Formel-1-Experte Marc Surer im Interview: "Halo? Wie ein fürchterlicher Toilettenring"

Dominik Geißler
21. März 201815:27
Der Halo ist ab dieser Saison Pflicht in der Formel 1.getty
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Marc Surer gilt als einer der anerkanntesten Formel-1-Experten im deutschsprachigen Raum. Im Interview spricht der ehemalige F1-Pilot vor dem Saisonstart in Australien (Fr., 2 Uhr im LIVETICKER) über das Kräfteverhältnis zwischen Mercedes und Ferrari. Außerdem kritisiert er den Halo-Kopfschutz und die Abschaffung der Grid Girls.

Darüber hinaus erklärt der 66-Jährige, wieso es in seiner Formel-1-Karriere nie zum großen Wurf gereicht und warum ihn ein fataler Unfall zum Aufhören bewegt hat.

SPOX: Herr Surer, der Saisonstart in Australien steht kurz bevor. Wie ist nach den Winter-Testfahrten Ihr erster Eindruck vom Kräfteverhältnis in der Formel 1?

Marc Surer: Dadurch, dass sich das Reglement im Grunde nicht verändert hat, zeichnet sich an der Spitze ein ähnliches Bild wie zum Ende des vergangenen Jahres ab. Mercedes ist nach wie vor die Nummer eins, dahinter kämpfen Ferrari und Red Bull. Einen Wow-Effekt hatte ich also eher nicht.

SPOX: Aufgrund der Longrun-Zeiten, die bei den Tests in Barcelona gezeigt wurden, befürchtet manch einer, dass Mercedes rund eine Sekunde weg von der Konkurrenz ist ...

Surer: Vorsicht, Vorsicht. Was mir nämlich aufgefallen ist: Mercedes ist kaum auf den weichen Reifen gefahren - und wenn, hatten Sie schnell Probleme mit Blasenbildung. Es könnte also durchaus etwas Ähnliches eintreten wie letztes Jahr, wo sie auch anfangs Sorgen mit den weichen Reifen hatten. Das zumindest muss die Hoffnung der Konkurrenz sein. Denn sobald die Silberpfeile auf Medium unterwegs sind, sind sie deutlich schneller. Ihr großer Vorteil ist dabei nach wie vor der Motor, oder genauer gesagt der Benzinverbrauch. Auf Strecken, wo der eine größere Rolle spielt, kann Mercedes die ganze Zeit auf voller Leistung fahren.

SPOX: Nach drei erfolglosen Jahren mit Honda setzt McLaren nun auf Renault-Motoren. Mit dem Wechsel sollte eigentlich der Anschluss zu den Top-Teams gelingen. Bei den Testfahrten wurden Fernando Alonso und Stoffel Vandoorne aber immer wieder von technischen Defekten zurückgeworfen. Eine Enttäuschung?

Surer: Ich habe schon letztes Jahr gesagt, dass McLaren immer versucht hat, das Chassis gut aussehen zu lassen und dafür den Motor geopfert hat. Sie fuhren mit viel Flügel und waren somit im kurvenreichen Teil schnell, haben aber im Gegenzug auf den Geraden viel verloren - da war dann immer Honda schuld. Das rächt sich jetzt. Nun haben sie nicht mehr diese Ausrede und müssen sich mit Red Bull und Renault messen. Aber immerhin: Die Zeiten, die Alonso am letzten Testtag hingelegt hat, zeigen das Potenzial, das im Auto steckt.

SPOX: Hat Sie fernab der Spitze ein Rennstall besonders überrascht?

Surer: Das Haas-Team. Ich weiß nicht wie, aber die haben einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Wahrscheinlich sogar den größten von allen. Letztes Jahr fuhren sie mit Ach und Krach mal in die Top 10, jetzt kämpfen sie effektiv mit Renault um Platz vier der Konstrukteurs-WM.

Marc Surer über Halo, Motorenregelungen und Ferraris Ausstiegsdrohungen

SPOX: Für viel Gesprächsstoff sorgt das Halo-System. Was ist Ihre Meinung zum neu eingeführten Kopfschutz?

Surer: Wenn es so einen Schutz gibt und man ihn nicht montiert, kann die FIA (Internationaler Automobilverband; Anm. d. Red) nur schwer argumentieren, sollte tatsächlich ein Fahrer sterben, weil ihm etwas gegen den Kopf geflogen ist. Allerdings hätte man mit dem Shield eine gute, besser aussehende Alternative gehabt. Die wurde aber nie wirklich ausgetestet und seriös zu Ende gedacht. Es kam mir eher so vor, als hätte man von Anfang an gesagt: Der Bügel ist die Lösung und fertig.

SPOX: Hat die FIA zu wenig Wert auf die Ästhetik gelegt?

Surer: Ja, das Sicherheitsdenken ist hier übertrieben. Auf der einen Seite verbietet man die Heckflosse, um die Autos wieder schöner zu machen. Auf der anderen Seite baut man dann aber diesen fürchterlichen Toilettenring hin. Jetzt sehen die Autos wie Buggys aus. Das kann doch nicht sein.

SPOX: Stört der Steg in der Mitte eigentlich nicht das Blickfeld des Fahrers?

Surer: Ich bin mal bei einer Testfahrt mit einem ähnlichen Steg gefahren. In der Box hat es mich gestört, beim Fahren aber nicht mehr, weil die Augen in die Ferne und damit am Bügel vorbei schauen. Was ich eher als Problem sehe: Je nachdem, wo die Piloten beim Start stehen, können sie die Ampeln nicht mehr sehen. Das heißt, die Ampeln müssen jetzt tiefer oder seitlich montiert werden, sonst gibt es ein Riesenproblem.

SPOX: In der neuen Saison stehen nur noch drei Motoren zur Verfügung, von manchen Antriebsteilen gibt es gar nur noch zwei für das gesamte Jahr. Ist das der richtige Weg?

Surer: Nein. Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass selbst gute Teams Motorschäden erleiden. Dass man darauf nicht reagiert, ist für mich einfach pure Sturheit. Mit drei Motoren über die Runden zu kommen, wird nicht funktionieren. Damit wird ein Problem geschaffen, das es vorher nicht gab.

SPOX: In den letzten Monaten wurde viel über die Zukunft der Formel 1 diskutiert. Ein Thema ist dabei immer wieder die Budgetdeckelung. Wie notwendig ist die Eingrenzung der Ausgaben?

Surer: Die Kosten sind in den letzten Jahren so in die Höhe geschnellt, dass man als Privatteam selbst mit dem besten Sponsor nicht mehr mithalten kann. Um da wieder mehr Gleichgewicht hineinzubekommen, wäre die Budgetdeckelung die einzig richtige Lösung. Allerdings ist das wohl eher ein Traum. Ich glaube nicht, dass sie in naher Zukunft Wirklichkeit wird.

SPOX: Im Zuge der Gespräche um das Motorenreglement ab 2021 droht Ferrari immer wieder mit dem Ausstieg aus der Formel 1. Ein realistisches Szenario oder Bluff?

Surer: Ferrari ist beleidigt, weil sie ihr Veto-Recht, das ihnen Bernie Ecclestone einst eingeräumt hat, verlieren. Deswegen spielen sie jetzt die Beleidigten. Allerdings wundert mich, dass sie gegen das angedachte Reglement sind, weil sie aktuell nicht den besten Motor haben und eigentlich froh sein müssten, wenn eine neue Antriebsformel kommt. So hinken sie ja nur hinterher.

SPOX: Halo-Einführung, Abschaffung der Grid Girls, Veränderungen der Startzeit - die Formel-1-Fans müssen sich in der neuen Saison auf viele Veränderungen einstellen. Was halten Sie vom Kurs, den Liberty Media und die FIA eingeschlagen haben?

Surer: Die Verantwortlichen machen laufend Studien und versuchen, dem Fan näher zu kommen, um dann aber solche Entscheidungen zu treffen. Das verstehe ich nicht. Wenn die Rennen später starten, ist es für die Fans noch schwieriger, sonntags wieder nach Hause zu fahren. Und ich glaube auch nicht, dass die Fans für die Abschaffung der Grid Girls waren. Eine völlig unnötige Aktion also. Zumal gerade in Amerika doch die Cheerleader zu jeder Sportveranstaltung gehören. Wollen sie dort jetzt auch alle abschaffen?

SPOX: Besteht die Gefahr, dass die Formel 1 durch solche Entscheidungen ihren viel zitierten "Mythos" verliert?

Surer: Nein, das glaube ich wiederum nicht. In dem Moment, in dem die Ampeln ausgehen, ist es Formel 1. Alles drumherum hat nicht diese Wichtigkeit. Schlussendlich will man ja die Rennen sehen.

SPOX: Also war früher nicht gleich alles besser?

Surer: Überhaupt nicht. Erstens gingen die Autos damals immer kaputt. (lacht) Zweitens waren die Unterschiede zwischen den Teams viel größer als heute, da gab es riesige Abstände. Ich erinnere nur an Ayrton Senna und Alain Prost, die im McLaren praktisch jedes Rennen gewonnen haben. Ich habe mal die alten Grands Prix aus den 80er-Jahren nachkommentieren müssen - oder besser gesagt, dürfen. (lacht) Wir hatten jeweils einen Zusammenschnitt von 50 Minuten und haben da Rennen kommentiert, in denen es kein einziges Überholmanöver gab. Heute haben wir viel besseres Racing, nur vergisst man die schlechten Dinge von früher eben gerne und denkt nur an die guten.

Marc Surer über die Bedeutung des Fahrers und seine Formel-1-Karriere

SPOX: Ein Mathematiker-Team von der University of Sheffield hat einen Algorithmus erstellt, der die Leistungen der Formel-1-Piloten unabhängig von ihrem Auto einstufen soll. Sie tauchen in dieser Liste auf dem 17. Platz auf - vor einem Stirling Moss, Nico Rosberg und nur wenige Plätze hinter Lewis Hamilton oder Sebastian Vettel. Der 17. beste Formel-1-Fahrer aller Zeiten - würden Sie das so unterschreiben?

Surer: (lacht) Ich habe davon gehört und fühle mich natürlich sehr geehrt. Das Ergebnis dieser Studie hängt stark damit zusammen, wer der Teamkollege war und wie oft man den geschlagen hat. Wenn ich also mit einem Hamilton im Team gewesen wäre, hätte ich es wohl nicht auf Platz 17 geschafft. (lacht) Ich bilde mir auf diese Liste nichts drauf ein, aber schön zu sehen ist es natürlich trotzdem.

SPOX: Motorsport-Kritiker werfen gerne ein, dass immer nur derjenige Fahrer mit dem besten Auto gewinnen würde. Wie wichtig ist die fahrerische Leistung im Vergleich zur Performance des Autos also tatsächlich?

Surer: Valtteri Bottas ist da ein gutes Beispiel. Im Williams hat er nicht wirklich etwas zerrissen, im Mercedes fährt er jetzt plötzlich um Siege mit. Daran sieht man, dass das Auto in der Formel 1 wichtiger ist - eine Tatsache, die zwar irgendwo schade ist, auf der anderen Seite aber schon immer so war. Außerdem ist es ja auch die Technik, die in der Formel 1 fasziniert. Nirgends sonst wird so schnell gefahren, nirgends sonst müssen die Fahrer bei fünf G solche Leistungen bringen. Das ist schon eine enorme Belastung, die nicht jeder einfach so aushält.

SPOX: Kommen wir genauer auf Ihre Karriere zu sprechen. Sie haben 1979 Ihr Debüt in der Formel 1 gefeiert. Im Folgejahr bestritten Sie dann Ihre erste volle Saison und konnten im unterlegenen ATS auf sich aufmerksam machen.

Surer: Genau. Ich fuhr auf Anhieb relativ schnell und konnten die Leute mit meinen Leistungen beeindrucken. Dann brach ich mir allerdings die Beine und musste unter Schmerzmitteln fahren, bis ich ein Jahr später wieder meine Topform gefunden habe.

SPOX: Dann kam der nächste Rückschlag.

Surer: Ja, nur zwei Jahre später habe ich mir nochmal die Beine gebrochen und war somit wieder raus. Wenn ich auf dem Notizblock eines Top-Teams gestanden haben sollte, wurde ich also spätestens da gestrichen. Verständlicherweise. Ich würde als Teamchef auch niemanden verpflichten, der die ganze Zeit nur im Krankenhaus liegt und von dem ich nicht weiß, wann er wieder fit wird. Wenn man in die Formel 1 kommt, muss man Leistung bringen und dann sofort den nächsten Schritt gehen. Bleibt dieser zweite Schritt aus, kommt er wahrscheinlich nie mehr. Das ist leider die Geschichte meiner Karriere.

Marc Surers Stationen in der Formel 1

JahrTeam
1979Ensign
1980ATS
1981Ensign, Theodore
1982 - 1984Arrows
1985Brabham
1986Arrows
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Marc Surer über Unfälle, Schuld und Schicksal

SPOX: Einer Ihrer wohl schlimmsten Schicksalsschläge war der Unfall bei der Hessen-Rallye 1986, bei dem Ihr Fahrerkollege und Freund Michel Wyder ums Leben kam. Nachdem Sie mit Brüchen und schweren Brandverletzungen zunächst drei Wochen im künstlichen Koma lagen, traten Sie anschließend vom aktiven Motorsport zurück. Was war der genaue Grund für diesen Schritt?

Surer: Ich habe ein Jahr nach dem Unfall in Hockenheim an einem offiziellen Formel-1-Test teilgenommen und bin auch eine Zeit gefahren, die mich für das Rennen qualifiziert hätte. Doch ich saß im Auto und habe mich gefragt, was ich hier eigentlich mache. Es fehlte plötzlich die Hingabe. Da wusste ich, dass es definitiv die richtige Entscheidung ist, aufzuhören. Denn wenn man Formel 1 fahren will, muss es das Wichtigste auf der Welt sein. Ist es das nicht, hat man dort nichts verloren.

SPOX: Ausgelöst wurde der Unfall von einem Plattfuß, der das Auto unkontrollierbar machte. Geben Sie sich trotzdem eine Teilschuld an dem Crash?

Surer: Der Fahrer ist immer mitschuldig. Schließlich habe ich mir den Reifenschaden ja vorher beim Überfahren eines Randsteins zugezogen. Das Fatale war in dem Fall nur, dass gleich eine schnelle Kurve kam, sodass da nichts mehr zu machen war.

SPOX: Glauben Sie bei den schweren Unfällen, die sie hatten, an Schicksal?

Surer: Zumindest denkt man sich schon, dass es da irgendjemanden gibt, der dir immer wieder ein Bein stellt und nicht will, dass du erfolgreich bist. Alle meine Unfälle wurden von technischem Defekten ausgelöst - einmal war es die Bremse, dann die Aufhängung und bei der Rallye der Reifen. Das zermürbt einen.