Der Iceman taut auf

Alexander Maack
05. November 201219:52
Ein kräftiger Schluck für Kimi Räikkönen. Ob er wusste, dass es alkoholfreies Rosenwasser ist?Getty
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Mit seinem Sieg in Abu Dhabi hat Kimi Räikkönen sein erfolgreiches Comeback perfekt gemacht. Dabei traute ihm zuletzt niemand mehr einen solchen Erfolg zu. Ausgerechnet bei seinem persönlichen Triumph verliert der Iceman jedoch seine letzte Chance auf die Fahrer-WM.

Glückwünsche überall. Nach Räikkönens Sieg im 18. Rennen seiner Rückkehr nach zweijähriger Rallye-Auszeit hielt sich kaum jemand im Fahrerlager zurück. "Wir sind ja heimliche Kimi-Fans! Super Leistung von Räikkönen, ich gönne ihm den Sieg von Herzen", sagte etwa Alexander Wurz im "ORF".

In Abu Dhabi fuhr Räikkönen zum siebten Mal seit seinem Comeback unter die ersten Drei. Zum ersten Mal stand er wieder ganz oben auf dem Siegerpodest. Zuletzt gelang ihm dieser Erfolg 2009 in Spa, als er im Ferrari vor Giancarlo Fisichella und Sebastian Vettel den Belgien-GP gewann.

Auch Wurz' Ex-Konkurrent und TV-Kollege Damon Hill stimmte in den Jubelchor ein: "Er ist einfach erstaunlich. In Bahrain sah es fast so aus, als würde er gewinnen, aber da ist es ihm nicht gelungen. Diesmal hätte man vor dem Start kein Geld gesetzt, aber er hat es geschafft."

Räikkönen: "Kein Grund, um in der Gegend herumzuhüpfen"

Der Finne selbst reagierte zunächt wie gewohnt. Cool. "Ich hatte gehofft, schon früher ein Rennen zu gewinnen", räumte Räikkönen ein: "Ich freue mich, aber es gibt keinen Grund, um in der Gegend herumzuhüpfen."

Die Euphorie bei seinem Team war da wesentlich größer. "Zunächst einmal habe ich ein Wort: 'Großartig'", jubelte Teamchef Eric Boullier. "Dann gibt es viele Wörter wie 'Erleichterung' und 'verdient'. Es ist der verdiente Lohn für alle, die dermaßen hart gearbeitet haben."

Schon im Winter sorgte Lotus für Aufsehen, als Räikkönen beim ersten Testtag im spanischen Jerez prompt die Bestzeit fuhr. "Das war gut für das Ego", resümmierte Räikkönen und konzentrierte sich direkt wieder auf die Verbesserung des E20.

Erste Siegchance vergeben

In den ersten Rennen stellte sich der gewünschte Erfolg ein. Während sein Teamkollege Romain Grosjean zweimal ausfiel, fuhr Räikkönen in die Punkte. Das Team aus Enstone bestätigte die Experten, die Lotus nach den starken Testeindrücken zum Geheimfavoriten erkoren hatten.

Schon beim vierten Rennen folgte der erste Podestplatz für Räikkönen, der den Bahrain-GP hinter Vettel auf Position zwei abschloss. Allerdings war der Erfolg für den mittlerweile 33-Jährigen kein Grund zum Jubeln.

"Wir hätten das Rennen gewinnen können. Ich bin nicht 100-prozentig zufrieden mit dem gesamten Wochenende, aber jetzt haben wir zumindest ein gutes Ergebnis", sagte Räikkönen damals: "Ich hatte eine Chance, Sebastian zu überholen, aber ich habe mich für die falsche Seite entschieden." Auch bei den folgenden Rennen fehlte das nötige Quäntchen Glück, nach der Sommerpause dann die passende Leistung, um ganz nach vorne zu fahren.

Boullier: "Es gab ein wenig Frustration"

Im Nachhinein haben die vergebenen Chancen zu Saisonbeginn die Stimmung im Team belastet. "Es gab ein wenig Frustration, dass wir nicht früher einen Sieg geholt haben, und wir auf ihn warten mussten", räumte Boullier noch in Abu Dhabi ein.

Der Teamchef gab zu, dass eine Saison ohne den endgültigen Erfolg eine Enttäuschung gewesen wäre: "Wir haben diesen Sieg die ganze Saison über immer verpasst und wussten, warum: Schlussendlich hatten wir es uns selbst zuzuschreiben."

Der jüngste Erfolg in Abu Dhabi kommt genau zur rechten Zeit. Seit mehreren Wochen mehrten sich Gerüchte, dass Lotus einen Liquiditätsengpass habe. Boullier beruhigte prompt die besorgten Fragensteller: "Das ist kein Problem mehr." Das letzte Wort sagt viel aus.

Geldprobleme: Investor gesucht

Der luxemburgische Teameigner Genii Capitals sucht aktuell nach einem weiteren Investor, der ins Team einsteigt. Das Investmentunternehmen scheint nicht mehr hundertprozentig von seinem Formel-1-Engagement überzeugt.

So war auch Räikkönens Aussage zur Wirkung seines Sieges mehr als eindeutig: "Jetzt glauben vielleicht alle wieder mehr an sich. Nicht nur die Jungs, die all die Arbeit machen, sondern auch die, die das Team betreiben."

Dabei war vor allem die Art und Weise, wie Räikkönen zum Sieg fuhr, typisch für den Weltmeister von 2007. Perfekter Start, wenig Risiko beim Überholen und eine einzigartige Kommunikationsstrategie mit seinem Renningenieur. Als Mark Slade ihm gutgemeinte Ratschläge geben wollte, rastete Räikkönen im Funkverkehr fast aus.

Räikkönens Ausraster im Funkverkehr

Nachdem sein Schützling die Spitzenposition übernommen hatte, funkte Slate wie allgemein üblich die Zeitabstände zur Konkurrenz ins Cockpit. "Lasst mich allein! Ich weiß schon, was ich tue", blaffte Räikkönen zurück. Als sein Renningenieur ihn während der zweiten Safety-Car-Phase daran erinnerte, die Reifen warm zu halten, platze es wieder aus dem Finnen heraus: "Ja! Ja! Ja! Mach ich doch die ganze Zeit!"

"Die Jungs versuchen zu helfen, aber man muss ja nicht zweimal pro Minute das gleiche sagen. Ich bin nicht so doof, dass ich mir nicht merken kann, was ich gerade tue", erklärte Räikkönen nach dem Grand Prix und konnte sogar darüber lächeln: "Es ist als Hilfe gedacht. Ich weiß aber, was ich mache. Ich frage um Hilfe, wenn ich welche brauche. Verschiedene Menschen haben diesbezüglich aber verschiedene Bedürfnisse."

Räikkönens Humor ist einzigartig. Trocken wie eine Flasche Champagner feuert der Finne den Journalisten immer wieder kurze Zitate entgegen. Wer seinen Humor begreift, hat einen Stein im Brett. Beispiele gibt es zuhauf. Schon bei der Bekanntgabe seines Comebacks verblüffte Räikkönen die anwesenden Medienvertreter. Warum er in die Formel 1 zurückkehre? "Ich hatte gerade nichts anderes vor."

"Bin kein Fan beschissener Fragen"

Auf die Frage, was das Schönste an der Formel 1 sei, antwortete Räikkönen im September: "Bestimmt nicht, mit den Medien zu sprechen. Ich bin kein großer Fan beschissener Fragen." Doch in Abu Dhabi bahnte die Erleichterung sich ihren Weg und die Worte sprudelten förmlich aus ihm heraus.

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"Es war klar, dass der Start der Schlüssel sein wird. Der Start ist mir wirklich gut gelungen. Ich denke, wir hatten nicht den gleichen Speed wie McLaren", so Räikkönen: "Aber für einen Sieg muss man erst einmal ins Ziel kommen. Wir waren richtig gut unterwegs. Nur die Safety-Car-Phasen haben es uns heute etwas erschwert."

Bei beiden Einsätzen von Bernd Mayländer verlor Räikkönen einen deutlichen Vorsprung, den er sich zuvor herausgefahren hatte. Ausgerechnet bei diesem persönlichen Erfolg verlor der Iceman die letzte theoretische Chance auf die Fahrer-WM, weil er den Rückstand von 57 Punkten in den beiden ausstehenden Grands Prix in den USA und Brasilien nicht mehr aufholen kann.

Den Finnen lässt das jedoch kalt. "Es war uns seit einigen Rennen klar, dass wir nicht den Speed haben, um dort mitzumischen", sagte Räikkönen: "Wir haben einen Sieg. Kann sein, dass wir am gleichen Tag den Kampf um den Titel verloren haben, aber das ist mir egal. Dann probiere ich es eben nächstes Jahr wieder."

Freiheiten für den Rückkehrer

Der Finne profitiert dabei auch von seinem Team. Während andere Fahrer PR-Programme absolvieren müssen und zwischen dem Rennen viel Zeit im Simulator verbringen, darf sich der Iceman entspannen. "Wir halsen ihm nicht zu viel auf, damit sein Terminplan überschaubar bleibt", verriet Boullier. Als Räikkönen vor dem Indien-GP gefragt wurde, wie er sich auf die neue Strecke vorbereite, antwortete er: "Ich fahre sie."

Gefeiert wurde in Abu Dhabi übrigens trotz der verpassten WM-Chance. Zunächst mit Rosenwasser auf dem Podest, wobei der Teamchef dabei ein kleines Problem hatte. "Ich kannte das Protokoll nicht, Fernando Alonso musste mir sagen: 'Komm hier her, komm hier her.'", gab Boullier zu.

Räikkönen hatte da schon etwas mehr Erfahrung. Dass der erste Sieg im Lotus ausgerechnet im offiziell alhokolfreien arabischen Emirat klappte, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Immerhin: Im Hotel dürfen Ausländer auch Alkohol konsumieren, sodass der Finne schon einen Plan für seine Abendgestaltung hatte.

"Ich wäre gerne Wodka-Importeur"

"Heute Abend werden wir feiern, aber wenn wir morgen nach einer langen Nacht zurückfliegen, erinnern wir uns hoffentlich noch daran, warum wir uns so gut fühlen", sagte Räikkönen, für den die Party eigentlich niemals endet: "Ich habe jetzt fast zwei Wochen Zeit. Solange ich es irgendwie zum nächsten Rennen schaffe, ist das Team glücklich. Ich werde versuchen, zwischendurch auch mal nach Hause zu fahren."

Seinen Konkurrenten war unterdessen schon bewusst, was im Yas-Marina-Hotel direkt an der Strecke ansteht. "Auf ihn kommt eine gute Feier zu. Wie man feiert, kann man bei ihm am besten nachfragen", sagte Vettel: "Kimi braucht keinen, der ihm einen ausgibt. Da sorgt er schon selber für sich."

Abu-Dhabi-GP: Prophet Vettel entkräftet seine Skeptiker

Der ORF-Experte dachte unterdessen schon darüber nach, seinen Beruf zu wechseln. "Heute wäre ich gerne Wodka-Importeur, denn der Verbrauch in Abu Dhabi steigt sicher dementsprechend", schmunzelte Wurz.

Der aktuelle Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM