Wir haben wieder einen Geheimtipp

Alexander Mey
13. Februar 201210:42
Red Bull machte in der ersten Testwoche in Jerez einen sehr soliden EindruckGetty
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Die Formel-1-Saison hat mit der ersten Testwoche in Jerez begonnen. Wer ist wie gut aus den Startlöchern gekommen? Wer sind die Sorgenkinder? Wer die Geheimtipps? Ein erster Überblick.

Es sind zwar erst vier Testtage vorüber, aber aufgrund des verkürzten Kalenders hat der Formel-1-Tross schon ein Drittel der Vorbereitung auf die kommende Saison hinter sich. Es zählt also jeder Tag, um am 18. März optimal vorbereitet am Start des Australien-GP zu stehen.

Folglich waren bis auf Marussia alle Teams in Jerez vor Ort. Insgesamt haben sie bei Sonnenschein, aber kalten Temperaturen in Andalusien rund 15.000 Testkilometer abgespult. Reifenhersteller Pirelli hat 1176 verbrauchte Pneus gezählt.

Mercedes und HRT mit alten Autos in Jerez

Die Gewöhnung an die neuen Reifen war eines der Hauptthemen der ersten Testwoche. Ebenso natürlich das Eliminieren der Kinderkrankheiten der neuen Autos, die alle Rennställe bis auf Mercedes und HRT im Einsatz hatten.

Die Blicke der Experten richteten sich aus technischer Sicht in erster Linie auf die Auspuff-Lösungen, die die Teams nach dem Verbot des angeblasenen Diffusors gefunden haben. Und auf die Hakennasen der meisten Autos, ein Ergebnis der per Reglement verringerten Höhe der Nasenspitze.

Einen Schönheitspreis gewinnt kaum eines der Autos. Dennoch haben einige durch ihren Speed aufhorchen lassen. Andere machten Sorgen - auch bei den Favoriten. Ein erster Überblick nach der ersten Testwoche in Jerez.

Red Bull: 295 Testrunden - Bestzeit: 1:19,184 Minuten (Mark Webber, Platz 5)

Der Weltmeister hat sich noch nicht richtig in die Karten schauen lassen, aber einen sehr soliden Eindruck hinterlassen. Mark Webber und Sebastian Vettel waren immer unter den Top Vier in der Tageswertung, ohne jedoch eine Bestzeit zu erzielen.

Die Zuverlässigkeit war noch nicht optimal. 295 Testrunden bedeuten nur Rang neun im Ranking der Teams. Vettel musste am Schlusstag den gesamten Vormittag wegen eines Elektronikproblems zuschauen. Dennoch war er mit dem Auftakt zufrieden. Sein Team zeigt kaum Schwächen und ist wohl wieder Favorit auf Siege und den Titel.

Vettel: "Meine ersten Eindrücke vom RB8 sind extrem positiv, auch wenn wir uns erst noch kennenlernen müssen. Es ist völlig normal, kleine Probleme zu haben, dafür sind diese Testtage schließlich da. Aber der Speed des Autos ist da, und es ist leichter, ein schnelles Auto zuverlässig zu machen als ein zuverlässiges schnell."

McLaren: 313 Testrunden - Bestzeit: 1:19,464 Minuten (Lewis Hamilton, Platz 7)

Der McLaren gewinnt definitiv den Schönheitspreis der Saison, da er das einzige Auto ohne die markante Hakennase ist. McLaren hat darauf verzichtet, die Front so hoch wie möglich zu bauen, damit mehr Luft unter das Auto strömen kann. Das war eine bewusste Entscheidung und kein verpasster Trend, beteuern die Verantwortlichen.

Dennoch kamen nach den ersten beiden schwachen Testtagen von Jenson Button Sorgen auf, es könnte ähnlich laufen wie bei den verpatzten Tests im Vorjahr. Button rangierte in Jerez nur auf Rang 18. Als Hamilton kam, wurde es aber etwas besser. In der Zuverlässigkeits-Statistik liegt McLaren auf Platz sechs, ein klarer Fortschritt gegenüber 2011.

Hamilton: "Nach den ersten zwei Testtagen von Jenson war ich mir nicht sicher, wo das Auto steht. Aber mit neuen Reifen habe ich schnell guten Grip gespürt. Die Traktion ist nicht so gut wie beim Vorgänger. Damit mussten wir rechnen. Ohne den angeblasenen Diffusor haben wir im Heck viel Abtrieb verloren."

Ferrari: 270 Testrunden - Bestzeit: 1:18,877 Minuten (Fernando Alonso, Platz 4)

Ähnlich wie bei McLaren sah es auch bei Ferrari an den ersten Tagen alles andere als gut aus. Sogar aus den eigenen Reihen kamen besorgte Äußerungen. Man hatte offenbar Probleme, das radikale Konzept des F2012 zu verstehen. Entsprechend bescheiden waren sowohl die Anzahl der Runden (nur Platz zehn) als auch Felipe Massas Rundenzeiten (nur Platz 17).

Alonso konnte es an seinem ersten Testtag kaum besser machen, doch zum Abschluss ließ er mit der Tagesbestzeit und der insgesamt zweitbesten in einem 2012er Auto aufhorchen.

Pat Fry (Technikchef): "Ich bin nicht glücklich damit, wo wir im Moment stehen. Es gibt noch eine Menge Raum für Verbesserungen."

Alonso: "Wir müssen das Auto noch besser verstehen. Wir sind vielleicht erst bei 20 Prozent von dem, wo wir sein müssten. Der Fortschritt, den wir hier in vier Tagen gemacht haben, war aber sehr groß. Das Aufwärmen der Reifen ist eine der Stärken des Autos. Es scheint, als können wir schon in der ersten Runde das Maximum herausholen, was letzte Saison nicht immer der Fall war."

Mercedes: 348 Testrunden - Bestzeit: 1:17,613 Minuten (Nico Rosberg, Platz 1)

Vorsicht! Mercedes war als einziges Top-Team in Jerez mit dem alten Auto unterwegs. Deshalb darf man die Rundenzeiten sowohl von Nico Rosberg als auch von Michael Schumacher (3.) nicht ernst nehmen. Der neue Silberpfeil feiert sein Debüt planmäßig erst beim kommenden Test in Barcelona.

Trotzdem waren die Tage von Jerez nicht nutzlos. Zum einen sammelte Mercedes jede Menge Daten in Sachen Reifen, also auf einem Gebiet, das 2011 große Probleme bereitete.

Zum anderen testete Mercedes eine Version des F-Schachts im Frontflügel. Durch eine kleine Öffnung in der Nase wird Luft auf den Frontflügel geleitet und von dort unter dem Auto hindurch in den Diffusor. Das soll einen Vorteil von rund 5 km/h beim Top-Speed bringen. Es ist stark anzunehmen, dass auch das neue Auto den F-Schacht haben wird. Andere Teams nutzen diesen Trick nicht.

Norbert Haug (Motorsportchef): "Es war eine bewusste Entscheidung, auf den ersten Test zu verzichten. Wir wollen das komplette neue Auto testen, inklusive aller Details. Deshalb brauchten wir die zehn zusätzlichen Entwicklungstage. Wir sind also nicht zu spät, wir liegen genau im Plan."

Schumacher: "Wir haben gute Arbeit mit den neuen Reifen geleistet, die auf jeden Fall deutlich besser für uns Fahrer sind als die Vorgänger. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass es realistisch ist, in dieser Saison schon um den Titel zu fahren. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir irgendwann einmal dorthin kommen können, aber das geht nur Schritt für Schritt."

Teil 2: Der Geheimtipp der Experten

Lotus: 404 Testrunden - Bestzeit: 1:18,419 Minuten (Romain Grosjean, Platz 2)

Die meisten Testrunden von allen, die mit Abstand schnellste Zeit in einem 2012er Auto, Bestzeit von Kimi Räikkönen am ersten Tag. Wie 2011 ist Lotus auch diesmal wieder der Gewinner der Wintertests. Zumindest bis jetzt haben wir einen Geheimtipp. Experten und Konkurrenten loben die Straßenlage des neuen Autos in höchsten Tönen und zeigen sich ehrlich beeindruckt von Grosjean und von Rückkehrer Räikkönen. Mark Webber zählt den Iceman sogar schon jetzt zu Sieganwärtern für den Saisonstart.

So gut das Auto bisher läuft, so gewarnt werden die Verantwortlichen aber auch sein. Denn 2011 folgte nach einem bärenstarken Saisonstart der rasante Abstieg.

Grosjean: "Das Auto ist einfach zu fahren und in jeder Phase berechenbar. Vor allem in schnellen Kurven. Selbst wenn du mal über das Limit hinausgehst, lässt es sich einfach wieder einfangen. Ich kann diesem Auto vertrauen, ja ich kann mit ihm spielen."

Force India: 308 Testrunden - Bestzeit: 1:19,772 Minuten (Paul di Resta, Platz 12)

Sowohl die Zeiten als auch die Anzahl der Testrunden (Platz sieben) waren Durchschnitt. Der deutsche Rückkehrer Nico Hülkenberg hatte das Pech, sein Comeback auf den letzten Testtag verschieben zu müssen, nachdem Testfahrer Jules Bianchi am Donnerstag das Auto bei einem Crash demoliert hatte. Seine Bestzeit reichte am Ende für Rang 14 in der Gesamtwertung.

Trotz dieser Probleme ist der durchwachsene Start von Force India aber deutlich besser als der Start ins Vorjahr, als man dem Team schon einen Absturz auf Lotus- und Virgin-Niveau prophezeite. Das neue Auto scheint eher an die starken Leistungen der zweiten Saisonhälfte 2011 anzuknüpfen.

Hülkenberg: "Wir haben eine gute Basis. Natürlich gibt es hier und da noch Sachen, die wir verbessern können und müssen. Generell bin ich aber zufrieden."

Di Resta: "Wenn wir vergleichen, wo wir vergangenes Jahr um diese Zeit standen und wo wir jetzt stehen, dann ist das ein massiver Schritt in die richtige Richtung. Ich denke, wir können mit dem, was wir erreicht haben, ziemlich zufrieden sein."

Sauber: 297 Testrunden - Bestzeit: 1:19,770 Minuten (Sergio Perez, Platz 11)

Mitten in der Testwoche hat Sauber das Heck seines Autos völlig verändert. Vor allem der Auspuff ist völlig neu konstruiert - und zwar so, dass die Abgase nicht nur wie bei vielen anderen den unteren Teil des Heckflügels anströmen, sondern auch auf Umwegen in den Diffusor gelangen. Es darf angenommen werden, dass auch andere Teams das Heck ihrer Autos noch ähnlich modifizieren werden.

An den letzten Testtagen, an denen das neue Heck eingesetzt wurde, war in der Tat eine signifikante Zeitenverbesserung bei Perez und bei Kamui Kobayashi (13.) auszumachen. Das Auto scheint mutiger zu sein als der Vorgänger und verspricht, zumindest kein schlechter Wurf zu sein.

Kobayashi: "Das Auto ist in diesem Jahr viel schneller. Ich habe das Gefühl, das Auto ist trotz des Wegfalls des angeblasenen Diffusors ähnlich wie das Vorjahres-Auto. Aber die Rundenzeiten sind deutlich besser."

Toro Rosso: 316 Testrunden - Bestzeit: 1:19,587 Minuten (Daniel Ricciardo, Platz 8)

Die beiden Neulinge Ricciardo und Jean-Eric Vergne (9.) sind bis auf eine Hundertstel die gleiche Wochenbestzeit gefahren und haben damit gezeigt, dass sie sich ein heißes Duell liefern werden.

Obwohl die Hakennase des Autos vergleichweise konservativ ausgefallen ist und das Team schon erklärt hat, in diesem Bereich noch nachbessern zu wollen, waren die Testzeiten überraschend gut.

Ähnlich wie in der Vorsaison machte Toro Rosso von sich reden, allerdings ging der Saisonstart 2011 dann mächtig in die Hose. Von daher muss man vor zu großem Optimismus warnen.

Vergne: "Ein Fahrer merkt sofort, ob er ein gut balanciertes Auto hat, und für mich sieht es ziemlich gut aus. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Basis haben. Aber es ist kompliziert, uns mit anderen Teams zu vergleichen. Wir können im Vergleich mit den anderen ebenso gut ein tolles Auto haben wie ein schreckliches."

Teil 3: Glocks großer Nachteil

Williams: 371 Testrunden - Bestzeit: 1:20,132 Minuten (Bruno Senna, Platz 15)

Für Williams war die erste Testwoche ein Neustart. Nach der desaströsen Saison 2011 hat Teamchef Frank Williams den Reset-Knopf gedrückt, mit Bruno Senna einen neuen Fahrer geholt und in der Technikabteilung einige Positionen neu besetzt.

Erstes Ergebnis ist der FW34, der im Gegensatz zum Vorgänger zumindest zuverlässig in die Wintertests startete. 371 Testrunden bedeuten Rang zwei, allerdings stimmen die Zeiten noch nicht. Weder Senna noch Pastor Maldonado (19.) konnten mit der direkten Mittelfeld-Konkurrenz um Force India, Sauber und Toro Rosso mithalten.

Maldonado: "Das Team ist ein ganz anderes als letztes Jahr. Wir arbeiten viel konzentrierter. Auch das Auto ist komplett anders und mit Sicherheit besser als sein Vorgänger. Ich bin glücklich mit dem neuen Renault-Motor und war ziemlich überrascht, wie gut die Balance von der ersten Runde an war, obwohl wir mit viel Benzin unterwegs waren."

Caterham: 358 Testrunden - Bestzeit: 1:21,518 Minuten (Heikki Kovalainen, Platz 20)

Wie Williams hat auch Caterham Renault-Motoren im Heck und hat auch zum ersten Mal KERS im Auto, und zwar das Weltmeister-System von Red Bull. Allein das sollte vor allem in den Rennen einen Sprung nach vorne bringen. Ob es reicht, um zum Mittelfeld aufzuschließen, ist aber fraglich. Die Testzeiten in Jerez deuteten noch nicht darauf hin.

Aber die Zuverlässigkeit war für ein junges Team wie Caterham erstaunlich. 358 Runden bedeuten Rang drei vor allen Top-Teams. Veteran Jarno Trulli lobte ausdrücklich die Servolenkung, die ihm 2011 große Probleme bereitet hatte.

Trulli: "Ich kann mich nicht daran erinnern, einmal einen besseren ersten Testtag in meiner Karriere erlebt zu haben. Wir hatten so gut wie keine technischen Probleme, obwohl das Auto total revolutionär ist und einige interessante Systeme wie KERS an Bord hat."

HRT: 108 Testrunden - Bestzeit: 1:22,128 Minuten (Pedro de la Rosa, Platz 21)

Wie Mercedes hatte HRT nur das Vorjahresauto dabei. Im Gegensatz zu Mercedes wird sich das aber so schnell auch nicht ändern. Denn das neue Auto ist durch den FIA-Crashtest gefallen und kann somit frühestens beim letzten Wintertest in Barcelona Anfang März eingesetzt werden - wenn überhaupt.

Dabei sollte dank komplett neuen Autos inklusive Williams-KERS ein Schritt von mehreren Sekunden in Richtung Mittelfeld kommen. Der ist nun zumindest zum Saisonbeginn stark gefährdet. Dazu kommt, dass sich das ganze Team organisatorisch erst einmal finden muss. Nach dem Wechsel des Besitzers steht ein Umzug nach Madrid an.

De la Rosa: "Wir brauchen eine Basis, bei der alles an einem Ort ist. Das ist der erste und wichtigste Schritt. Auf der Strecke müssen wir Sekunden finden. Unser Ziel ist es nicht zu gewinnen, sondern mit dem Team zu wachsen. Ich hoffe, dass ich mit meiner Erfahrung dazu einen Beitrag leisten kann."

Marussia: Tests in Jerez ausgelassen

Das einzige Team, das nicht in Jerez vor Ort war, ist der Arbeitgeber von Timo Glock. Auch beim ersten der beiden Barcelona-Tests wird das neue Auto, das in Kooperation mit McLaren konstruiert wird, noch nicht fertig sein. Reifentests mit dem alten Auto stehen auf dem Programm.

Die nächste Hiobsbotschaft für Glock: Marussia wird 2012 das einzige Team sein, das auf den Einsatz von KERS verzichtet. Ein klarer Nachteil, nun auch gegenüber der direkten Konkurrenz von Caterham und HRT. Aber der neue Technik-Berater Pat Symonds will 2012 offenbar als Aufbaujahr nutzen.

John Booth (Teamchef): "Unser Fokus muss in diesem Jahr auf der Aerodynamik liegen, da wir in diesem Bereich große Fortschritte erzielen wollen. Wir reden da von Sekunden, nicht von Zehnteln. Obwohl wir generell das KER-System begrüßen, ist es im Moment einfach extrem teuer. Es würde einen erheblichen Teil unseres Budgets auffressen."

Die Testzeiten in Jerez im Überblick