"LeBron James? Da platzt mir der Kragen!"

Marcus Blumberg
08. September 201709:48
Jochen Reimer spielt ab 2017 für den ERC Ingolstadtimago
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Jochen Reimer spielt seit dieser Saison für den ERC Ingolstadt und spricht mit SPOX über seine Sportleidenschaft, die weit über das Eishockey hinausgeht. Er verrät, wie er die Chancen seines Teams in der DEL (ab 19.30 Uhr im LIVETICKER) bewertet und was er von der derzeitigen NBA hält. Zudem erklärt der Goalie, warum er den Sprung über den großen Teich nicht gewagt hat.

SPOX: Herr Reimer, Sie haben uns in einem früheren Interview bereits einiges über Ihre Leidenschaft zum Baseball erzählt. Aber wie steht es denn eigentlich bei Ihnen um die anderen US-Sportarten?

Jochen Reimer: Ich mag sie alle! Eishockey sowieso, das ist klar. Wobei ich sagen muss, dass ich in den letzten Jahren vom Basketball ein bisschen weggekommen bin. Ich weiß nicht, ob ich hier etwas Falsches sage, aber ich war früher großer Basketballfan. Und College Basketball als Sport finde ich toll. Aber die NBA sagt mir nicht mehr so zu.

SPOX: Woran liegt das?

Reimer: Erstens wird da keine Defense mehr gespielt, zweitens finde ich diese ganze Show mittlerweile völlig übertrieben.

SPOX: Woran machen Sie das fest?

Reimer: Es gibt ein Interview mit Sidney Crosby. Da sagt derjenige gefühlt 25 Mal "wir". Und dann schaue ich mir ein Interview mit LeBron James an, in dem er eigentlich nie "wir", sondern nur "ich" sagt. Da platzt mir dermaßen der Kragen! Das ist so ein egoistischer Sport mittlerweile. Nehmen Sie Kyrie Irving, der wollte den Wechsel, um selbst zum Superstar zu werden.

SPOX: Gleiches gilt wohl für die Hysterie um Westbrooks Triple-Doubles und die ganze Maschinerie, die dahinter steht.

Reimer: Genau. Da geht es nicht mehr um den Teamsport, da geht es mehr darum, dass James Harden jetzt über 200 Millionen Dollar verdient. Das ist wichtiger. Außerdem bin ich der Meinung, dass Spieler mittlerweile entscheiden, wer den Titel gewinnt. Beim Eishockey mit der Salary Cap brauchst du Jahre, um dir etwas aufzubauen. Beim Basketball ruft halt ein Curry einen Durant an und sagt: "Du, bei uns ist es cool, komm doch!" Und der antwortet: "Gute Idee, komme ich eben zu euch!" Das hat mich über die letzten Jahre gestört. Und...

Jochen Reimer spielt ab 2017 für den ERC Ingolstadtimago

SPOX: Bitte.

Reimer: ... überlegen Sie sich mal, wie schwierig es etwa im Baseball ist, in die Playoffs zu kommen. In der NBA hingegen schaffen es Mannschaften, die unter .500 sind - du verlierst mehr Spiele als du gewinnst und kommst in die Playoffs! Das darf ja eigentlich nicht sein. Aber nichts gegen den Sport an sich. Den Sport finde ich absolut super. March Madness finde ich brutal und schaue mir jedes Spiel an. In der NBA jedoch plätschert die Vorrunde quasi vor sich hin. In den Playoffs wird es auch nicht besser, da gibt es dann einen Sweep nach dem anderen.

SPOX: Die NHL-Playoffs scheinen deutlich mehr Spannung mit sich zu bringen als die in der NBA.

Reimer: In der NHL schlägt oft der Achte den Ersten. Das kommt in der NBA nie vor. Da kann man eigentlich darauf wetten, dass das vier Spiele sind und weiter geht's.

SPOX: Zudem ist es äußerst schwierig, seinen Titel in der NHL zu verteidigen. Mir fällt jetzt kein Stanley-Cup-Sieger der letzten Jahre ein, der nicht stark von den Rollenspielern abhängig war.

Reimer: Sie müssen nur mal schauen, wer in den wichtigen Spielen die Tore schießt. Das ist immer ein Spieler aus der dritten oder vierten Linie. Und in der NBA gibt es eben zwei Superstars und die anderen arbeiten für sie. Heutzutage gibt es eben die Superteams und sonst nicht mehr viel. Im letzten Jahr hätte ich alles, was ich habe, darauf gewettet, dass die Cavaliers und Warriors das Finale erreichen. Und mit der Wette wäre ich nicht allein gewesen.

SPOX: Lassen Sie uns auf Ihren Kernsport - das Eishockey - zu sprechen kommen. Sie sind im Sommer zum ERC Ingolstadt gewechselt. Haben Sie sich dort schon eingelebt?

Reimer: Ja schon. Wir sind jetzt seit einigen Wochen zusammen und haben diverse Vorbereitungsspiele gemacht. Das geht immer relativ schnell. Eishockey ist eine verhältnismäßig kleine Gruppe, da kennt man sich vorher schon irgendwie. Man hat mit einem gespielt, den der andere auch kennt. Das Kennenlernen geht da recht schnell.

SPOX: In der Vorsaison sind Sie mit den Nürnberg Ice Tigers in der Vorschlussrunde gescheitert. Wie schätzen Sie Ihre Chancen mit Ihrem neuen Team ein?

Reimer: Ich glaube, dass wir ähnliches Potenzial haben wie letztes Jahr mit den Ice Tigers, sodass wir bis ins Halbfinale kommen. Aber wir haben auch eine lange Saison, da kann natürlich viel passieren. Ich glaube, dass es das große Ziel ist, sich für die Playoffs zu qualifizieren. Danach ist es im Eishockey tatsächlich so, dass jeder jeden schlagen kann. Gerade in den Playoffs kommt sehr viel auf die Tagesform an. Doch zunächst müssen wir uns für die Playoffs qualifizieren.

SPOX: Direkt gefragt: Sind die Bullen aus München zu stoppen?

Reimer: (lacht) Das wird ganz schwierig. Sie haben zwei Jahre in Folge den Titel ziemlich souverän geholt. Zur neuen Saison haben sie kaum Leute ausgetauscht und sich eher noch verstärkt. In der Vorbereitung zeigte der EHC auch schon wieder gute Frühform und schickte den Schweizer Meister SC Bern mit 7:2 nach Hause. Mit den Bullen wird wieder zu rechnen sein.

SPOX: Ihr Bruder Patrick spielt weiterhin in Nürnberg. Freuen Sie sich schon auf das nächste Duell, haben Sie vielleicht sogar eine Wette laufen?

Reimer: Nein. Ich spiele nun seit zwölf Jahren in der DEL, davon haben wir sechs Jahre zusammen gespielt und eben auch sechs als Gegner. Das ist nicht mehr neu. Klar werden es vier interessante Spiele. Aber das Bruder-Duell spielt sich hauptsächlich in den Medien ab. Für uns ist das eher nervig.

SPOX: Eine echte Bruderrivalität gibt es also nicht?

Reimer: Überhaupt nicht. Das ist bei uns überhaupt kein Thema. Wir machen uns eher Sorgen um unsere Mama, weil die vor solchen Spielen immer ganz aufgeregt ist. Ansonsten ist das gar keine große Sache.

SPOX: Hand aufs Herz: Sie sind ja großer USA-Fan. Wie sehr war es denn eigentlich bei Ihnen Thema, selbst mal in den USA zu spielen? Und sei es nur, um mal in den Minor Leagues die Chance zu suchen. Das war für Sie doch sicher ein großer Traum.

Reimer: Das war definitiv ein Thema. Gerade in jüngeren Jahren. Ich weiß nicht genau, warum es nicht geklappt hat, aber - und das war bei meinem Bruder ähnlich - wir sind vielleicht nicht früh genug von daheim weg gekommen. Wir sind nicht unbedingt belächelt worden, aber wir wurden vielleicht einfach übersehen.

SPOX: Sind Sie vielleicht zu spät ins Profigeschäft eingestiegen?

Reimer: Ich würde sagen, wir haben den Sprung nicht zu spät geschafft. In meinem ersten DEL-Jahr war ich 21, was jetzt nicht unbedingt spät ist. Mein Bruder war 23.

SPOX: Woran hat es dann gefehlt?

Reimer: In der Zeit davor waren wir nie so wirklich im Blickfeld. Und in dem Zeitraum wird man eben gedraftet. Daher war das vorher nie ein Thema. Als ich dann doch mal auf höherer Ebene wahrgenommen wurde, war ich schon Mitte, Ende 20. Und in den Staaten kamen dann schon wieder so viele junge Spieler nach, denen man eher eine Chance gibt.

SPOX: Gab es denn in dieser Phase konkrete Angebote aus den USA?

Reimer: Ja, ich hatte vor ein oder zwei Jahren ein Angebot aus der AHL (American Hockey League, die oberste Minor League unterhalb der NHL, Anm. d. Red.), um dort zu spielen und dann mal zu schauen. Ich habe mich jedoch eher für die Sicherheit hier entschieden.

SPOX: Und mit Sicherheit meinen Sie die finanzielle, oder?

Reimer: Genau. In der AHL ist das Gehalt auf einem Niveau, dass man sich zwar was zu essen kaufen kann, aber großartige Sprünge macht man damit nicht. Wenn man tatsächlich den Sprung in die NHL schafft, kann man sich entspannt zurücklehnen. Aber wenn nicht, dann wird es schwierig. Und da habe ich mich dann eher für die sichere Variante in Deutschland entschieden.

SPOX: Haben Sie danach noch oft über diese Entscheidung nachgedacht?

Reimer: Ich mache mir noch heute ab und zu Vorwürfe, da ich das ganz gern ausprobiert hätte. Aber jetzt ist es auch schon zu spät.

SPOX: Der Weg ist aber auch ein extrem komplizierter. Und es gibt ja auch viele Unwägbarkeiten. Schauen Sie sich nur Tom Kühnhackls Karriere an, der war quasi unterhalb der AHL angesiedelt, war im Grunde weg vom Fenster und dann kam der richtige Trainer im richtigen Zeitpunkt.

Reimer: Oh ja, bei ihm hat jeder damit gerechnet, dass er in München, Mannheim oder Köln unterschreibt für die nächsten Jahre. Und dann ist er doch drüben geblieben, hat sich durchgesetzt und lacht jetzt alle aus mit seinen zwei Stanley-Cup-Ringen. So schnell kann es gehen.

SPOX: Aber die Regel ist so ein Weg eben auch nicht.

Reimer: Richtig, es geht auch andersherum. Manche können einfach nicht loslassen, obwohl es nicht klappt. Und irgendwann sitzen sie da, sind 36, haben keinen Euro auf dem Konto und müssen schauen, wo sie bleiben.

SPOX: Abschließende Frage: Woher kommt eigentlich Ihr Spitzname "Joker"?

Reimer: Das ist witzig. Der, der mir den Spitznamen gegeben hat, war derjenige, der mich zum ersten Angels-Spiel (die Los Angeles Angels aus der MLB, Anm. d. Red.) meines Lebens mitgenommen hat - Greg Johnson. Wir haben so viele Amerikaner in der Mannschaft und "ch" können die überhaupt nicht aussprechen. Sie sagten "Joken", "Joka" - und irgendwann hat Greg gesagt: "Du bist jetzt der Joker!" Da war ich 19 Jahre alt, heute bin ich 32. Seitdem habe ich den Spitznamen.