Formel 1 - Erkenntnisse zum Aserbaidschan-GP: Schumacher braucht von Haas mehr Rückendeckung

Christian Guinin
12. Juni 202220:36
Charles Leclerc schied wieder einmal wegen eines technischen Defekts vorzeitig aus.getty
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Während Mick Schumacher beim Großen Preis von Aserbaidschan dem Druck erneut nicht standhalten kann, mutiert das ursprüngliche Aushängeschild der Scuderia Ferrari immer mehr zum Problemkind. Die FIA muss derweil dringend etwas gegen das "Bouncing" unternehmen und die Gesundheit der Piloten in den Vordergrund stellen. Die Erkenntnisse zum Aserbaidschan-GP.

1. Schumacher braucht von Haas mehr Rückendeckung

Für Mick Schumacher endete der Große Preis von Aserbaidschan wieder einmal wenig zufriedenstellend. Trotz einiger namhaften Ausfälle von vermeintlich schnelleren Piloten kam der Haas-Pilot in Baku nicht über den 14. Platz hinaus, nachdem er in der Qualifikation am Samstag den letzten Platz belegt hatte.

Dabei hatte sich der Youngster eigentlich viel vorgenommen und wollte sich nach der Quali Vater Michael zum Vorbild nehmen. "Mein Papa hat es früher auch schon geschafft, von hinten zu starten und nach vorne zu fahren. Von daher gibt es keinen Grund, warum ich das nicht auch können sollte", hatte Schumacher Jr. da noch optimistisch geklungen.

Doch daraus wurde nichts. Zu schwach war die Pace seines VF-22 im Renntrimm. Vor allem im ersten Stint ließ Schumacher einiges liegen: "Erst ganz zum Schluss, im letzten Stint, war es so, dass wir eigentlich die gewohnte Pace hatten. Dann war es aber schon zu spät und alles zu weit weg."

Immer stärker scheint Schumacher der Druck, den einerseits das Umfeld und andererseits sein Team in Person von Günther Steiner auf ihn ausüben, zu schaffen zu machen. Nach mehreren Totalschäden, die für Haas ohne Frage finanziell nur schwer aufzufangen sind, war der 23-Jährige von Steiner öffentlich scharf kritisiert worden. Für Baku gab es für beide Piloten sogar ein "Crash-Verbot", um die Kosten nicht weiter in die Höhe zu treiben.

Mick Schumacher verpasste beim Aserbaidschan-GP erneut eine Platzierung in den WM-Punkten.imago images

Wolff: "Mick kann Autofahren und hat die Intelligenz"

Doch dieser Druck scheint für Schumacher keineswegs förderlich zu sein. Ganz im Gegenteil: In Post-Quali- und -Renn-Interviews wirkt Schumi Jr. von Grand Prix zu Grand Prix angespannter, kann sein eigentlich vorhandenes Talent kaum noch auf den Asphalt bringen. Die Angst, im nächsten Jahr nicht mehr Teil der Formel 1 zu sein, scheint immer größer zu werden. Genau hier müsste Steiner eigentlich ansetzen, sich - zumindest öffentlich - hinter seinen Schützling stellen, anstatt die Angst vor weiteren Unfällen und damit verbundenen finanziellen Problemen des Teams zu schüren.

Der Südtiroler hingegen sieht die Probleme nicht bei sich selbst und kritisiert vielmehr den Umgang der Medien mit Schumacher. "Es wird fast uns angekreidet, dass wir an allem Schuld sind. Das sind wir nicht, glaube ich. Wir wollen Mick erfolgreich haben. Ich glaube, die Fronten sind nicht verhärtet", sagte Steiner vor dem GP in Baku. Dennoch brauche man Erfolge. "Wir müssen schauen, dass wir Punkte holen."

Mehr Rückendeckung für Schumacher wünscht sich auch Steiners Kollege Toto Wolff. Dass Schumacher "gepiesackt" und ständig drauf hingewiesen werde, individuelle Fehler zu machen, sei laut dem Mercedes-Teamchef völlig kontraproduktiv. "Ich würde eher das Gegenteil machen und würde Mick sagen: 'Jetzt lass es mal fliegen! Fahr so, wie du fahren kannst.'"

Erst dann könne Schumacher sein volles Potenzial ausschöpfen und die sehnlichst erwarteten WM-Punkte einfahren. "Mick kann Autofahren und hat die Intelligenz. Man muss ihn jetzt einfach so fahren lassen, wie er das kann, wie sein Instinkt das möglich macht."

2. Die FIA spielt mit der Gesundheit der Piloten

Dass Rennteams Jahr für Jahr an die Grenzen des Möglichen gehen, um das letzte bisschen Pace aus ihren Boliden rauszukitzeln, ist Gang und Gäbe in der Formel 1. Vor allem nach weitreichenden Regenänderungen - wie in dieser Saison eben der Fall - tüfteln die Teams teils äußerst ausgefallene Konzepte aus.

Als Nebeneffekt einer dieser Tüfteleien - nämlich einer weitreichenden Modifizierung des Unterbodens - tritt in dieser Saison bei vielen Teams das sogenannte "Porpoising" oder "Bouncing" auf, welches die Boliden auf langen Geraden zum Auf- und Abhüpfen bringt. Solange sich dieser Effekt im Rahmen des Reglements befindet, ist daran eigentlich auch nichts auszusetzen, doch mehren sich die Stimmen unter den 20 Piloten, die über gesundheitliche Probleme aufgrund des Phänomens klagen.

Vor allem auf der knapp zwei Kilometer langen Start- und Zielgeraden waren die Auswirkungen besonders stark zu spüren. Mercedes-Pilot Lewis Hamilton klagte schon zur Hälfte des Rennens via Funk über starke Rückenschmerzen: "Mein Rücken bringt mich um!"

Nach der Zieleinfahrt verweilte der siebenmalige Weltmeister dann mehrere Minuten neben seinem Wagen und fuhr sich mit schmerzverzerrtem Gesicht mehrmals über seinen Rücken. "Ich habe mich einfach durchgebissen aufgrund der Schmerzen und des Adrenalins", sagte Hamilton. "Ich kann gar nicht sagen, wie viel Schmerzen man dabei hat, vor allem auf den Geraden. Und am Ende betet man einfach nur, dass es aufhört."

Lewis Hamilton saß nach dem Rennen mehrere Minuten an seinem Wagen und hatte augenscheinlich mit Rückenschmerzen zu kämpfen.getty

Russell: "Können nicht so weiterfahren"

Spätestens hier müsste die FIA als oberste Regelinstanz von sich aus eingreifen. Die Gesundheit der Fahrer muss zu hundert Prozent gewährleistet sein, das ist jedoch augenscheinlich nicht mehr der Fall. Zu den körperlichen Problemen kommen nämlich auch Sorgen um die Sicherheit dazu. Hamilton-Teamkollege George Russell hatte am Samstag erklärt, dass er durch die starken Vibrationen teilweise nicht einmal die richtigen Bremspunkte finden würde. Und die Mercedes-Piloten sind bei weitem nicht die Einzigen, sich über die starke Beeinträchtigung während eines Rennverlaufs beschweren.

"Bis auf einen [Fahrer] haben alle gesagt, dass es ein Problem ist", meinte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Lewis hat wirklich Schmerzen. Da müssen wir eine Lösung finden. Er ist derzeit wohl am schlimmsten betroffen unter allen Fahrern. Soweit ich weiß, betrifft es aber praktisch alle Fahrer. Und sie sagen, da muss was passieren."

Russell fordert dahingehend von den F1-Verantwortlichen eine Anpassung des Reglements. "Ich glaube nicht, dass wir die nächsten vier Jahre so weiterfahren können. Wir müssen einfach [über eine Regeländerung] sprechen, weil alle sitzen im selben Boot", sagte der Brite bereits vor dem Aserbaidschan-GP. Die einfachste Lösung wäre, wenn die Teams ihre Autos anders einstellen würden. Doch das würde eine Menge Performance kosten - und das wollen weder die Fahrer noch die Teams. Ein externe Eingreifen der FIA scheint alternativlos.

Auf wirkliche Besserung können sich die Piloten fürs Erste aber kaum einstellen. Bereits am kommenden Wochenende steht der Große Preis von Kanada in Montreal an. Dort ähnelt das Layout stark dem Baku City Circuit mit seinen schnellen Kurven und langen Geraden. Dann wird es für die Piloten wohl erneut wieder schmerzhaft werden.

3. Das Ferrari-Aushängeschild wird zum Problemkind

Insgesamt sechsmal startete Charles Leclerc in dieser Saison von der Pole Position, nur in zwei Fällen (Australien und Bahrain) beendete er das Rennen auch als Erstplatzierter. In Baku folgte nun die dritte Enttäuschung innerhalb kürzester Zeit. Nach Spanien (technischer Defekt) und Monaco (taktische Fehler Ferraris) verlor Leclerc auch in Aserbaidschan in Führung liegend einen (sicher geglaubten) Sieg.

Das schlägt auch in der WM-Wertung an. Aus dem komfortablen Vorsprung von 46 Zählern nach den ersten drei Saisonrennen auf Rivale Max Verstappen ist mittlerweile ein Rückstand von 34 Punkten geworden. Das Problem: In den wenigsten Fällen hatte Leclerc selbst die Schuld an seinem Abschneiden. Oft kamen technische Probleme an seinem SF-75 oder eben das Unvermögen des Ferrari-Kommandostandes dazwischen.

"Ich finde gerade nicht die richtigen Worte, um das zu beschreiben. Es ist sehr enttäuschend", klagte er nach dem Rennen. "Jeder Ausfall ist hart, aber das war jetzt die dritte Enttäuschung in Folge." Sein Teamchef Mattia Binotto pflichtete ihm bei und nahm seine Truppe in die Pflicht. "Das bereitet uns definitiv Sorgen. Wir haben schon darüber gesprochen, bevor wir nach Baku gekommen sind, dass Zuverlässigkeit ein Schlüsselfaktor ist. Wir haben im Winter einiges gepusht, um das Auto zu verbessern, jetzt zeigt uns das, dass wir immer noch keine hundertprozentige Zuverlässigkeit haben."

Charles Leclerc schied wieder einmal wegen eines technischen Defekts vorzeitig aus.getty

Binotto: "Habe noch keine Antwort"

Denn nicht nur Ferrari selbst hatte in Aserbaidschan mit technischen Problemen zu kämpfen. In Person von Kevin Magnussen (Haas) und Guanyu Zhou (Alfa Romeo) verabschiedeten sich auch zwei Ferrari-Kundenautos frühzeitig mit Motorenschäden aus dem Rennen. "Ich weiß nicht, ob es bei allen drei Autos das gleiche Problem war oder ob es bei allen drei Autos unterschiedliche Probleme gab", meinte Leclerc.

Dennoch lassen sich die Zuverlässigkeitsprobleme der Scuderia in den vergangenen Wochen nicht wegdiskutieren. Der Motor, der anfangs des Jahres noch als mit Abstand stärkste Antriebseinheit eingeschätzt wurde und das Aushängeschild Ferraris sein sollte, mutiert immer mehr zum Problemkind. "Vielleicht lässt es sich ja schnell beheben", meinte er nach dem Rennen in Baku. "Aber vielleicht brauchen einige von ihnen auch eine größere Lösung. Ich habe noch keine Antwort."

Formel 1: Der WM-Stand (nach 8 von 22* Rennen)

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull150
2Sergio PerezRed Bull129
3Charles LeclercFerrari116
4George RussellMercedes99
5Carlos SainzFerrari83
6Lewis HamiltonMercedes62
7Lando NorrisMcLaren50
8Valtteri BottasAlfa Romeo40
9Esteban OconAlpine31
10Pierre GaslyAlphaTauri16
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Red Bull279
2Ferrari199
3Mercedes161
4McLaren65
5Alpine47
6Alfa Romeo41
7AlphaTauri27
8Haas15
9Aston Martin15
10Williams3

*Der Russland-GP wurde aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ersatzlos gestrichen. Ursprünglich hatte die Formel 1 für die Saison 2022 23 Rennen eingeplant.