"Mit dem Profitennis hatte ich abgeschlossen"

Laura Siegemund
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Laura Siegemund war die Überraschungsspielerin der Saison! Von Rang 98 spielte sie sich unter die Top 30 und ist aktuell hinter Angelique Kerber Deutschlands Nummer zwei. Im Interview mit tennisnet.com spricht die 28-Jährige über ihr erfrischendes Spiel, hohe Erwartungen und das berühmte Quäntchen Glück.

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tennisnet: Frau Siegemund, als wir das Interview vereinbart haben, meinten Sie: Am besten telefonieren wir Freitagabend, da bin ich eh im Auto unterwegs. Sind Sie jemand, der immer etwas tun muss - oder könnten Sie, wenn wir jetzt nicht telefonieren würden, auch einfach die Fahrt genießen?

Laura Siegemund: Ich versuche oft, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Mein Training findet nicht komplett an einem Ort statt, ich fahre viel herum und der Tag hat für mich eigentlich zu wenig Stunden (lacht). Da erledige ich geschäftliche Sachen, wie ein Interview, gerne beim Autofahren. Aktuell ist viel zu organisieren, auch die Reisen für die neue Saison. Ich versuche aber auch, bewusst nichts zu tun, mir Zeiten der Ruhe zu nehmen. Ich habe auch mit Yoga angefangen. Aber ja, Zeit ist aktuell ein hohes Gut.

tennisnet: Wie sieht die Vorbereitung auf 2017 aus: Bereiten Sie sich ausschließlich in Deutschland vor oder haben Sie, wie viele Profis, auch eine Trainingsstätte in wärmeren Gefilden?

Siegemund: Die Vorbereitung habe ich komplett hier durchgezogen. Auch, weil ich die Zeit nutzen wollte, um mal daheim zu sein, runterzukommen, Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen. Von den Temperaturen her ist das nicht optimal, aber mir ist das gewohnte Umfeld wichtiger. Aber ich fliege auch deshalb früh nach Australien, damit ich mich eine gute Woche akklimatisieren kann, bevor es in Brisbane losgeht.

tennisnet: Wir müssen natürlich über Ihr Jahr 2016 sprechen. Dritte Runde Australian Open, die verrückte Stuttgart-Woche mit drei Siegen über Top-Ten-Spielerinnen und dem Finaleinzug, in Bastad der erste Einzel-Turniersieg auf der WTA-Tour, die Olympia-Teilnahme, der US-Open-Mixed-Sieg. Ein Highlight hat das andere abgelöst. Was kommt Ihnen als Erstes in den Kopf, wenn Sie an 2016 denken?

Siegemund: Tatsächlich der Porsche Tennis Grand Prix, weil ich hier die meisten Bilder gesehen habe. Witzigerweise habe ich von meinem Tennisclub in Metzingen ein Plakat geschenkt bekommen, das hängt in meinem Fitnessraum, ich sehe also täglich die Fotos aus Stuttgart. Diese Woche war emotional die intensivste. Aber wenn ich drüber nachdenke, überschlagen sich viele schöne Bilder. Speziell Australien, das rückblickend noch am ehesten unerwähnt bleibt, war für mich damals emotional das Krasseste, da habe ich mich tierisch gefreut.

tennisnet: Wenn vor zehn, zwölf Jahren jemand gesagt hätte: 2016 steht Laura Siegemund unter den Top 30 der Welt - das hätte gar nicht so verrückt geklungen. Sie waren eine der größten deutschen Nachwuchshoffnungen, Siegerin der "Orange Bowl", die "neue Steffi". Hat diese Erwartungshaltung damals belastet?

Siegemund: Ich hatte nie bewusst das Gefühl, unter einem Druck gelitten zu haben. Ich bin kein Fan von riesigen Erwartungen. Um im Profisport erfolgreich zu sein, gehört vieles dazu, auch Dinge, die außerhalb der Kontrolle liegen. Wenn man eine Zwölfjährige als neue Steffi Graf prognostiziert, ist eher der Wunsch Vater des Gedankens, als dass es eine realistische Einschätzung ist - weil es nahezu unmöglich ist, das vorherzusagen. Die gern genommene Story nach dem Motto "Sie war so gut und dann ging es nicht steil bergauf" gefällt mir sowieso nicht. Natürlich war ich gut, aber der Weg ist lang und ich war die Letzte, die das nicht gewusst und versucht hat, an sich zu arbeiten.

tennisnet: Eine Karriere lässt sich nur bis zu einem bestimmten Teil planen, oder?

Siegemund: Vieles an einem Karriereaufbau ist einfach schwierig, manchmal fehlt auch das ein oder andere Quäntchen Glück. Es sind oft Schneeballeffekte, im Positiven wie im Negativen. Durch ein paar gute Matches kommt etwas ins Rollen, du bekommst Selbstvertrauen, spielst besser. In schlechten Zeiten läuft es genau umgekehrt, wenn du ein paar enge Matches verlierst.

Die Weltrangliste der Damen

tennisnet: Es wurde ja immer wieder von dieser Pause geschrieben, 2012, 2013. Wobei das keine komplette Tennis-Pause war, Sie haben einfach weniger Turniere gespielt, aber nicht Ihre Schläger für ein halbes Jahr in die Ecke gestellt und böse angeschaut. Und Sie waren sogar recht erfolgreich, Sie haben sechs Ihrer elf ITF-Turniersiege in diesen beiden Jahren geholt. War diese Zeit eher gedanklich ein Cut?

Siegemund: Auf dem Papier ist das die eine Sache - was von der Einstellung dahinter steht, ist die andere. Ich hatte Ende 2012 mit dem Profitennis abgeschlossen. Wenn man darunter versteht, auf der Tour professionell zu spielen, über Preisgelder sein Geld zu verdienen und so hoch wie möglich in der Rangliste zu klettern, was bis dahin mein Ziel war. Ende 2012 stand das nicht mehr an oberster Stelle. Ich habe angefangen zu studieren. Tennis habe ich weiter gespielt, aber extrem reduziert, weil ich die Reiserei nicht mehr wollte, auch nicht den finanziellen Aufwand. 2013 habe ich nur mit dem Gedanken im Hinterkopf gespielt, dass ich mein Ranking nicht komplett verliere. Es wäre doof gewesen, wenn ich Tennis komplett an den Nagel gehängt hätte. In der Bundesliga zu spielen oder bei Preisgeldturnieren ein paar Euro zu verdienen, ist ja auch während des Studiums keine schlechte Sache. Ohne Ranglistenplatzierung verdient man weniger Geld, speziell in der Bundesliga wird darauf geschaut.

tennisnet: Bei diesen wenigen Turnieren lief es dann erstaunlich gut.

Siegemund: Das habe ich mit einem Schmunzeln hingenommen. Es war beinahe gespielt vom Leben: Ab dem Moment, wo ich gesagt habe "Es ist mir alles wurscht", habe ich plötzlich richtig gut gespielt. Da habe ich gedacht: Mein Leben lang reiße ich mir einen raus, und jetzt, wo mir alles egal ist, läuft's plötzlich (lacht)! Ich habe gelernt, dass es manchmal besser ist, loszulassen - da erreicht man mehr, als wenn man auf Teufel-komm-raus an etwas festhält.

tennisnet: Sie sind quasi ungewollt ins Profileben zurückgerutscht?

Siegemund: Die Presse stellt es gerne dar nach dem Motto: "Sie hat nie aufgehört zu kämpfen und ist dann doch zu spätem Ruhm gekommen!" Das ist nicht richtig. Diesen Erfolg, der kam, habe ich als netten Bonus mitgenommen. Der hat mir nicht viel bedeutet, weil ich andere Prioritäten hatte. Aber 2014 ging es los, das Ranking ist besser geworden, ich habe keine Qualifikationen bei den kleinen Turnieren gespielt, sondern im Hauptfeld, habe ein paar Euro mehr verdient, stand in den Quali-Draws bei den Grand-Slams. Dennoch war mir die Uni wichtiger.

tennisnet: Und plötzlich standen Sie im Hauptfeld von Wimbledon!

Siegemund: Als ich mich 2015 dafür qualifiziert habe, fühlte es sich an, als ob ich auf der großen Bühne angekommen bin. Mir hat es dann wieder mehr Spaß gemacht, die Matches hatten eine andere Qualität. Da habe ich gedacht: Wenn ich auf diesem Niveau spiele, habe ich auch Lust, wieder an mir zu arbeiten. Und habe die Entscheidung getroffen, das wieder hochzufahren. Ende 2015 habe ich dann meine Bachelor-Arbeit abgegeben, da war die Uni abgeschlossen. Aber ich habe mir lange überlegt, ob ich das überhaupt noch will. Es ist ja auch eine Entscheidung, ob du knapp 40 Wochen im Jahr unterwegs sein oder ein "normales" Leben führen willst. Ich habe lange Zeit Kompromisse gemacht - Turniere gespielt, aber doch geschaut, dass ich dazwischen ein paar Wochen daheim bin.

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