In Down under spielt derzeit die Musik. Laura Siegemund indes gibt sich aktuell selbst den Rhythmus vor. Im Hintergrund ertönt "Thunderstruck" von AC/DC - und die 29-Jährige macht sich im riesigen Gym des Olympiastützpunktes in Stuttgart an der Hightech-Beinpresse zu schaffen. Ein Computer zeichnet alle Kraftwerte auf, ein Physio überwacht die "Folterbank" und jede Bewegung von ihr. "Ich bin noch nicht da, wo ich hin will, aber auf einem sehr gutem Weg", sagt Siegemund im tennisnet-Gespräch und wirft sich entspannt ein Handtuch über.
Ihr Zu-Tun-Tableau an diesem tristen Januartag ist wie immer lang. "Ich bin gar nicht so ein Fan von Listen, ich höre eigentlich lieber auf mein Körpergefühl", gesteht die Schwäbin. Wohlwissend, dass sie im Kampf um das Comeback nach ihrem im Mai 2017 erlittenen Kreuzbandriss viele Kompromisse eingehen muss.
Siegemund vermisst "ihr täglich Brot"
Doch Siegemund strahlt auch im Labyrinth zwischen den grauen Geräten den ihr ganz eigenen Optimismus aus. "Ich bin überzeugt, dass man aus dieser Zeit auch viel Positives mitnehmen kann", erklärt sie, "ich habe in den vergangenen Monaten bewusst lernen wollen und glaube, dass mich diese Phase persönlich sehr vorangebracht hat." Aber wer die extrovertierte Frau mit dem goldenen Händchen kennt, der weiß, wie gerne sie sich auf dem Platz auspowert. "Das ist mein Spiel" - und ihre blauen Augen strahlen. "Mir fehlt schon etwas, wenn ich von der Bewegung her eingeschränkt bin." Auch die mentale Herausforderung vermisst Siegemund: "Diese Anspannung vor und während des Matches, das ist ja sonst mein täglich Brot."
Die Australian Open (ab 15. Januar) kommen für die Psychologin noch zu früh, obwohl Siegemund seit Oktober auch schon wieder auf dem Court trainiert. "Natürlich versuche ich, so schnell wie möglich fit zu werden, aber es soll auch nachhaltig sein", betont die Siegerin des Porsche Grand Prix' von 2017, die derzeit auf Platz 69 des WTA-Rankings geführt wird.
Theorie = Praxis? "Das ist ja Quatsch!"
Den Tag X ihres Comebacks wird es vermutlich bei einem kleineren Turnier geben - einfach, um in Ruhe und nicht gleich unter dem Brennglas der Öffentlichkeit Matchpraxis sammeln zu können. "Dieses erste Match wird schon etwas Besonderes werden. Aber ich hatte auch in der Reha viele emotionale Momente." Beispiel gefällig? "Es war toll, als ich das erste Mal mit vollem Gewicht auf dem Laufband gerannt bin", erzählt sie, "und im Spiegel sah es aus, als sei nichts gewesen."
Ihr Psychologie-Studium hilft Siegemund in der schwierigen (Aufbau-)Phase. Aber der Lockenkopf weiß auch: Zwischen Theorie und Umsetzung liegen Welten. "Deswegen wird ein Psychologe nicht automatisch ein glücklicherer Mensch sein." Natürlich denken viele, was man studiert hat, muss man auch können. "Das ist ja Quatsch!", winkt die Expertin ab: "Die Umsetzung muss trainiert werden und auch aus dem Herzen kommen."
Touralltag ist derzeit weit weg
Siegemund, der 2016 als Spätzünderin der große Durchbruch gelang, ist keine, die sich nur über ihre Erfolge im Tennis definiert. Es verwundert deshalb auch nicht, dass die einstige Nummer 27 der Welt ihren ungewohnten Rhythmus in den letzten Monaten durchaus zu schätzen wusste. "Der Touralltag ist derzeit sehr weit weg. Und ich genieße es, auch mal eine Regelmäßigkeit im Tagesablauf zu haben. Du kannst gut planen, auch private Aspekte einbauen. Das hat auf der Tour keinen Platz, weil du die ganze Zeit unterwegs bist."
Siegemund nutzte die Zeit und hielt unter anderem Vorträge in Firmen. Es ging dabei um das Thema ihrer Bachelor-Arbeit: Versagen unter Druck. "Den Situationen, denen wir als Profisportler täglich im Wettkampf ausgesetzt sind, sehen viele als Extremfall. Das kommt im normalen Arbeitsleben nicht so häufig vor. Deshalb nehmen es uns die Leute auch ab, wenn wir darüber erzählen."
"Wenn Sie Wimbledon gewinnen, ist alles gut"
Für die Powerspielerin war es auch ein persönlicher Test. Es ging um das Reinschnuppern in das Leben nach der Tennis-Karriere. Und es glückte. "Es war total spannend. Wenn ich Leute abholen und begeistern kann, ist das cool", sagt Siegemund. Ein netter Kellner im Clubrestaurant des VfB Stuttgart holt sie postwendend in die Gegenwart zurück. Als er ihr nach getaner Gym-Arbeit einen Salat mit Scampi serviert, sagt er ganz unverblümt: "Wenn Sie Wimbledon gewinnen, dann ist alles gut!" Siegemund lacht lauthals und bleibt realistisch: "Step-by-Step, das ist die Devise." Theorie und Praxis eben.