"Die Enttäuschung sitzt tief"

Angelique Kerber auf der Suche nach der Selbtsverständlichkeit
© Jürgen Hasenkopf

Zweimal en suite hatte Angelique Kerber den Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart zuletzt gewonnen - nach der Auftakt-Niederlage gegen Kristina Mladenovic ist der Frust bei der Weltranglisten-Zweiten groß.

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Von Jörg Allmeroth aus Stuttgart

Ein paar Mal an diesem ziemlich traurigen Abend lehnte sich Torben Beltz weit, sehr weit über die Werbebande hinaus. Es sah beinahe so aus, als wolle der nervöse Trainer von Angelique Kerber im nächsten Moment auf den Stuttgarter Centre Court springen und selbst zum Schläger greifen. Tatkräftige Hilfe hätte Kerber, seine Chefin, auch gut gebrauchen können bei ihrem ersten, auch schon einzigen Turnierauftritt, bei einem sportlichen 5:7, 2:6-Auftaktdesaster gegen die Französin Kiki Mladenovic, das ihre Krise in dieser tiefroten Frust-Saison zuspitzte. "Die Enttäuschung sitzt tief", sagte Kerber später, "das war eins der schlechtesten Spiele der letzten Monate." Schon auf dem Spiel-Platz hatte die 29-jährige Titelverteidigerin ihrem Coach und engsten Vertrauten Beltz freimütig ihr Tennis-Leid geklagt: "Ich bin komplett unsicher. Ich kriege keinen Ball übers Netz", sagte sie da ungeschminkt in die mitlauschenden Mikrofone.

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Was ist nur aus der Spielerin geworden, die im letzten Jahr die Welt des Tennis und des Sports überhaupt verblüffte - erst als Favoritinnenschreck, als Außenseiterin, die keine Angst und Bange vor der Herausforderung gegen die Großen der Branche hatte, nicht mal vor der übermächtigen Serena Williams? Und die später selbst als absolute Spitzenkraft, als Marktführerin souverän und selbstsicher ihre Klasse nachwies, wo und wann immer sie dazu aufgefordert war. Zwei Grand Slam-Turniere gewann Kerber, holte Olympiasilber, erklomm den Gipfel der Weltrangliste, das alles ist keine Ewigkeit her. Doch im Hier und Jetzt, im Frühling 2017, stimmt wenig bis nichts bei Kerber. Überfluss hat nur der Mangel in ihrem Spiel, die Körpersprache ist bedenklich, oft schleicht sie schon mit hängenden Schultern zu ihren Arbeitseinsätzen. "Die Freude scheint weg bei ihr", sagte unlängst die Altvordere Martina Navratilova, "so macht sie niemandem mehr Angst." Und Kerber selbst? Sie sagte nach dem bitteren Aus in Stuttgart, an einer ihrer Lieblingsstätten im Tennisjahr, dort, wo sie die letzten beiden Turniere gewonnen hatte: "Ich habe keinen Rhythmus, kein Gefühl. Es kommt nichts zusammen."

Wenig Respekt

Das bleibt schon gar gar nicht den Topspielerinnen verborgen, die Kerbers Beklemmungen und Zweifel spüren. Und die jeglichen Respekt vor der verletzten Leitwölfin verloren haben. Schwarz auf weiß ist das auch eindrucksvoll belegt, eindrucksvoll freilich nur für Kerbers Gegnerinnen: Neunmal trat die Kielerin in diesem Jahr gegen Konkurrenz aus den Top 30 an, nur einmal gewann sie, gegen die Nummer 25, die Spanierin Carla Suarez-Navarro. Aber sonst: Nur Fehlschläge, keine wichtige Leistungssteigerung gegen die Elite. Keine Big Points, wenn es drauf ankam, wenn es wirklich zählte. Stuttgart, die Pleite, der schockierende Auftritt gegen Mladenovic, war nicht die verschmerzbare Ausnahme, sondern eher der Regel-Fall in dieser Saison. Sicher, Kerber hat auch einige Plusnoten gesammelt, als Halbfinalistin in Dubai, als Finalistin jüngst im mexikanischen Monterrey, aber für eine Nummer 2 der Welt genügt diese Bilanz nicht. Sie genügt, ganz nebenbei, auch nicht dem Anspruch, den Kerber selbst inzwischen an sich stellt.

Was aber läuft denn nun schief und gegen den Plan im Tennis-Unternehmen Kerber? Hängt das alles wirklich nur mit dem ominösen Druck zusammen, mit der Rolle der Gejagten im Wanderzirkus? Kerber war noch nie eine Spielerin, der alles zugefallen wäre, sie musste sich über viele Jahre schwer jene Fitness, Autorität und Nervenkraft erkämpfen, die sie letztes Jahr so gewinnbringend in den Topmatches einsetzte. Doch die Saison 2016, ebenso sonnig wie strapaziös, hinterließ Spuren. Und wenn Kerber sich nicht sicher ist, nicht sicher sein kann, dass sie alle körperlichen Ressourcen in Matches einbringen kann, flattert auch ihr Nervenkostüm. "Sie wirkt oft ein wenig müde, dazu dann auch blockiert", sagt der Trainer einer Top-Ten-Konkurrentin, "vielleicht ist das der Tribut, den sie für das letzte Riesenjahr zahlt."

Fehlende Überzeugung

Man kann nicht ganz ausblenden, dass Kerber auch ein wenig darunter leidet, wie sehr sie in der PR- und Vermarktungsmaschinerie ihrer Spielerinnen-Organisation WTA beansprucht wird. Die Deutsche beteuerte anfangs zwar lächelnd, wie sehr ihr die neue Aufmerksamkeit und auch manche Termine im Rampenlicht gefielen, aber irgendwann nutzte sich der Erlebniswert ab - aus der Lust, ganz vorne und im Blickpunkt zu stehen, wurde die Last der vielen, zu vielen Sponsoren- oder Presseverpflichtungen. Oft war zuletzt spürbar, dass Kerber lieber Zeit für sich selbst, für weitere Trainingsarbeit oder auch Ruhepausen, also für die eigene Tennis-Firma gehabt hätte. Sie spiele "sehr gut" im Training, sei "gut vorbereitet" auch für Stuttgart gewesen, sagte sie am Donnerstagabend, auf dem Tiefpunkt der Serie 2017, aber es klang wie einstudiert. Nicht vorgetragen mit innerer Überzeugung.

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