Schalke, Schlachten und ein Wunder

Felix Götz
05. Mai 201616:43
Das DEB-Team gewann bei den Olympischen Spielen 1976 mit 4:1 gegen die USAimago
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Am Samstag startet das DEB-Team mit dem Spiel gegen Frankreich (15.15 im LIVETICKER) in die WM in Russland. SPOX nutzt die Gelegenheit und blickt auf grandiose und kuriose Auftritte deutscher Eishockey-Nationalteams zurück. Mit dabei: Das Torquotienten-Wunder von Innsbruck, die Schlacht von Mannheim, der Schalke-Rekord, Tauwetter und das Kunststück, mit fünf Klatschen und nur einem Sieg eine Silbermedaille zu gewinnen.

Das Wunder von Innsbruck

Olympia 1976 in Innsbruck - Bronze

Innsbruck, 1976. Mit miserablen Ergebnissen in der Vorbereitung - unter anderem eine Niederlage gegen Rumänien - und dem einhergehenden Spott der Presse im Gepäck reiste das DEB-Team zu den Winterspielen. In der Heimat war man sich sicher: Diese Mannschaft würde im besten Fall keine allzu große Schande über das Land bringen.

Doch es kam anders. Deutschland qualifizierte sich durch einen 5:1-Sieg gegen die Schweiz für die in einer Sechsergruppe im Modus jeder gegen jeden ausgetragene Finalrunde. Einem 7:4-Sieg gegen Polen folgten Niederlagen gegen Finnland (3:5), die Sowjetunion (3:7) und die Tschechoslowakei (4:7). Trotzdem bestand vor dem letzten Spiel noch die minimale Chance auf Bronze.

Dass der 14. Februar zum wohl größten Tag der bisherigen deutschen Eishockey-Geschichte werden könnte, glaubte trotzdem niemand. Schließlich musste die USA mit vier Toren Vorsprung geschlagen werden - meinte man zumindest. Die Truppe um Erich Kühnhackl spielte grandios auf und führte kurz vor Schluss mit 4:1.

Noch ein Treffer fehlte, die Spieler flehten Bundestrainer Xaver Unsinn an, Torhüter Toni Kehle für einen zusätzlichen Feldspieler vom Eis zu nehmen. Doch der 2012 verstorbene Füssener blieb stur. "Nein, nein. Der bleibt drin. Das lassen wir jetzt so", bekamen die fassungslosen DEB-Cracks zu hören. Es blieb beim 4:1.

"Schade, schade, schade. Es ist vorbei. Die Bronzemedaille haben sie nicht erreicht", verkündete der TV-Kommentator Minuten später. "In der Kabine herrschte Totenstimmung", erinnerte sich Lorenz Funk im Film "0,041 - das Eishockey-Wunder von Innsbruck". Was die Mannschaft nicht ahnte: Vor der Kabine rechneten die Olympia-Verantwortlichen wie wild - und kamen zu einem für alle Seiten völlig unerwarteten Ergebnis.

Mit Deutschland, Finnland und den USA waren hinter Olympiasieger Sowjetunion und Silbermedaillengewinner Tschechoslowakei drei Nationen punktgleich, es kam zum direkten Vergleich. Die USA hatten das schlechteste Torverhältnis und waren raus. Das DEB-Team wies eine Tordifferenz von 7:6 (Quotient 1,166) auf, Finnland 9:8 (1,125). Die Zahl 0,041 machte den Unterschied. "Torquotient, das hatte keiner von uns schreiben können", sagte Kapitän Alois Schloder.

Und der Landshuter weiter: "Einige Minuten später kam unser Sportdirektor Roman Neumayer in die Kabine und sagte: 'Wir haben Bronze.' Dann gab es kein Halten mehr. Einige stürmten raus aus der Dusche, andere hatten noch ihre Schlittschuhe an, es war ein Wunder, dass keiner die Zehen ab hatte."

Die anschließende Party soll eine der intensivsten gewesen sein, die je von einer deutschen Mannschaft gefeiert wurde. Noch auf dem Weg zur Siegerehrung übergab sich Udo Kießling in einen Topf mit einer Kunst-Palme. "Das muss man sich mal vorstellen. Da stehst du neben den Stars aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei auf dem Siegerpodest - als deutscher Eishockey-Spieler!", sagte Schloder.

"Das hat sich so bei mir in meinem Leben eingeprägt, dass man Dinge schaffen kann, die eigentlich unmöglich sind. Und das ist geblieben von '76 bis jetzt", so der damalige Nationalspieler und heutige DEB-Präsident Franz Reindl.

Und das, obwohl die Mannschaft unter Unsinn "vogelwildes Eishockey gespielt hat", wie Klaus Auhuber erklärte. Reindl drückte es etwas diplomatischer aus: "Unsinn hatte die Taktik, uns Freiraum zu lassen." Freiraum, um das Eishockey-Wunder von Innsbruck zu schaffen.

Mannheimer Schlacht und Schalke-Rekord

WM 2010 in Deutschland - Halbfinale

Wenn sich Deutschland im Eishockey versucht, herrscht in der Öffentlichkeit fast schon traditionell Skepsis. Zu viele Misserfolge, zu wenig Erfolgserlebnisse - das lehrt die Geschichte. So war es auch vor der Heim-WM 2010. Hoffentlich fliegt das DEB-Team nicht zu früh aus dem Turnier, so die Befürchtung.

Vorsichtshalber zeigten die öffentlich rechtlichen TV-Sender Desinteresse und hatten keine einzige Live-Partie im Programm. Während des Eröffnungsspiels lief in der ARD der Familienfilm "Tulpen aus Amsterdam", im ZDF "Kommissar Stolberg". Bei einer Heim-WM!!!!

Wie zum Trotz sorgte die Truppe von Bundestrainer Uwe Krupp gleich zum Auftakt am 7. Mai für einen Paukenschlag. Dank der Tore von Michael Wolf und Felix Schütz gelang vor 77.803 Zuschauern (niemals zuvor hatten so viele Fans ein Eishockey-Spiel live gesehen) in der Arena auf Schalke ein 2:1-Sieg nach Verlängerung gegen die USA. Es war der erste WM-Sieg gegen die Amerikaner nach 17 Jahren. "Das ist wie ein Traum", hielt Schütz fest.

Es folgte in den beiden verbleibenden Vorrundenspielen eine 0:1-Niederlage gegen Finnland und ein 3:1-Sieg gegen Dänemark. In der Zwischenrunde unterlag Deutschland gegen Russland (2:3) und Weißrussland (1:2 n.V.), ehe mit einem 2:1-Sieg gegen die Slowakei der Einzug ins Viertelfinale perfekt gemacht wurde.

In Mannheim kam es also zu einer denkwürdigen Schlacht gegen die Schweiz. Deutschland machte das, was es kann: Mannschaftlich geschlossen verteidigen, offensiv Nadelstiche setzen und kämpfen, kämpfen, kämpfen. Philip Gogulla erzielte in der 31. Minute das erste und einzige Tor, Krupps Jungs gewannen auch dank des herausragenden Goalies Dennis Endras mit 1:0.

"Das darf doch nicht wahr sein", schrieb der Schweizer Blick: "WM-Aus und Massenschlägerei!" Nachdem die deutsche Mannschaft die Schweizer während des Spiels konsequent bearbeitet hatte, platzte den Eidgenossen nach Spielschluss der Kragen. Nun flogen die Fäuste. Selbst DEB-Co-Trainer Ernst Höfner mischte mit und packte den durchdrehenden Schweizer Verteidiger Timo Helbling am Kragen, wofür er für die letzten beiden Spiele gesperrt wurde.

Trotzdem: Das Halbfinale bedeutete das beste deutsche WM-Ergebnis seit 57 Jahren. "Es ist sicher das größte Event, an dem ich je beteiligt war, als Trainer wie als Spieler. Das ist wie ein Stanley Cup für Deutschland. Wir sind historisch", sagte der von den Emotionen überwältigte Krupp.

Zwei Tage später wartete im Halbfinale in Köln Russland, das seiner Favoritenrolle nur mit Mühe gegen eine erneut sensationell starke deutsche Mannschaft gerecht wurde. Marcel Goc brachte Deutschland zwar in Führung, aber die NHL-Stars Evgeni Malkin und 110 Sekunden vor dem Ende Pavel Datsyuk drehten die Partie.

Leider wurde es letztlich auch nichts mit Bronze, das DEB-Team wurde nach einer 1:3-Pleite gegen Schweden Vierter. Trotzdem war die Heim-WM 2010 ein voller Erfolg.

Tauwetter sorgt für WM-Umzug

WM 1930 in Frankreich und Deutschland - Silber

Vor 86 Jahren war es noch üblich, Weltmeisterschaften auf sogenannten Natureisbahnen auszutragen. Das hatte seine Tücken. Wegen des Tauwetters musste der WM-Start in Chamonix im Januar zunächst um vier Tage nach hinten geschoben werden.

Da nach wenigen Tagen erneut Tauwetter einsetzte und die Eisfläche unbespielbar wurde, beschlossen die Veranstalter kurzerhand, das Turnier im Berliner Sportpalast zu Ende zu spielen.

Deutschland, damals noch unter dem Namen "Deutsches Reich" am Start, zog durch Siege gegen Großbritannien (4:2), Ungarn (4:1), Polen (3:1) und die Schweiz (2:1) ins Endspiel ein. Dort setzte es eine 1:6-Klatsche gegen Kanada.

Im Bann der Weltwirtschaftskrise

Olympia 1932 in Lake Placid - Bronze

Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich auch auf den Sport aus. Deshalb reisten zu den Spielen in den USA mit Polen und Deutschland ("Deutsches Reich") lediglich zwei Mannschaften aus Europa an. Neben den Gastgebern komplettierte Kanada das Teilnehmerfeld.

Gespielt wurde im Modus jeder gegen jeden mit Hin- und Rückspiel. Das deutsche Team unterlag zwei Mal gegen Kanada (1:4 und 0:5) und zwei Mal gegen die USA (0:7 und 0:8). Bronze wurde schließlich mit zwei Erfolgen gegen die Polen (4:1 und 2:1) sichergestellt.

Die Farce im Alpenland

WM 1953 in der Schweiz - Silber

Ja, ja. So eine WM-Silbermedaille klingt toll für eine deutsche Mannschaft. Es lohnt sich aber ein genauerer Blick um festzustellen, dass diese beim Turnier in Zürich und Basel mit nur einem Sieg "errungen" wurde. Der Wettbewerb war eine einzige Farce, es nahmen nur vier Mannschaften teil.

Und dann reiste die Truppe aus der Tschechoslowakei, gegen die das DEB-Team zwei Mal Prügel bezogen hatte (2:11 und 4:9), auch noch während des Turniers ab, nachdem ihr Staatspräsident Klement Gottwald verstorben war. Die Tschechoslowaken wurden daraufhin disqualifiziert.

Deutschland verlor außerdem zwei Mal gegen den späteren Weltmeister Schweden (6:8 und 2:12) und landete lediglich einen 7:3-Sieg gegen die Schweiz, nachdem das erste Spiel gegen die Eidgenossen mit 2:3 verloren gegangen war.

Fassen wir zusammen: Ein Sieg, fünf Niederlagen, 23:45 Tore - macht Silber.

Der Spielplan der WM 2016