram passt", wie selbst ein Mann aus dem Spitzenmanagement der Spielerorganisation ATP zugibt.

Vorbei sind die Zeiten, da sich die ganze deutsche Nation oder andere Länder kollektiv vorm TV-Lagerfeuer versammelten und legendäre Länderspiel-Klassiker erlebten, zum Beispiel mit Becker, der viele Jahre im Davis Cup den Kopf hinhielt, trotz anderer Ziele und Aufgaben. Selbst ein Berater wie Ion Tiriac konnte dem jungen Superstar Becker den Davis Cup nicht ausreden.

Probleme über Probleme

Hausgemachte und strukturelle Probleme kommen inzwischen hinzu: Terminnot in einem überfüllten Jahreskalender, fragwürdige Regeländerungen und eine immer heftigere Verletztenmisere im Welttennis. Schließlich die kommerzielle Konkurrenz: Ende September findet beispielsweise in Prag der Laver Cup statt, ein Kontinentalwettkampf zwischen den USA und dem Rest der Welt, nach dem Vorbild des Ryder Cup.

Am Start dieses Showevents sind dann auch einige, die beim Davis Cup fehlen werden, auch Roger Federer gehört dazu. Er, der Größte aller Zeiten, spielte in seiner Karriere nur sehr unregelmäßig im Davis Cup, aber er gewann ihn auch einmal mit seinen Schweizer Kumpels. Und für Relegationsspiele gegen den Abstieg stand er fast immer zur Verfügung, als Retter in der Not.

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