Als Boris Becker 1985 den deutschen Tennis-Urknall auslöste, als 17-jähriger Himmelsstürmer auf dem Rasen von Wimbledon, da prägte ein amerikanisches Blatt die ebenso legendäre wie weise Schlagzeile zum Grand-Slam-Coup: "Er war zu jung, um zu wissen, dass er zu jung war, um Wimbledon zu gewinnen." Ein paar Jahre vorher hätte diese Analyse genau so trefflich gepasst, jedenfalls wenn man der Frau glaubt, die 1979 die US Open in New York gewann - mit gerade mal 16 Jahren, mit Zahnspange und wehenden Zöpfen. "Ich brauchte eine gute Portion Naivität damals", sagt Tracy Austin, "ich konnte überhaupt nicht einschätzen, wie wichtig und schwierig es eigentlich ist, bei so einem Turnier zu siegen." Es sei ein Moment gewesen, "der das ganze Leben veränderte", so Austin: "Aber zum Glück war ich mir dieser Tragweite überhaupt nicht bewusst."
Sie steht auch heute noch in den Rekordlisten und Geschichtsbüchern des Tennis, diese Bestleistung, keine hat die herausfordernden US Open in jüngeren Jahren gewonnen als eben jene Tracy Ann Austin aus dem kalifornischen Rolling Hills. Sie war auch das erste Wunderkind des Wanderzirkus, eine Teenager-Sensation. Und dort, wo alles mit dem ersten hochkarätigen Sieg anfing für sie, beim Porsche Tennis Grand Prix, war sie im Jahr des 40. Turniergeburtstages der willkommene Ehrengast: Nicht nur den Premierenwettbewerb gewann die US-Amerikanerin ja im zarten Alter von 15 Jahren, sondern auch noch die Turniere 1979, 1980 und 1981. "Ich hatte schon vier Porsche in der Garage stehen, als ich noch gar keinen Führerschein hatte", sagt Austin.
"Die Welt macht Platz für den, der seinen Weg kennt"
Ende der 70er-Jahre war sie das Phänomen der Szene, vor allem, weil sie es auch noch schaffte, die beiden marktbeherrschenden Spielerinnen jener Zeit aus den Führungsrollen zu verdrängen: Mit 17 Jahren eroberte Austin Platz eins der Weltrangliste, ein Mädchen damals, das zwar nicht mit verbissenem Ehrgeiz, aber mit unvergleichlicher Professionalität hohe und höchste Ziele anvisierte. Alles unter dem Motto, das sich auf einem Schriftzug fand, der an ihrer Schlafzimmerwand hing: "Die Welt macht Platz für den, der seinen Weg kennt."
Austin ist immer wieder in der Welt des Hochleistungstennis unterwegs. Aus vielerlei Gründen. "Ich bin immer noch und immer wieder von diesem Sport fasziniert", sagt die 54-Jährige, "nicht nur auf Profiebene. Er ist für jeden auch eine Schule fürs Leben. Ganz einfach, weil du ganz allein mit dir und allen Prüfungen zurechtkommen musst." Tennis spielte im Elternhaus von Austin eine zentrale Rolle, und er nimmt auch jetzt bei ihrer eigenen Familie einen wichtigen Platz ein. Einer ihrer drei Söhne, Brandon, gehört inzwischen zu den talentiertesten Juniorenspielern der USA, und bei den US Open traten Mutter und Sohn sogar schon einmal hintereinander auf einem Platz an, Brandon im Nachwuchswettbewerb, sie selbst in der Legenden-Showkonkurrenz. "Ich war so nervös, dass ich mich nicht mehr auf mein eigenes Spiel fokussieren konnte", sagt Austin. Sie versucht, für den Sohn das zu sein, was ihre Mutter Jeanne einst für sie selbst war: eine aufmerksame, leidenschaftliche Karriere-Begleiterin. Aber keine drängelnde, fordernde, zu engagierte Mama. "Ich hatte nie das Gefühl, Tennis für jemand anderen spielen zu müssen", sagt Austin, "mein Impuls für dieses Leben kam aus mir selbst."
Die berühmte Fehleinschätzung
Austin, jüngstes von fünf Kindern einer tennisbegeisterten Familie, ist froh, dass Tenniskarrieren heute einen anderen Zeithorizont haben. "Die Zeit der sogenannten Wunderkinder ist vorbei", sagt die 30-malige Turniersiegerin, "der Sport ist physisch heute so anspruchsvoll geworden, dass man länger braucht, um sich in die Spitze zu spielen. Und sich dann länger oben festzusetzen." Austin war 17, als sie Platz eins der Weltrangliste erklomm, Angelique Kerber dagegen 28 - doch für die US-Amerikanerin ist das ein eher erfreulicher Fakt: "Ich glaube, dass man in diesem Alter solche Erfolge noch mehr wertschätzen und genießen kann", sagt Austin, "außerdem können die Spielerinnen inzwischen viel länger auf der Tour bleiben, bis Mitte Dreißig." Austin selbst stoppte ihre Karriere früh zum ersten Mal, 1983, mit 20 Jahren. Danach versuchte sie sich noch an Comebacks, wurde aber 1989 dabei auch durch einen schweren, nicht selbst verschuldeten Autounfall gebremst.
Heute arbeitet Austin auch als geschätzte, global engagierte TV-Expertin, ob nun für die BBC, ESPN oder den australischen Channel Seven. Anders als viele Ex-Profis in diesem Job urteilt sie klar, konstruktiv und kritisch. Eine gravierende Fehleinschätzung, wie sie ihr Anfang der 80er-Jahre noch als Spielerin unterlief, passierte ihr noch nicht. 1982, nach einem glatten Zwei-Satz-Sieg gegen Steffi Graf in Filderstadt, hatte Austin gesagt, in den USA gebe es Hunderte Mädchen mit Grafs Spielstärke und Format. Austin lächelt, wenn sie an diese Episode erinnert wird: "Steffi hat es mir längst verziehen. Sie ist eine der Größten unseres Sports geworden."
Der Porsche Tennis Grand Prix im Überblick