Das letzte Hurra des Undertakers?

Von Maurice Kneisel
Die WrestleMania-Bilanz des Undertaker steht bei 23-1
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In der Nacht von Sonntag auf Montag trifft der legendäre Undertaker bei WrestleMania 33 im Camping World Stadium von Orlando, Florida, auf Roman Reigns. Es wird das 25. Match des mittlerweile 52 Jahre alten Phenoms beim größten Wrestling-Event des Jahres und könnte gleichzeitig sein letztes sein - doch für seinen Gegner steht ebenfalls viel auf dem Spiel.

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Ein erster Gongschlag, das Licht erlischt. Jubel brandet durch die Halle. Ein zweiter Gongschlag, das Licht geht für einen kurzen Moment wieder an, beginnt zu flackern. Ohrenbetäubender Jubel begleitet die dumpfen ersten Orgelklänge von "Rest in Peace", dem wohl legendärsten Entrance Theme der Pro-Wrestling-Geschichte. Die Halle wird in tiefdunkles Blau getaucht, auf dem Titantron erscheinen Blitze und die Rampe füllt sich mit Nebel, während an beiden Seiten Flammen in die Höhe schießen.

Im nächsten Moment betritt Mark Calaway, den Hardcore- und Casual-Fans besser unter seinem Ringnamen The Undertaker bekannt, die Bühne und beginnt seinen jedes Mal aufs Neue Gänsehaut erzeugenden Gang Richtung Ring. Dieser Einzug ist legendär, zeitlos, unvergesslich. Er hat aus dem mittlerweile 52-Jährigen eine Ikone gemacht, die andere große Namen wie Hulk Hogan, The Rock oder Stone Cold Steve Austin überdauert.

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Schon 1984 begann der Deadman seine Wrestling-Karriere, bevor er am 19. November 1990 in der World Wrestling Federation (heute World Wrestling Entertainment) debütierte. Es folgte ein kometenhafter Aufstieg, wie er den Allerwenigsten im Geschäft vergönnt ist. Bis heute gewann der 2,08 Meter große Hüne siebenmal die World Championship, siebenmal den Tag-Team-Titel, einmal die WWF Hardcore Championship und 2007 den Royal Rumble.

Das Ende des Streak - und der Karriere?

Doch mehr als über diese Titelgewinne definiert sich die Karriere des Phenom über seinen legendären WrestleMania-Streak: Zwischen 1991 (WrestleMania VII vs. Jimmy "Superfly" Snuka) und 2013 (WrestleMania 29 vs. CM Punk) bleib er beim "Showcase of the Immortals" ungeschlagen, seine Bilanz stand nach dem Duell gegen CM Punk bei 21-0. Kein anderer Wrestler in der WrestleMania-Historie kann eine auch nu ansatzweise ähnliche Serie aufweisen. Lange galt als sicher, dass diese niemals reißen würde - bis Brock Lesnar sie am 6. April 2014 bei WrestleMania XXX in New Orleans, Louisiana mit einem F-5 beendete und die gesamte Fangemeinschaft im Mercedes-Benz Superdome sowie vor den heimischen Bildschirmen in Schockstarre zurückließ.

21-1 und der vielleicht größte Schockmoment der Wrestling-Geschichte - es hätte das Ende einer unvergesslichen Karriere sein können. Und vielleicht auch sollen. Denn der in Houston, Texas geborene Undertaker hat nicht nur eine imposante Match-Statistik, auch seine Krankenakte ist endlos. Die vielen Jahre im Ring, die unzähligen Matches und der für einen Mann seiner Statur spektakuläre Stil haben ihren Tribut gefordert. Immer wieder musste der Sensenmann verletzungsbedingt aussetzen und sich Operationen unterziehen.

Infolge seines Auftritts beim diesjährigen Royal Rumble soll er laut Berichten der Sun und von WhatCulture.com erneut eine Hüft-OP benötigen, es wäre bereits die zweite seit vergangenem Herbst. Nach seinen Kurzauftritten bei den jüngsten Raw-Ausgaben soll er backstage über starke Schmerzen geklagt haben und wurde sogar an Krücken gesichtet. Sein Auftritt bei WrestleMania stand wochenlang in Frage - es wird spekuliert, dass er sich nach seinem anstehenden Match eine künstliche Hüfte einsetzen lassen muss, was wohl gleichbedeutend mit seinem Karriereende wäre.

Der vierfache Familienvater, der nach dem Streak-Ende noch zwei weitere WrestleMania-Siege einfuhr - 2015 gegen Bray Wyatt und 2016 in einem Hell in a Cell-Match gegen Shane McMahon - reist mit einer Bilanz von 23-1 nach Orlando. Sein Auftritt am Sonntag wird somit der 25. seiner Karriere und wäre, ergebnisunabhängig, ein krönender Abschluss.

Reigns um jeden Preis

Die unzähligen Undertaker-Fans wünschen sich selbstverständlich einen 24. Sieg ihres Lieblings. Auch deshalb, weil er auf einen der am stärksten polarisierenden Superstars überhaupt treffen wird: Roman Reigns. Der 31-jährige ehemalige American Football-Profi erlebte infolge des Splits der extrem populären Gruppierung The Shield ebenfalls einen kometenhaften Aufstieg, allerdings mit völlig anderem Effekt als vor 26 Jahren beim Undertaker.

Zwar stehen auf dem Konto von Reigns, der erst am 18. November 2012 im Main Roster debütierte, bereits drei World-Title-Gewinne, ein Royal-Rumble-Sieg sowie jeweils eine United-States- und Tag-Team-Titelregentschaft, doch ein großer Teil des Publikums weigert sich lautstark, ihn als neues Aushängeschild der WWE anzunehmen.

Grund dafür dürfte weniger Reigns selber sein, sondern die Art und Weise, in der die WWE das Mitglied der legendären Anoa'i-Familie, zu der unter anderem auch The Rock, Hall of Famer Yokozuna sowie die aktuellen SmackDown-Tag-Team-Champions The Usos zählen, gepusht hat. Ab dem Shield-Split im Juni 2014 schien offensichtlich, dass es für ihn nur noch eine Option gab: nämlich den Platz an der Spitze. Um jeden Preis.

Der Superman-Faktor

Entsprechend fehlte das Gefühl, der "Big Dog" habe sich diese Position verdient, sondern sie nur aufgrund seiner Herkunft und seines Looks erhalten. Er stieg damals prompt ins Titelrennen ein, erhielt am Jahresende den Slammy als "Superstar of the Year", dessen Legitimität vielfach hinterfragt wurde, und gewann Anfang 2015 mit Ansage den Royal Rumble, mitten im unvergesslichen YES-Movement rund um Publikumsliebling Daniel Bryan.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte Roman bei großen Teilen des Publikums nicht mehr punkten. Dies zeigt sich auch darin, dass er 2015 von der renommierten Pro Wrestling Illustrated zum am meisten verbesserten Wrestler des Jahres gekürt wurde - und nur ein Jahr später zum meist gehassten.

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Zum zuvor beschriebenen Umstand, wonach er sich aus Sicht vieler Fans seine Sporen im Ring nicht verdient habe, kommt der Umstand, dass Reigns' Push stark an den von John Cena in der letzten Dekade erinnert: Er befreit sich auch nach unzähligen kassierten Finishern aus (fast) jedem Pinversuch und wirkt aalglatt - eben wie der unbesiegbare Superman, den sein Vorgänger als Franchise Player über Jahre verkörperte und gegen den das Publikum seinerzeit ebenfalls massiv Stimmung machte.

Ironischerweise galt Cena lange Zeit als heißester Kandidat für das diesjährige Undertaker-Match. Ausgerechnet jener John Cena also, der diese Form der "Heat", also die Abneigung des Publikums, schon Jahre vor Reigns' Verpflichtung zog. Heute wird er auch von einem Großteil seiner früheren Kritiker als guter Wrestler anerkannt. Die regelmäßigen "John Cena sucks"-Sprechchöre wirken mittlerweile, ähnlich wie früher das "You suck" bei Kurt Angles Entrance, mehr wie ein Running Gag - auch da Cena sie selber anheizt.

Legende vs. Zukunft

All dies verdeutlicht Reigns' Hauptproblem: Er ist ein Opfer des überhasteten und lieblosen Bookings seiner Vorgesetzten und zudem in einer Zeit aktiv, in der die Wrestlingfans sich längst abgewendet haben von der Rollenverteilung in Gut und Böse. Dabei ist der 1,91 Meter große Roman durchaus beliebt, seine T-Shirts zählten laut Wrestling Observer Newsletter 2015 und 2016 jeweils zu den Top Fünf der meistverkauften. Allerdings kommt er wie Cena eher bei den jüngeren Fans und Familien an, die ihrer Begeisterung deutlich weniger lautstark Ausdruck verleihen als die sogenannten Smark Marks, eine demografische Gruppe, die im Durchschnitt männlich und zwischen 18 und 34 Jahren alt ist.

Eben diese Fans werden auch bei WrestleMania 33 wieder ihrem Unmut Luft machen und Reigns in Grund und Boden buhen. Ein Umstand, den sich die WWE durchaus zunutze machen kann und dies beim Royal Rumble im Januar, als Roman als Nummer 30 in das Match kam und den Undertaker eliminierte, bereits tat. Er wirkt nicht mehr so "babyfacig" wie in den letzten Jahren. Bei der letzten Raw-Ausgabe vor WrestleMania trat er dem Deadman sogar in Heel-Manier gegenüber.

Die Verantwortlichen müssen sich - vorausgesetzt der Undertaker tritt nach WrestleMania 33 tatsächlich ab - nun entscheiden, was für sie Priorität hat: ein finaler Sieg des wohl größten Gimmicks der Wrestling-Geschichte, oder ein Erfolg für den Mann, den sie als ihr neues Aushängeschild auserkoren haben.

Letztes wird nicht ohne Konsequenzen bleiben, denn die Ressentiments gegen Reigns würden nach einem Sieg noch weiter zunehmen. Was der ideale Zeitpunkt für den Heelturn wäre, also die Wandlung zum Bösewicht. Schließlich verkörperte auch Cena zu Anfang seiner Karriere einen Bösewicht und weder The Rock noch Steve Austin oder gar der Undertaker, wären wohl zu den Ikonen geworden, die sie heute sind, wenn sie nicht auch unvergessliche Runs als Top-Heels eingelegt hätten.

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