Die Formel-1-Saison 2019 geht los! Vor dem Großen Preis von Australien (So., 6.10 Uhr im LIVETICKER) gibt es viele offene Fragen. Wird Charles Leclerc zum Problem für Sebastian Vettel? Wie schlägt sich Nico Hülkenberg gegen Daniel Ricciardo? Wer wird zur größten Überraschung? Und: Wie machen sich die Rookies und Comebacker?
Im Panel diskutieren wir mit Lukas Gajewski, der als Motorsport-Kommentator bei n-tv arbeitet und dort letztes Jahr unter anderem Mick Schumachers Formel-3-Triumph begleitet hat. Für SPOX sind die beiden Redakteure Lukas Zahrer und Dominik Geißler am Start.
Wird Charles Leclerc zum Problem für Sebastian Vettel?
Lukas Gajewski (Motorsport-Kommentator bei n-tv): Die Frage ist, ob Ferrari Charles Leclerc zum Problem für Sebastian Vettel werden lässt. Er dürfte ja schnell genug sein, das haben die Tests und das letzte Jahr gezeigt. Ich persönlich würde mir auch wünschen, dass Ferrari ihn von Anfang an frei fahren lässt, damit sein ganzes Potenzial nicht im Keim erstickt wird. Anderenfalls hätten sie genauso gut mit Kimi Räikkönen weitermachen können. Klar ist, Leclerc wird den Druck spüren, wenn er vorne mitfährt, und Fehler machen.
Lukas Zahrer (SPOX): In Barcelona fehlte Leclerc auf Vettel nur ein Wimpernschlag. Man darf zudem nicht vergessen, dass er aus der Ferrari-Schmiede kommt. Gewisse Teile des Umfelds sind ihm bereits bekannt, was die Umstellung erleichtert. Vettel wird sich also strecken müssen, den Formel-2-Champion von 2017 im Griff zu halten. Doch ihm wird es andererseits gut tun, dass Räikkönen das Team verlassen hat und er nun von und mit Leclerc neue Impulse bekommt. Und: Seine Fehler aus der vergangenen Saison werden Vettel anstacheln. Er weiß, dass er seinen Teamkollegen - den jüngsten Ferrari-Piloten seit Ricardo Rodriguez 1961 - schlagen muss, sonst hat er seinen Kredit in Maranello schnell verspielt. Das wird Vettel 2019 zur Höchstform treiben. Über die gesamte Saison sehe ich Vettel also (noch) klar vorne.
Dominik Geißler (SPOX): Ein neuer, junger Teamkollege? Da hat Vettel schon in seinem letzten Red-Bull-Jahr negative Erfahrungen gesammelt. Doch Vettel ist jetzt reifer und hadert weniger mit dem Auto als 2014, ein "Ricciardo 2.0"-Erlebnis wird er also vermeiden. Leclerc hat erst ein Jahr F1-Erfahrung und wird früher oder später Fehler machen. Und auch wenn Teamchef Mattia Binotto angekündigt hat, beide Piloten frei fahren zu lassen, wird Vettel das Rennen machen. Vorausgesetzt er findet seine Form aus der ersten Hälfte von 2018 wieder. Dann wird Leclerc sogar zum Vorteil für Vettel im WM-Kampf. Schnell genug, um der Konkurrenz Punkte zu klauen, ist er defintiv.
Wie schlägt sich Nico Hülkenberg gegen Ricciardo?
Dominik Geißler (SPOX): Mit Daniel Ricciardo bekommt Nico Hülkenberg erstmals einen Teamkollegen, der ohne Zweifel ein Topfahrer ist. Sieben Siege, mehrere Jahre im Red Bull - mehr Messlatte geht nicht! Mit dem Renault wird es nur in Ausnahmefällen über einen vorderen Mittelfeldplatz hinausgehen, daher sind die Möglichkeiten beider Fahrer natürlich begrenzt. Hülk wird im Qualifying regelmäßig die Nase vorn haben, aber im Rennen? Da sehe ich den "Honey Badger" allein schon aufgrund seiner Überhol-Qualitäten im Vorteil. Wie gut er sich einen GP einteilen kann, hat er bei Red Bull bewiesen. Und: Ricciardo ist - ganz im Vergleich zu Hülkenberg - jemand, der die wenigen sich bietenden Chancen nutzt. Wenn im Chaos also mal ein Podium winkt, wird der Australier zur Stelle sein. Am Jahresende hat Hülkenberg also das Nachsehen.
Lukas Gajewski (Motorsport-Kommentator bei n-tv): Hülkenberg kennt das Team und genießt die Unterstützung, völlig zurecht übrigens. Mit Ricciardo kommt jetzt aber ein Neuzugang, der natürlich erstmal versucht, den Teamkollegen zu schlagen. Er hat viel Erfahrung, kommt aus einem Topteam und will von Anfang an zeigen, dass dieses Renault-Cockpit nicht das Abstellgleis ist, für das es viele halten. Ricciardo wird also ein sehr guter Gradmesser. Und wenn es Hülkenberg schafft, das eine oder andere Mal vorne zu sein, wird er gut dastehen. Mit Blick auf die Cockpits bei den Top-Teams wird ihm das allerdings leider nicht viel nützen, die sind alle vergeben und Hülk ist nicht mehr der Allerjüngste.
Lukas Zahrer (SPOX): Ich halte Ricciardo eindeutig für den kompletteren Fahrer. Nehmen wir als Beispiel die vergangene Saison: Dort kam er in allen Rennen, die er beendete, nie schlechter als auf Platz sechs ins Ziel. Dass er am Ende diese Position deutlich abgeschlagen auch in der Gesamtwertung einnahm, war zu einem Großteil seinen acht Ausfällen geschuldet - kein anderer Fahrer hatte mehr. Ricciardo wird gerne als "Lucky Driver" bezeichnet. Als einer, der dann zur Stelle ist, wenn es wild zugeht. Auf der anderen Seite hat Hülkenberg drei vierte Plätze als beste Karriere-Platzierung zu Buche stehen. Auch wenn er im letzten Jahr "Best of the Rest" war: Ich traue Hülkenberg nicht zu, dass er in dieser Saison den Drive hat, Ricciardo Paroli zu bieten.
Wer wird zur größten Überraschung?
Lukas Gajewski (Motorsport-Kommentator bei n-tv): Abgesehen von Leclerc könnte Kimi Räikkönen für reichlich Aufsehen sorgen. Der Alfa Romeo scheint wirklich Potenzial zu haben und Kimi kann das mit seinem Speed, seiner Erfahrung und auch seiner Unbekümmertheit bestimmt gut umsetzen. Gerade bei chaotischen Rennen, bei denen es viel auf Routine ankommt, könnte das in Kombination mit dem gar nicht schlechten Auto echt weit nach vorne gehen. Kimi als erfolgreicher Underdog - da werden wir uns bei dem einen oder anderen Rennen ganz schön umgucken.
Lukas Zahrer (SPOX): Im vergangenen Jahr gab es mit Sergio Perez in Baku exakt einen Podestplatz, der nicht an Mercedes, Ferrari oder Red Bull ging. 2019 wird sich ein anderes Team aufs Siegerpodest schummeln: Alfa Romeo. Mein Gefühl sagt mir, dass Räikkönen im Regen von Spielberg oder in den Abendstunden von Singapur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein wird. Das Sauber-Team leistete schon im letzten Jahr exzellente Arbeit und landete noch vor Toro Rosso, dieses Jahr schnappen sie sich in der Konstrukteurswertung auch McLaren, Racing Point und Haas.
Dominik Geißler (SPOX): Ich bin da ganz bei euch. Alfa Romeo und Räikkönen sind in dieser Saison so etwas wie das Dark Horse. Nach jahrelanger Arbeit als Nummer zwei ist der Iceman jetzt wieder das Aushängeschild in einem Team, das wird ihm einen Push geben. Doch auch Haas sollte man nach den Tesftfahrten nicht aus den Augen lassen - als Ferraris B-Team geht da durchaus was Richtung Platz vier. Außerdem habe ich aber noch einen weiteren Mann auf dem Zettel: Lando Norris. Klar, im McLaren wird er nicht reihenweise das Feld aufmischen, aber ich sehe bei ihm durchaus das Potenzial, immer wieder aufhorchen zu lassen und Stallgefährte Carlos Sainz Junior ganz schön in die Bredouille zu bringen. Ich freue mich schon auf die ersten Chuck-Norris-Gags!
Wie schlagen sich die Rookies und Comebacker?
Lukas Zahrer (SPOX): Grundsätzlich wird bei den Rookies und Comebackern vor allem das direkte Duell mit dem jeweiligen Teamkollegen entscheidend. Um konkreter zu werden: Besonders freue ich mich auf Formel-2-Vizemeister Norris, den Dominik ja schon bei den Überraschungen erwähnt hat. Sainz muss sich auf jeden Fall warm anziehen. Irgendwie bitter ist, dass der amtierende F2-Champion George Russell beim schwächsten Team landete. Robert Kubica muss er bei Williams schon in Grund und Boden fahren, um sich für höhere Aufgaben im Mercedes-Junior-Programm zu empfehlen. Besser sieht es da schon für Alexander Albon aus, der in seinen ersten Outings mit dem Toro Rosso großteils eine gute Figur machte. Bei Alfa wird es Antonio Giovinazzi schwer gegen Räikkönen haben. Doch vielleicht kann der Finne ihn nicht nur fordern, sondern auch fördern? Wobei, Kimi als Mentor ... Das kann eigentlich nur schief gehen.
Dominik Geißler (SPOX): Neben Norris freue ich mich am meisten auf Kubica. Allerdings eher, weil ich den einstigen BMW-Sauber-Piloten immer mochte, sportlich wird er im Williams nicht glänzen können. Über seinen Fitness-Zustand gibt es immer noch Zweifel und mit Russell hat er einen ambitionierten Rookie als direkten Gegner, der ihm das Leben verdammt schwer machen wird. Die Paarung bei Toro Rosso sehe ich kritisch. Daniil Kvyat muss seine einstige Form erstmal wiederfinden und Albon hat im Nachwuchsbereich nie irgendwen in Grund und Boden gefahren. Perfekte Vorzeichen sind das nicht. Giovinazzi hat von allen hier Genannten das beste Gefährt und einen Teamkollegen, von dem er viel lernen kann - das wird ihm helfen.
Lukas Gajewski (Motorsport-Kommentator bei n-tv): Die eigentliche Frage nach der körperlichen Verfassung von Kubica wird sich erstmal gar nicht stellen, weil Williams so massiv hinterherhinkt. Als Anhaltspunkt dient also nur sein Teamkollege, der mit Russell ein junger, austrainierter und talentierter Fahrer ist, der sein Können in dem Auto aber kaum zeigen kann. Norris hat da im McLaren schon bessere Karten. Ich halte ihn für ein Riesentalent und wäre nicht überrascht, wenn er häufig vor Carlos Sainz fährt. Er ist von all denen, die in den letzten Jahren hochgekommen sind, derjenige, von dem man sich mit am meisten versprechen kann. Anders als Albon, der nie ein Überflieger war, aber mit ein paar guten Ergebnissen in der Red-Bull-Hierarchie schon aufsteigen kann - vor allem dann, wenn Kvyat wieder nicht so verlässlich fährt, wie er müsste. Und Giovinazzi? Der hat einen guten Alfa unterm Hintern und mit Kimi einen super Teamkollegen. Da könnte es Überraschungen geben.
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