Am 2. Juli 2021, jährt sich die Ermordung des Kolumbianers Andres Escobar zum 27. Mal. Sein Treffer ins eigene Netz bei der 1:2-Niederlage bei der WM 1994 gegen die USA war wohl das schicksalhafteste Eigentor der Fußballgeschichte. "Das Leben endet nicht hier", war der Abwehrspieler danach um Deeskalation bemüht, doch der in der Heimat herrschende Drogenkrieg kannte keine Entschuldigungen.
Dieser Artikel wurde schon 2019 veröffentlicht
Einem kleinen Kind vor dem heimischen Fernseher war die ganze Tragweite dieser 35. Minute in der WM-Partie Kolumbiens gegen die USA unmittelbar bewusst. Der Abwehrmann mit der Nummer zwei auf dem Rücken hatte den Ball nach einer harmlosen Hereingabe vor seinem verdutzten Torhüter ins eigene Netz bugsiert. Und Escobars Neffe Felipe war sich sicher: "Mami, sie werden Andres umbringen."
Obwohl Kolumbien die Partie letztlich 1:2 verlor und damit bereits nach zwei Partien das Achtelfinale verpasst hatte, soll Felipes Mutter ihr Kind Erzählungen zufolge beschwichtigt haben: "Fußball ist nicht wie Stierkampf, hier stirbt niemand." Sie sollte einem tragischen Irrtum unterliegen.
Drogenkrieg resultiert in Morddrohungen an kolumbianische Spieler
Spätestens nach der 5:0-Demontage gegen Vizeweltmeister Argentinien in der Qualifikation zum interkontinentalen Turnier 1994 waren sich die Experten einig: Dieser kolumbianischen Mannschaft um Carlos Valderrama oder Adolfo Valencia war bei der WM 1994 der ganz große Wurf zuzutrauen.
gettyTrotz der beeindruckenden Serie von 26 Spielen mit nur einer einzigen Niederlage im Vorfeld, ging die Vorgängergeneration von James Rodriguez und Radamel Falcao nicht unbelastet in das Turnier. Der in der Heimat tobende Drogenkrieg machte auch vor den angehenden Helden der Nation nicht Halt.
Als Geheimfavorit auf den Titelgewinn gehandelt, sahen zahlreiche Bosse der nationalen Drogenkartelle Wetten auf Los Cafeteros und deren Einzug in die K.o.-Phase als sichere Geldanlage. Bereits nach der Auftaktpartie wurde die kolumbianische Mannschaft von den heimischen Querelen eingeholt.
WM 1994: Geheimfavorit Kolumbien scheitert in Gruppenphase
Nachdem Kolumbien das Auftaktmatch mit 1:3 gegen Rumänien verpatzt hatte, wurde in der Nacht darauf der Bruder von Verteidiger Luis Fernando Herrera tot aufgefunden. Der Abwehrspieler wollte nach der schockierenden Nachricht kurzerhand aus dem kolumbianischen Quartier abreisen, Escobar überzeugte ihn vom Verbleib.
Kurz vor der zweiten Partie soll Trainer Francisco Maturana den Spielern außerdem weinend von Morddrohungen aus der Heimat berichtet haben.
Es folgte die 35. Minute im Spiel gegen die USA, als Escobar wohl das verhängnisvollste Eigentor der Fußballgeschichte wiederfuhr.
Escobar: "Das Leben ist noch nicht zu Ende"
Kurz nach der Partie, nach welcher Kolumbiens Vorrundenaus besiegelt war, wandte sich Escobar in der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo an die Einwohner der Heimat und leistete Abbitte: "Wir haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir lassen uns lähmen von Wut und Gewalt. Oder wir überwinden uns und geben unser Bestes, um anderen zu helfen. Es ist unsere Wahl. Lasst uns bitte in Respekt miteinander umgehen! Das Leben ist noch nicht zu Ende."
Die Worte sollten einerseits die enttäuschten Fußball-Fans wieder aufrichten, andererseits dem vom Drogenkrieg arg gebeutelten Land Trost und Hoffnung spenden. Was Escobar damals nicht wusste: tatsächlich sollte sein Leben nur wenige Tage später ein tragisches Ende finden.
Umstände von Escobars Mord ungeklärt
Den Warnungen seiner Teamkollegen zum Trotz, er solle nach der Heimkehr nicht öffentlich in Erscheinung treten, besuchte Escobar in der Nacht auf den 2. Juli 1994 eine Bar in der Drogenhochburg Medellin. Wenige Stunden später wurde Escobar Opfer von einem Dutzend Kugeln, die auf ihn abgefeuert wurden. Blutüberströmt erlag der Verteidiger auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen.
Mit Humberto Munoz Castro war der mutmaßliche Täter schnell gefunden, der aus einem Auto heraus auf Escobar geschossen haben soll und für die Tat zu einer Haftstrafe von 43 Jahren verurteilt wurde. Über die genauen Umstände von Escobars Tod herrschte jedoch lange Zeit Unklarheit. Die offizielle Version berichtete von einem spontan entstandenen Streit zwischen dem Abwehrspieler und dem Schützen, der in die Schießerei ausartete.
Hinter vorgehaltener Hand wurde aber getuschelt, dass kolumbianische Drogenbosse den Mord in Auftrag gegeben haben sollen, da diese durch das kolumbianische Vorrunden-Aus Unsummen bei Fußballwetten verloren hatten. Da Munoz erwiesenermaßen als Bodyguard und Fahrer den bekanntesten Drogenkartellen des Landes zuarbeitete, erschien diese These alles andere als abwegig, konnte aber nie wirklich nachgewiesen werden.
Dem Aufschrei der kolumbianischen Bevölkerung zum Trotz wurde Munoz als mutmaßlicher Mörder Escobars nach elf Jahren wegen guter Führung vorzeitig in die Freiheit entlassen. Erst im Januar 2018 wurde mit Juan Santiago Gallon Henano der mutmaßliche Auftraggeber des Mordes an der Grenze zu Venezuela festgenommen.
Große Anteilnahme an Escobars Tod
Während zahlreiche Dokumentationen und Berichte Escobars Tod aufarbeiteten, nahm die Anteilnahme an dessen Ableben riesige Ausmaße an. Geschätzte 120.000 Menschen erwiesen Escobar bei dessen Bestattung in Medellin die letzte Ehre.
Noch heute sorgen zahlreiche Fanklubs, die damals ins Leben gerufen wurden, dafür, dass Escobars Vermächtnis nicht in Vergessenheit gerät. Das Foto des Abwehrspielers ist bei Auftritten der kolumbianischen Elf immer noch allgegenwärtig auf den Tribünen.
Der Heldenstatus, den Escobar unter dem kolumbianischen Volk spätestens seit dem 2. Juli 1994 genießt, wird für immer unvergänglich bleiben.