Das Weltmeisterschafts-Duell zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton biegt auf die Zielgerade ein. Vor dem Großen Preis von Saudi-Arabien hat der Niederländer noch acht Punkte Vorsprung vor seinem britischen Rivalen. Doch wer wird sich die F1-Krone am Ende sichern und welchen Einfluss hat der Kurs in Dschidda dabei? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen vor dem WM-Showdown.
Wie ist die Ausgangslage?
Zum ersten Mal seit 2016, als Nico Rosberg und Lewis Hamilton als Mercedes-Teamkollegen im letzten Rennen um den WM-Titel kämpften, steht so spät im Jahr noch kein Formel-1-Weltmeister fest. Ganze neun Jahre ist es gar her (damals Sebastian Vettel im Red Bull gegen Fernando Alonso im Ferrari), dass zwei Piloten von zwei unterschiedlichen Teams sich einen derart harten Fight um die F1-Krone liefern.
Aktuell beträgt der Vorsprung von Max Verstappen auf Lewis Hamilton acht Zähler. Das heißt: Beide Piloten können aus eigener Kraft Weltmeister werden. Gewinnt Hamilton die verbliebenen beiden Rennen, ist er Weltmeister. Gleiches gilt im Umkehrschluss selbstverständlich auch für Verstappen.
Rein aus punktetechnischer Sicht geht der Niederländer trotzdem mit einem kleinen Vorteil in den Saudi-Arabien-GP (So, ab 18.30 Uhr im LIVETICKER). Im Gegensatz zu seinem britischen Rivalen kann Verstappen nämlich schon in Dschidda Weltmeister werden. Dafür sind folgende Szenarien notwendig.
Hamilton kann erst in Abu Dhabi Weltmeister werden
Max Verstappen wird beim Großen Preis von Saudi-Arabien in Dschidda am 5. Dezember Formel-1-Weltmeister, wenn...
- ... er gewinnt und die schnellste Rennrunde holt sowie Lewis Hamilton maximal Sechster wird.
- ... er ohne schnellste Rennrunde gewinnt und Lewis Hamilton maximal Siebter wird.
- ... er mit schnellster Rennrunde Zweiter wird und Lewis Hamilton maximal Zehnter wird.
- ... er ohne schnellste Rennrunde Zweiter wird und Lewis Hamilton ohne Punkte bleibt.
Hamilton kann sich in Saudi-Arabien hingegen lediglich an Verstappen heranschieben, beziehungsweise knapp an ihm vorbeiziehen. Für das - aus jetziger Sicht - wahrscheinlichste Szenario, einem Sieg von Hamilton vor Verstappen, würde der Mercedes-Pilot auf einen Punkt an den Niederländer heranrücken. Holt er darüber hinaus noch den Extrapunkt für die schnellste Rennrunde, würden beide Kontrahenten punktgleich zum Finale nach Abu Dhabi reisen.
Wo wird gefahren?
Zum ersten Mal in der Geschichte der Formel 1 könnte der kommende Weltmeister in Saudi-Arabien gekrönt werden. Die Strecke in Dschidda feiert ihr Debüt im Rennkalender, dem Vernehmen nach zogen sich die Bauarbeiten bis vergangene Woche. Sogar eine Absage des GPs stand im Raum. Letztlich vermeldete man aber die Fertigstellung der Strecke, alle Sessions werden somit planmäßig stattfinden.
Vor allem die Freien Trainings können nämlich zum entscheidenden Faktor werden. Aufgrund fehlender Daten von Vorjahren oder Testfahrten wird entscheidend sein, dass die Teams und Fahrer die gegebene Zeit nutzen, um das optimale Setup für ihr Auto zu finden.
"Je weniger Daten man hat, desto eher wird das jeweilige Setup entscheidend sein", sagt auch Ex-Fahrer Marc Surer im exklusiven Interview mit SPOX. "Wie wichtig das sein kann, hat man in der Türkei dieses Jahr gesehen. Dort hat man bei Red Bull, basierend auf den wenigen Daten von 2020, das falsche Setup gewählt. Das hat sie in Istanbul das ganze Wochenende zurückgeworfen. Wenn so eine Situation entsteht, ist es mehr Glückssache."
Verstappen: "Freue mich auf die Herausforderung"
Bei reinem Blick auf das Streckenlayout, wird dennoch ein leichter Vorteil für Mercedes erwartet. Die Silberpfeile wussten auf langen Geraden zuletzt zu überzeugen, der Jeddah Street Circuit hat davon gleich mehrere im Angebot. Hinzu kommt der in Brasilien eingebaute neue Hamilton-Motor, welcher dem Briten zusätzliche PS bescheren dürfte.
"Ich fühle mich ganz gelassen. Ich weiß, dass ich immer versuchen werde, mein Bestes zu geben, und wir werden sehen, wo wir am Ende stehen werden", will Verstappen einen Sieg aber noch keineswegs abschreiben. Er selbst habe sich im Simulator auf den Kurs vorbereitet.
"Er scheint wirklich schnell zu sein, sodass es keinen Spielraum für Fehler gibt. Natürlich wird es immer ein bisschen Rätselraten geben, da wir noch nicht auf der Strecke gefahren sind. Es wird interessant werden, und ich freue mich auf die Herausforderung", sagte der Red-Bull-Pilot auf der Pressekonferenz am Donnerstag.
Was spricht für Max Verstappen?
In erster Linie sein Talent und sein unglaublicher Speed. Der Niederländer fährt das mit Abstand beste Jahr seiner noch jungen Karriere und glänzt mir einer Fabelleistung nach der anderen. Dabei ist er nicht einmal unbedingt viel schneller als in den Saisons zuvor, ein großer Aspekt ist aber seine neu hinzugewonnene Cool- und Cleverness.
Wäre ein Verstappen vor ein bis zwei Jahren vielleicht noch waghalsige und übermotivierte Manöver eingegangen - unabhängig der Konsequenzen - so wirkt er 2021 deutlich ruhiger, abgeklärter und eben cleverer. "Er hat aus seinen Flüchtigkeitsfehlern aus der Vergangenheit gelernt. Man muss ihm vielleicht zugutehalten, dass der Red Bull in den letzten Jahren meist ein wenig unterlegen gewesen ist. Er musste also oft über das Limit hinausgehen, um mit den Mercedes mithalten zu können. Dann passieren auch deutlich mehr Fehler. Aber er hat das abgelegt", lobt Surer den 24-Jährigen.
Das spielgelt sich auch in den Ergebnissen wieder. Neun Siege feierte Verstappen im Kalenderjahr 2021 (Hamilton kommt auf 6), hinzu kommen sieben zweite Plätze. Bei den restlichen vier Rennen ließ er entweder unverschuldet Punkte liegen (Aserbaidschan und Ungarn) oder kollidierte mit Rivale Hamilton (Großbritannien und Italien).
"Wenn es rein um Schnelligkeit ginge, ist Max Verstappen wohl der aktuell beste Fahrer im Feld", meint auch Surer. "Wir sehen Jahr für Jahr an seinen Teamkollegen, wie er die in Grund und Boden fährt. Er ist schneller als sein Auto, das muss man definitiv sagen."
Was spricht für Lewis Hamilton?
Nach den vielen Jahren des ungefährdeten Titelsammelns muss der Brite 2021 zum ersten Mal seit langem wieder einen Zweikampf um die Weltmeisterschaft bestreiten. Der Vorwurf vieler Fans und Kritiker, Hamilton habe seine Titel lediglich aufgrund eines überlegenen Boliden sowie dem braven Mitspielen von Teamkollege Valtteri Bottas geholt, widerlegt der 35-Jährige aktuell jedoch mit Bravour.
Nach Verstappens dominantem Sieg in Mexiko vor etwa vier Wochen war die Stimmung bei den Silberpfeilen noch auf dem Nullpunkt gewesen. Sowohl Hamilton als auch Teamchef Toto Wolff äußerten ernsthafte Bedenken an einer Verteidigung des WM-Titels. Verstappen sei in diesem Jahr eher nicht mehr einzuholen, so der Tonus.
Dann aber kam der Brasilien-GP und die Wende. Nicht nur überzeugte der neu eingebaute Motor ins Heck von Hamiltons W12, auch die individuelle Leistung des Briten war herausragend. "Jetzt, wo der Druck auf ihn derart hoch ist, sieht man erst richtig die Qualität eines Lewis Hamilton. Andere werden nervös und würden Fehler machen, er hingegen wird besser. Unter solchem Stress sieht man einen wahren Champion", adelt Surer die letzten Leistungen des Mercedes-Piloten. Das unterscheide ihn letztlich auch von anderen Fahrern. "Die können auch hin und wieder ein Rennen gewinnen, aber er bringt diese Top-Leistungen jedes Mal", so Surer.
gettyBrundle: Motor "wird nicht mehr so effektiv sein"
Von seiner Schnelligkeit hat Hamilton also nichts eingebüßt, als konstanter Fahrer gilt der Brite ohnehin. Kaum ein anderer Pilot bringt seine PS derart zuverlässig auf den Asphalt. Selbstverschuldete Ausfälle und Punktverluste lassen sich bei ihm in den vergangenen Jahren an einer Hand abzählen. Nun scheint er auch dem enormen Druck standhalten zu können und zu performen.
Hinzu kommt die bereits angesprochene neue Antriebseinheit, mit der der Brite in Brasilien um die 40 km/h schneller auf den Geraden im Vergleich zu Verstappen war. Auf einer Strecke wie Dschidda würde das Hamilton zweifelsfrei zum Vorteil gereichen, auch wenn der Leistungsunterschied nicht mehr im Brasilien-Ausmaß erwartet wird.
"Er wird nicht mehr so effektiv sein", äußerte beispielsweise Experte Martin Brundle Bedenken. Die Powerunit sei in Sao Paulo auf ihrem Leistungszenit gewesen, könnte aber nach dem starken Aufdrehen schon schwächer geworden sein. "Ich denke nicht, dass sie so dominant wie in Brasilien sein werden, dennoch glaube ich, dass sie das Auto sein werden, das es in Saudi-Arabien zu schlagen gilt", sagt Brundle.
Verstappen vs. Hamilton: Wer ist im Vorteil?
Betrachtet man die Entwicklung der vergangenen Wochen, geht Hamilton als leichter Favorit ins vorletzte Saisonrennen. Zu abgeklärt präsentierte sich der Mercedes-Pilot in den vergangenen Wochen. Zusammen mit dem Speed seines W12 geht der Brite mit dem besten Gesamtpaket an den Start.
Hamilton selbst fühlt sich nach eigener Aussage "relaxter denn je" - trotz der Anspannung im Titelkampf. "Ich erinnere mich an meine erste Meisterschaft, und selbst die zweite und dritte. All die schlaflosen Nächte", sagte er auf der Pressekonferenz am Donnerstag. "Aber jetzt bin ich deutlich selbstsicherer."
Verstappen muss auf der anderen Seite voll und ganz auf seine individuelle Klasse sowie den Jeddah Street Circuit als große Unbekannte im F1-Kalender 2021 setzten. Er werde in Saudi-Arabien einfach an seine bisherige Saison anknüpfen und "nichts anders" machen als sonst. "Ich konzentriere mich an diesem Wochenende darauf, so schnell wie möglich zu sein."
Dennoch klingt es schon beinahe wie eine sich anbahnende Niederlage im WM-Duell, wenn er davon spricht, die Saison vorrangig "noch genießen" zu wollen. Vom möglichen WM-Titelgewinn will er nicht reden, sondern meint: "Es spielt keine Rolle, wie es ausgeht. Wir hatten als Team eine wirklich gute Saison. Darauf kann man sehr stolz sein."
Formel 1: Die WM-Wertung nach 20 von 22 Rennen
- Fahrerwertung:
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
1 | Max Verstappen | Red Bull | 351,5* |
2 | Lewis Hamilton | Mercedes | 343,5* |
3 | Valtteri Bottas | Mercedes | 203 |
4 | Sergio Perez | Red Bull | 190 |
5 | Lando Norris | McLaren | 153 |
6 | Charles Leclerc | Ferrari | 152 |
7 | Carlos Sainz | Ferrari | 145,5* |
8 | Daniel Ricciardo | McLaren | 105 |
9 | Pierre Gasly | AlphaTauri | 92 |
10 | Fernando Alonso | Alpine | 77 |
- Konstrukteurswertung:
Platz | Team | Punkte |
1 | Mercedes | 546,5* |
2 | Red Bull | 541,5* |
3 | Ferrari | 297,5* |
4 | McLaren | 258 |
5 | Alpine | 137 |
6 | AlphaTauri | 112 |
7 | Aston Martin | 77 |
8 | Williams | 23 |
9 | Alfa Romeo | 11 |
10 | Haas | 0 |
*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.