Formel 1 - Erkenntnisse zum Türkei-GP: Die Nummer-2-Fahrer erfüllen ihre Rollen mit Bravour

Christian Guinin
10. Oktober 202121:55
Auf Sergio Perez (l.) und Valtteri Bottas (r.) könnte es im WM-Schlussspurt ankommen.imago images / Motorsport Images
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Während die Nummer-2-Fahrer der beiden großen Teams beim Großen Preis der Türkei ihre Aufgaben mit Bravour erfüllen, kann Lewis Hamilton trotz ordentlicher Aufholjagd nicht zufrieden sein. Sebastian Vettel unterläuft derweil der nächste strategische Fauxpas. Die Erkenntnisse zum Türkei-GP.

F1-Erkenntnis: Nummer-2-Fahrer erfüllen Rollen mit Bravour

Weder für Sergio Perez noch für Valtteri Bottas war die bisherige F1-Saison einfach. Beide Piloten wurden des Öfteren (und meist zurecht) von Verantwortlichen und Presse für ihre unterdurchschnittlichen Leistungen kritisiert. Vor allem in Anbetracht der außergewöhnlichen Performances ihrer Teamkollegen Max Verstappen und Lewis Hamilton schnitten beide im Jahr 2021 bislang nicht sonderlich gut ab.

Beim Türkei-GP am heutigen Sonntag zeigten die beiden Nummer-2-Fahrer aber, wie wichtig ihre Rolle für den WM-Endspurt werden könnte. Sowohl Perez als auch Bottas erfüllten in Istanbul mit Bravour die ihnen aufgetragenen Rollen und sorgten dafür, dass der Konkurrent des jeweiligen Teamkollegen nicht sein volles Potential abrufen konnte.

Der Job des Finnen war dabei simpel: Als Erbe von Hamiltons Pole-Position war das oberste Ziel, Verstappen hinter sich zu halten und wenn nötig den Niederländer für den Teamkollegen aufzuhalten. Und das machte Bottas. Den einzigen wirklich gefährlichen Zeitpunkt für einen Verstappen-Angriff - den Start - meisterte der 32-Jährige problemlos, danach diktierte er das Tempo, ohne dem RB-Mann eine Möglichkeit für eine Attacke zu bieten. Für einen Verstappen-Block reichte es nicht mehr, das lag aber nicht an der fehlenden Bereitschaft Bottas' sondern daran, dass Hamilton nie in Reichweite für einen Angriff auf den Niederländer kam.

Das mag alles einfach klingen, dennoch ist eine derart souveräne Vorstellung auf nassem Geläuf kein Selbstläufer. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Bottas weiß Gott kein sonderlich guter Regenfahrer und das Selbstvertrauen des Finnen nach einer individuell schwachen Saison inklusive Mercedes-Ausbootung mindestens angeknackst ist.

Perez verteidigt überragend gegen Hamilton

Etwas schwieriger hatte es Perez. Der Mexikaner sollte nicht nur die Aufholjagd von Hamilton bremsen, im Optimalfall war auch ein Platz auf dem Podest angepeilt. Und auch Red Bulls Nummer zwei setzte die Vorgaben nach Bilderbuch in die Tat um. Am Start hatte er noch etwas Glück, als sich die Konkurrenz um Fernando Alonso und Pierre Gasly gegenseitig abschoss, danach zeigte Perez aber seine ganze Klasse.

Den rasch heranfliegenden Hamilton hielt er in einem packenden Zweikampf mit einem überragenden Konter in Kurve 13 hinter sich und legte damit den Grundstein für das RB-Doppelpodium sowie Hamiltons letztlich etwas enttäuschenden fünften Platz. "Das ist genau das, was wir von ihm brauchen", sagte sein Teamchef Christian Horner bei ServusTV: "Er ist ein sehr starkes Rennen gefahren heute und speziell mit Lewis in der Situation konnte man sehen, er ist sehr entschlossen. Das war ein entscheidender Moment für uns im Rennen. Ich bin sehr zufrieden mit seiner Leistung."

Die noch verbleibenden sechs WM-Läufe werden in der Summe zwischen Mercedes und Red Bull wohl recht eng bleiben. Umso wichtiger ist es für die beiden Titel-Anwärter also, auf einen funktionierenden Wingman bauen zu können, der einerseits für den eigenen Mann fährt fährt und andererseits den Kontrahenten möglich viele Punkte kostet. Genau das setzten Bottas und Perez in der Türkei in Perfektion um.

F1-Erkenntnis: Hamilton kann trotz P5 nicht zufrieden sein

Unter schwierigen Bedingungen von P11 startend auf den fünften Platz nach vorne gefahren und den Punkteverlust auf den WM-Konkurrenten relativ niedrig gehalten. Lewis Hamiltons Nachmittag in Istanbul hört sich auf den ersten Blick gar nicht so schlecht an. Berücksichtigt man aber die äußeren Umstände, kann der siebenmalige Weltmeister trotz der betriebenen "Schadensbegrenzung" nicht zufrieden sein.

Schon beim Wetter schienen höhere Mächte gegen den Mercedes-Piloten arbeiten zu wollen. In den Freien Trainings am Freitag (im Trockenen) waren die Silberpfeile das mit Abstand schnellste Auto im Feld. Red Bull und Verstappen fehlten teilweise eine halbe Sekunde pro Runde.

Im Regen sah die Sache anders aus: Zwar hatte Mercedes nach wie vor das schnellste Gesamtpaket, das bewies ein souverän abliefernder Valtteri Bottas, der Vorsprung auf die Österreicher war aber deutlich geringer. Auch stellte sich das Überholen im Feld für Hamilton als deutlich komplizierter heraus.

Hinzu kamen strategische Differenzen zwischen Hamilton und dem Team, die er nach dem Grand Prix an die Öffentlichkeit trug. Auf die Frage, ob er das Gefühl habe, mit seinem Satz Intermediates vom Start bis ins Ziel durchfahren zu können, antwortete er: "Na ja, ich habe gehört, dass Ocon durchgefahren ist. Deshalb würde ich mal sagen, dass sie wahrscheinlich hätten halten können." Schon während des Rennens hatte der Brite die Entscheidungen seines Rennstalls lautstark kritisiert. "Wir hätten nicht reinkommen sollen! Ich habe es euch gesagt!", fluchte er über Funk.

Hintergrund: Bis in die 50. der 58 Rennrunden im Istanbul Park hatte es so ausgesehen, als könne Hamilton Dritter oder zumindest Vierter werden. Dann aber beorderte seine Crew ihn in der 51. Runde zum Reifenwechsel an die Box. Man tauschte die gebrauchten Intermediates auf frische Intermediates. Eine Entscheidung, die Hamilton nicht gefiel: In seinen Augen hätte man das Rennen auch ohne Boxenstopp (bei nassen Bedingungen nicht verpflichtend) über die Runden bringen zu können.

Lewis Hamilton war mit der Entscheidung seines Teams nicht zufrieden.getty

Mit konservativerer Strategie hat Hamilton Siegchancen

"Es ist natürlich im Auto ganz schwer zu verstehen, wie die Situation ist", versuchte Mercedes-Teamchef Toto Wolff bei ServusTV die Kanten zu glätten. "Er wollte erst draußen bleiben. Da waren wir aber eineinhalb Sekunden langsamer als der Rest, mit Gefahr auf mehr. Denn Leclerc ist plötzlich ganz langsam gefahren." Dennoch verteidigte Wolff die Entscheidung. "Wir haben gegambelt auf eine entweder auftrocknende Bahn, oder aber das bis zum Ende auszuhalten. Dann aber war's so langsam, dass wir die Position verteidigen mussten, auch gegen Gasly."

Hamilton brachte es letztlich nichts. Das Risiko zahlte sich nicht aus. Anstatt eines durchaus möglichen Mercedes-Doppelsieges wurde der siebenmalige Weltmeister nur Fünfter. Mit einer etwas konservativeren Strategie und einem damit einhergehenden früheren Wechsel auf frische Inters hätte es Hamilton mit großer Sicherheit aufs Podest geschafft, mit Bottas' Hilfe wäre eventuell sogar der Sieg drin gewesen.

Die Ausganglage in der WM ist damit zwar nicht so gut wie erhofft, dennoch hat man auf Seiten von Mercedes nach wie vor alle Chancen. "Wir haben heute acht Punkte verloren. Insofern ist das keine Katastrophe, aber es wäre besser gegangen", sagte Wolff und blickt voraus: "Sechs Punkte machen im Moment nichts aus, können aber am Ende etwas ausmachen. Im Moment ist es der Unterschied zwischen einem ersten und einem zweiten Platz. Insofern muss man das einfach Rennen für Rennen nehmen und den bestmöglichen Job abliefern."

F1-Erkenntnis: Vettel trifft schon wieder falsche Entscheidung

Schon bei den Erkenntnissen zum Russland-GP vor zwei Wochen kritisierten wir die strategische Entscheidung von Sebastian Vettel und Aston Martin. Damals entschied man sich bei den Briten trotz einsetzendem Regen gegen den Wechsel auf Intermediates, Vettel und sein Teamkollege Lance Stroll fielen aus den Top 10 und verpassten wichtige Punkte.

In der Türkei lag man taktisch ähnlich falsch, nur setzte man dieses Mal fälschlicherweise auf Trockenreifen auf viel zu nasser Strecke. Knapp hinter den Punkterängen liegend entschied sich Vettel in Runde 36 für einen Wechsel von den abgenutzten Intermediates auf Medium-Slicks. Ein Risiko, das sich nicht auszahlen sollte.

Zurück auf der Strecke wurde schnell klar, dass sich der Deutsche verkalkuliert hatte. In den Kurven vier und sieben rutschte er von der Strecke und entschied sich, nach einem Zeitverlust von knapp einer Minute, schließlich nach nur einer Runde auf Slicks, auf den Wechsel zurück auf den Intermediate-Pneu. Bei der Einfahrt zur Boxengasse wäre Vettel fast noch einmal gecrasht, eine schnelle Reaktion verhinderte aber das Einschlagen in die Mauer.

Später nahm der Heppenheimer die Schuld auf sich, das strategische Vorgehen sei seine Entscheidung gewesen. "Dann war es nur noch ein reines Überleben und unser Rennen war gelaufen. Also Fehler meinerseits", kommentierte Vettel sein Rennen. "Ich wollte es probieren. Von den Intermediates war nichts mehr übrig." Weil sie an den Schlüsselstellen kein Profil mehr hatten, dachte Vettel, Slicks würden genauso gut oder womöglich besser funktionieren - ein Trugschluss.

Sebastian Vettel hatte auf Slicks im Regen nichts zu melden.getty

Vettel: Punkte wären drin gewesen

Er bekam die Reifen nicht auf Temperatur und wurde zum Passagier: "Ich konnte nicht bremsen und hatte keinerlei Grip, sodass ich viel Zeit verlor. Ich konnte sie einfach nicht zum Arbeiten bringen. Es war schlimmer, als ich es erwartet hatte, auch wenn die Strecke hier und da noch feucht war", gestand der Deutsche. Ein gutes Ergebnis war somit nicht mehr möglich, Vettel wurde 18. Nur die beiden außer Konkurrenz fahrenden Haas-Piloten landeten hinter dem Heppenheimer.

Das ist umso bitterer, schenkt man Vettels Worte nach Rennende Glauben. Der 34-Jährige ist sich nämlich sicher, ohne den Fauxpas eine gute Chance auf WM-Zähler gehabt zu haben. "Mit dem Boxenstopp für Slicks natürlich nicht", so Vettel. "Im letzten Stint waren wir recht stark, aber lagen so weit zurück, dass das schon keine Rolle mehr gespielt hat. Der erste Stint war das Problem. Ich konnte das Tempo einfach nicht halten und hatte anfangs große Probleme mit den Reifen, während es im letzten Stint viel besser lief."

Der Rückstand von Aston Martin auf Alpine und AlphaTauri wird derweil immer größer. 43 bzw. 31 Zähler hinkt man hinter der direkten Konkurrenz hinterher und die jüngsten Auftritte des britischen Traditionsrennstalls machen wenig Hoffnung auf eine Wende. Einziger Lichtblick: Das aufstrebende Williams-Team fuhr ein noch schlechteres Ergebnis nach Hause und schaffte in Istanbul mit keinem der beiden Fahrer den Sprung in die Punkte. Nach hinten scheint vorerst also alles abgesichert. Das kann aber nicht der Anspruch von Vettel und Aston Martin sein.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 16 von 22 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull262,5*
2Lewis HamiltonMercedes256,5*
3Valtteri BottasMercedes177
4Lando NorrisMcLaren145
5Sergio PerezRed Bull132
6Charles LeclercFerrari119
7Carlos SainzFerrari116,5*
8Daniel RicciardoMcLaren95
9Pierre GaslyAlphaTauri74
10Fernando AlonsoAlpine58
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Mercedes433,5*
2Red Bull394,5*
3McLaren240
4Ferrari235,5*
5Alpine104
6AlphaTauri92
7Aston Martin61
8Williams23
9Alfa Romeo7
10Haas0

*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.