Von Ulrike Weinrich aus Frankfurt/Main
"Gänsehaut pur" hatte Angelique Kerber schon vorher - als die entscheidenden Szenen ihres besonderen Tennis-Jahres 2018 auf der riesigen Leinwand im Großen Saal der Alten Oper gezeigt wurden. Noch vor dem Dessert, das aus Schokoladentörtchen mit Goldstaub, Walnusseis und Waldbeeren bestand.
"Ich fühle die Emotionen, die ich zwei Wochen erleben durfte", sagte sie zu den Bildern des Matchballs in Wimbledon am 14. Juli: "Das war ein wunderbarer Moment, es war der schönste Moment meiner Karriere."
James Blunt überreichte den Pegasos - wie passend...ein Brite!
Oben auf der Frankfurter Bühne erlebte "Angie" nach all den berührenden Filmschnipseln aus der Retorte etwas Wahrhaftiges in Echtzeit. Der Schmusesänger James Blunt, musikalischer Stargast der rauschenden Ballnacht mit 2500 Gästen aus Sport, Politik und Gesellschaft, überreichte der 30-Jährigen den "Pegasos" und flüsterte ihr zu: "Phantastisch!" Dass der 43-Jährige Engländer ist, passte in diesem Fall perfekt.
Der Preis sei "nicht für Siege und Rekorde, sondern vor allem für berührende Menschlichkeit, Fairness und Engagement" verliehen worden, hieß es in der Begründung - und weiter: "Wimbledonsieger haben denselben Status wie Olympiasieger: Ein Weltmeister bekommt irgendwann ein entzauberndes 'Ex' angeklebt." Wimbledonsiegerin indes, DAS bleibe man ein Leben lang.
"Bei ihr spürt man immer auch den Menschen" - Patin für UNICEF
"Mit Angelique hat der deutsche Sport eine wunderbare Repräsentantin geschenkt bekommen, die weltweit offene Sympathiebekundungen sammelt, weil man bei ihr auch immer den Menschen spürt", sagt Ball-Organisator Jörg Müller von der Agentur metropress und fügte an: "Ihr Sieg in Wimbledon in diesem Sommer ist die krönende Belohnung für ihren beeindruckenden Mut zur Veränderung nach einer schwierigen Phase."
Die dreimalige Grand-Slam-Siegerin, die im Saal am Tisch mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und Eiskunstlauf-Ikone Katarina Witt saß, fungiert bereits seit einiger Zeit als Patin für das Kinderhilfswerk UNICEF, um sich gegen Kinderarmut und für Mädchenrechte einzusetzen. "Mein ganzes Leben hatte ich stets das Privileg, gefördert zu werden und meine Träume zu verfolgen", erklärte Kerber. Deshalb setzt sie sich für die Organisation ein, und ist Gesicht der #Stop10Seconds- Kampagne mit Mats Hummels und Udo Lindenberg.
"Aufmerksamkeit noch mehr gestiegen" - Noch kein neuer Coach für "Angie"
Beim letzten Termin vor ihrem wohlverdienten Urlaub in sonnigen Gefilden bekam Kerber die Strahlkraft des Wimbledon-Titels zu spüren. Nicht zuletzt in den verwinkelten Gängen in der Alten Oper, in denen sie immer wieder um Selfies gebeten wurde.
"Es hat sich jetzt seit Mitte Juli noch einmal einiges verändert. Die Aufmerksamkeit ist noch mehr gestiegen", betonte die Weltranglistenzweite, die in Frankfurt noch keinen neuen Trainer präsentierte. Erst in den nächsten Wochen soll der Nachfolger von Wim Fissette bekannt gegeben werden. Ende November wird Kerber wieder ins Training einsteigen. Ab 29. Dezember nimmt sie wie im vergangenen Jahr mit Alexander Zverev am Hopman Cup in Perth teil.
"Habe nie aufgehört, an meine Träume zu glauben"
Die Erholung soll diesmal intensiver ausfallen, als im Jahr 2016. Damals gönnte sie sich nach einer formidablen Saison mit zwei Major-Coups und dem Sprung an die Spitze der Weltrangliste nur wenige Tage Urlaub und nahm an etlichen Veranstaltungen teil. Die Konsequenz erlebte sie 2017, als Kerber in der Weltrangliste aus den Top 20 fiel.
Dass die Kielerin dann wieder in altbekannten Ranglisten-Gefilden auftauchte, erfüllt sie auch mit Genugtuung. "Dieses Jahr ist etwas Besonderes für mich, weil ich wieder zurückgekommen bin. Ich habe nie aufgehört, an meine Träume zu glauben. "
Als weit nach Mitternacht DJ "2 Bizzy" in der Clublounge auf der Ebene 5 der Alten Oper zu Höchstform auflief, hatte Kerber schon den Heimweg angetreten. NACH der Saison ist VOR der Saison - irgendwie. Deshalb gilt in den nächsten knapp drei Wochen: Ausspannen und neue Kräfte für 2019 sammeln.
Am 16. Dezember steht in Baden-Baden allerdings ein weiterer wichtiger Termin an. Dort werden dann im Kurhaus die Trophäen an den Sportlerin und den Sportler des Jahres verliehen. Den Pokal von 2016, den hat Kerber bereits Zuhause stehen.