Von Florian Goosmann aus Singapur
Es wäre durchaus spannend, Jelena Ostapenko bei einem Golf- oder Pokerspielchen zuzuschauen. Der Geduldsfaden der Lettin ist... wie soll man's sagen... immer kurz vorm Reißen.
Das ist einerseits beim Tennis selbst zu beobachten, wo es den sicheren oder zumindest einigermaßen neutralisierenden Schlag einfach nicht in ihrem Spiel gibt, aber auch zwischen den Ballwechseln. Vorm Aufschlag MUSS ihr, bitte schön, sowohl vom Ballkind zu ihrer Rechten als auch zu ihrer Linken ein Ball zugeworfen werden, sonst geht's nicht.
Hier, in Singapur, scheinen eben jene Ballkids mit dieser Sonderregelung nicht vertraut. Und so muss Ostapenko recht energisch mit Hand, Fuß und Schläger vermitteln, dass doch bitte zügig ein Ball von rechts nach links gerollt wird, den sie sich dann zuwerfen lassen kann. Zum Ende von Satz eins kann es für sie ohne dieses Prozedere nicht weitergehen, zu Beginn von Satz zwei auch nicht. "Ich bin eine wichtige Person und du nicht", "Großartige Spielerin, keine Manieren", "Wie so viele Tennisspieler zeige ich keinerlei Respekt vor Balljungs und -mädels", bekommt Ostapenko auch direkt via Twitter eingeschenkt.
Zum Ende des Matches scheint ihr dann alles egal, vielleicht hat sie auch keinen Nerv für eine dritte Ballkinder-Quäl-und-Lehrstunde, sodass tatsächlich zwei Bälle von nur einer Seite genügen. Und just wenn man den Verdacht hegt, es könnte auch am 3:6, 1:5-Rückstand liegen und Ostapenko wolle das Match nun einfach schnell beenden, beweist sie einem das Gegenteil.
Trotz Aufholjagd auf 4:5 und Abwehr von zwei Matchbällen reicht es am Ende aber nicht. Im Gegensatz zur offensiven Offensive von Ostapenko hat Garbine Muguruza die kontrollierte Offensive gewählt: 6:3, 6:4, heißt es am Ende, es ist ein guter Sieg für die Spanierin, die ähnlich wie zuvor Karolina Pliskova zwar mutig spielt, aber eben nicht zu wild, und in den wichtigen Phasen gut aufschlägt.
Muguruza aufgeräumt
Muguruza behält somit nach Simona Halep die besten Chancen auf die Nummer eins zum Jahresende, theoretisch können nach wie vor sieben der acht Teilnehmerinnen noch die Nummer eins werden. "Ich wollte so sehr gewinnen, aber sie hat einfach nicht zurückgesteckt", sagte die sehr aufgeräumt wirkende Spanierin nach dem Spiel - und war sich der Gefahr durch Ostapenko bewusst. "Sie hat sehr viel Selbstvertrauen, das macht sie gefährlich."
Ostapenko selbst war frustriert, versuchte aber dennoch, ihr Match zu bewerten. "Ich habe gut aufgeschlagen, aber einfach zu viele unerzwungene Fehler gemacht. Dennoch bin ich froh, dass ich bis zum Schluss gekämpft habe", meinte sie. Vor allem der Platz sei gewöhnungsbedürftig, umso mehr, als dass heute für sie kein Training hierauf möglich gewesen sei. Ihre Zuversicht hat die French-Open-Siegerin jedoch nicht verloren. "Wenn ich die nächsten zwei Matches gewinne, bin ich immer noch im Turnier."
Das nächste Spiel wird am Dienstag gegen Venus Williams anstehen - es sollte vom Spielstil ähnlich verlaufen wie das Match gegen Muguruza. Ostapenko hat jedenfalls noch Potenzial nach oben, was ihr Tennis angeht - womöglich ja auch im Umgang mit den Ballkids.