Von Ulrike Weinrich aus Stuttgart
Nach 1:17 Stunden verwandelte Kerber ihren dritten Matchball und zeigte die Siegerfaust. In ihrer Box freute sich auch ihre aus Polen angereiste Oma Maria. Nach den beiden Fed-Cup-Niederlagen vom Wochenende gegen Kvitova und Karolina Pliskova feierte Kerber damit ihren ersten Sieg in der diesjährigen Sandplatzsaison.
"Das war kein einfaches Match für mich, aber ich bin einfach raus gegangen und habe versucht, die Energie des Publikums mitzunehmen", sagte Kerber: "Die ersten Runden sind immer die schwersten für mich. Umso glücklicher bin ich, dass die erste Hürde jetzt geschafft ist."
Sie löst damit am kommenden Montag Julia Görges als deutsche Nummer eins wieder ab. Die Wahl-Regensburgerin war am Dienstag überraschend schon in der ersten Runde gegen die Qualifikantin Marketa Vondrousova aus Tschechien (2:6, 2:6) gescheitert.
Kerber hatte die Erwartungen gedämpft: "Ich mache mir nicht den großen Druck"
Die 30-jährige hatte das diesmal mit 816.000 Dollar dotierte Hallensandplatz-Turnier in der Schwabenmetropole 2015 und 2016 zweimal in Folge gewonnen. Trotzdem hatte sie unmittelbar vor Beginn ihrer Asche-Saison die Ziele klein gehalten. "Sand ist sicher nicht mein Lieblingsbelag. Ich mache mir deshalb nicht den großen Druck und habe nicht zu hohe Erwartungen", hatte "Angie" gesagt, aber angekündigt: "Ich nehme die Herausforderung an und denke, dass es von Match zu Match besser wird."
In das zweite Linkshänderinnen-Duell mit Kvitova binnen vier Tagen startete Kerber etwas nervös. In ihrem ersten Servicespiel erlaubte sich die Weltranglistenzwölfte zwei Doppelfehler, brachte ihren Aufschlag aber trotzdem durch. Kvitova wirkte nicht so stabil wie noch am Wochenende und leistete sich einige leichte Fehler.
Kerber steigert sich im Laufe des Matches - Kvitova nicht so stabil wie zuletzt
Gleich beim ersten Breakball von Kerber patzte die zweimalige Wimbledongewinnerin, als sie eine Rückhand weit ins Aus schlug. Kerber zeigte daraufhin erstmals die Faust und pushte sich. Mit einem ihrer unwiderstehlichen Vorhand-Longline-Winner erarbeitete sie sich nach gut einer halben Stunde den ersten Satzball. Kvitovas Vorhand segelte beim nächsten Ballwechsel ins Aus - und die mit 4500 Zuschauern ausverkaufte Porsche Arena bebte zum ersten Mal an diesem Tag so richtig.
Kerber wurde danach auch in den Grundlinienduellen immer sicherer und zeigt eine deutlich verbesserte Körpersprache. Beim 2:1 breakte sie die immer müder werdende Tschechin erneut - es war eine Vorentscheidung, weil sich der Publikumsliebling danach kaum mehr Schwächen erlaubte und überzeugen konnte.
Die US-Open-Gewinnerin von 2016 hatte bei ihren bislang sechs Turnierteilnahmen 2018 immer mindestens das Viertelfinale erreicht - das Event in Sydney zu Jahresbeginn hatte sie gewonnen - und wenig später bei den Australian Open nur hauchdünn das Endspiel verpasst.
Coach Wim Fissette glaubt: "Sand kann aus Angie eine bessere Spielerin machen"
Ihr Coach Wim Fissette hatte sich mit Blick auf die Sandplatzsaison durchaus positiv geäußert. "Das ist jetzt eine wichtige Zeit. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sand aus Angie eine bessere Spielerin machen kann. Weil sie dort bestimmte Sachen trainieren muss, die sie auf Rasen und Hartcourt auch braucht - und die sie dort besser spielen lässt", sagte der Belgier.
Allerdings hatte Fissette eingestanden, dass Asche der "schwierigste" Belag für seinen Schützling sei. "Das ist deutlich, deshalb sind unsere Erwartungen auch nicht so hoch wie auf Hartplatz oder Rasen", betonte der 38-Jährige und fügte an: "Auf Gras spielt sie natürlich sehr gerne und spürt gleich das Vertrauen. In den letzten Jahren hat ihr auch ein bisschen die Power gefehlt, um auf schweren Sandplätzen erfolgreich zu sein."
Motivation auch auf der ungeliebten Asche bei "100 Prozent"
Fissette betonte, dass Kerbers Motivation auch auf der ungeliebten Asche bei "100 Prozent" sei. "Aber sie hat auf Rasen natürlich so gute Erfahrungen - und auch auf Hartplatz. Auf Sand dagegen fehlen diese richtig guten Erfahrungen, vor allen Dingen bei den Turnieren in Rom, Madrid und bei den French Open", meinte er.
Als Kerber in diesem Jahr nach Melbourne gekommen sei und den Centre Court gesehen habe, "da kamen die ganzen Erinnerungen von ihrem Grand-Slam-Sieg 2016 zurück", berichtete Fissette: "Wenn sie jetzt nach Paris kommt, dann hat sie diese positiven Erinnerungen nicht - noch nicht. Vielleicht holt sich Angie diese Erinnerungen ja in diesem Jahr."