Albert Streit hat seit seinem Wechsel zu Alemannia Aachen wieder Spaß am Fußball. Das war in seiner Zeit beim FC Schalke 04 nicht so. Streit wurde durch seine ungewohnte Offenheit zum Sinnbild des raffgierigen Fußballers und stand auch aufgrund seines Images kurz vor dem Karriereende. Im Interview nimmt der bald 32-Jährige kein Blatt vor den Mund und äußert sich zu seinen Anfängen als Fußballer, die Zeit unter Felix Magath und erklärt, was in an der Fußballbranche besonders stört.
SPOX: Herr Streit, Sie sind 1980 in Bukarest geboren. Wie kam es damals, dass Ihre Familie und Sie nach Deutschland gekommen sind?
Albert Streit: Wir wollten vor der Diktatur unter Nicolae Ceausescu in der Hoffnung fliehen, in Deutschland eine bessere Zukunft zu haben. Ich war damals ein Jahr alt. Man nahm uns in einem Aussiedlerheim in Nürnberg auf. Da meine Großeltern bereits in Göppingen in der Nähe von Stuttgart wohnten, sind wir wenig später dorthin gezogen. Da hatten wir das Glück, dass kurz darauf zwei Häuser weiter eine Wohnung frei wurde und wir dort bleiben konnten.
SPOX: In der Nähe in Zuffenhausen fing Ihre Karriere als Fußballer an. Von dort folgte der Wechsel in die Jugendabteilung des VfB Stuttgart. Wer hat Ihr Talent denn als erstes erkannt?
Streit: Es gab im Sommer immer die sogenannten Jugendtage. Dort wurde ich entdeckt. Von rund 700 Kindern, die für die E-Jugend in Frage kamen, sind zwei zum VfB gegangen - einer davon war ich. Das war ein Riesenschritt, sich ständig mit den Besten messen zu können.
SPOX: Gab's auch Nachteile?
Streit: Man musste viele Entbehrungen hinnehmen. Meine Kumpels sind natürlich zum Feiern in die Diskotheken gegangen und ich blieb zuhause. Mein Vater hat mir immer die nötige Richtung vorgegeben. Ich bin froh, dass er mich so erzogen hat.
SPOX: Mit 17 sind Sie zu Eintracht Frankfurt gewechselt, obwohl die Stuttgarter Nachwuchsabteilung zum Besten in Deutschland gehört. Warum?
Streit: Ich hatte in der A-Jugend einige Angebote vorliegen - unter anderem das von Frankfurt. Das Paket war super. Ich konnte mir eine Ausbildungsstätte aussuchen und habe einen Kontrakt als Vertragsamateur erhalten. Ich wäre gerne beim VfB geblieben und hatte gefragt, ob man mir dort ähnliches bieten kann. Das wurde leider verneint, daher bin ich nach Frankfurt gegangen.
SPOX: Dann waren Sie also plötzlich alleine in Frankfurt.
Streit: Das ging aber. Ich habe eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert und wohnte das erste halbe Jahr bei einer Gastfamilie. Zum Einleben war das ganz gut. Danach hatte ich meine erste eigene Wohnung und musste mich natürlich erstmal ans Wäschewaschen und diese ganzen Dinge gewöhnen. Es hat mir aber geholfen, früh selbstständig zu werden.
SPOX: All das ist jetzt bald 15 Jahre her. Zuletzt machten Sie nur noch als Dauerreservist und Raffzahn Schlagzeilen. Warum haben Sie es nicht geschafft, früher den Absprung vom FC Schalke zu wagen, um Ihrem jetzigen Image zu entfliehen?
Streit: Ich hätte auf sehr viel Geld verzichten müssen. Dazu war ich in meinem Alter aber nicht bereit, da ich wusste, dass ich einen solchen Vertrag wie auf Schalke nie wieder unterschreiben werde.
SPOX: Das ist sehr ehrlich. Dennoch drohte Ihnen auch das vorzeitige Karriereende. Wie nah standen Sie davor, einfach aufzugeben?
Streit: Das schwirrte auf jeden Fall in meinem Kopf herum. Schalke wollte mich am Ende ja nur noch loswerden. Zuvor gab es immer mal wieder lose Anfragen von Vereinen. Die dachten aber, ich würde die wildesten Gehaltsforderungen stellen. Wichtig war daher vor allem die gerichtliche Einigung mit Schalke. Ich wollte mich unbedingt anders vom Profifußball verabschieden und nicht einfach aufgeben. Die Anfrage aus Aachen kam für mich dennoch relativ überraschend. Ohne Friedhelm Funkel wäre der Transfer zur Alemannia niemals zustande gekommen.
SPOX: Was wäre passiert, wenn Aachen nicht angeklopft hätte?
Streit: Es hätte durchaus sein können, dass ich die Schuhe dann komplett an den Nagel gehängt hätte. Ganz klar.
SPOX: Wie ist das Gefühl, nach so langer Zeit wieder ein wichtiger Bestandteil einer Mannschaft sein zu dürfen?
Streit: Ich genieße das derzeit sehr. Es war für mich jahrelang Normalität, jeden Tag ins Training zu fahren, Spaß am Fußball zu haben, am Wochenende ein Spiel zu absolvieren und danach kaputt nach Hause zu fahren. Diese Dinge sind für mich nun wieder etwas ganz Besonderes. Auf Schalke war es ja so verfahren, dass ich gar nicht mehr wusste, wie sich die Normalität anfühlt.
SPOX: Was war für Sie Normalität auf Schalke?
Streit: Ich bin dort jeden Tag ins Training gefahren und wusste nicht, was mich erwartet und ob ich überhaupt mittrainieren darf. Meine Mitspieler spielten elf gegen elf und ich musste im Wald alleine laufen gehen oder abseits von der Mannschaft den Ball ein wenig hochhalten. Mir wurden auf Schalke die letzten drei Jahre genommen.
Teil II: "Die Heuchlerei stört mich gewaltig"
SPOX: Sie wurden in die zweite Mannschaft abgeschoben. Wie schwer war es für Sie, sich dort reinzuhängen, obwohl Sie keinerlei Perspektive bei den Profis besaßen?
Streit: Das war gar nicht schwer, sondern eher ungewohnt, plötzlich vor 200 Zuschauern zu spielen. Ich wollte auch dort jedes Spiel gewinnen. Michael Boris war unser Trainer, unter ihm habe ich den Spaß am Fußball wiedergefunden. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich nur in der 4. Liga spiele.
SPOX: Durften Sie dann aber auch irgendwann nicht mehr.
Streit: Mir wurde gesagt, dass man mich nicht öffentlich für meine Leistungen in der Zweiten loben durfte. Das hätte den Trainer den Job gekostet. Ich habe auch gehört, dass viele Angestellte keinen Kontakt zu mir haben durften, da sie sonst Probleme mit dem Verein bekommen hätten. Und plötzlich durfte ich selbst dort, wo es mir wieder Freude gemacht hat, auch nicht mehr spielen - ohne irgendeine Begründung. Ich kam mir vor wie ein Aussätziger.
SPOX: Vermuten Sie, dass Schalke eine positive Berichterstattung über Sie verhindert hat?
Streit: Das ist keine Vermutung, das hat mir der Trainer ja nach der Vorbereitung gesagt. Er wollte mich zum Kapitän machen, da mich alle respektierten und zu mir hochschauten. Er kam dann aber eine Woche vor dem ersten Pflichtspiel an und sagte mir, dass er sein Wort leider nicht halten könne. Die Vereinsführung hätte ihm verboten, mich zum Kapitän zu machen und etwas Positives über mich in der Öffentlichkeit zu sagen. Sonst müsste er die Koffer packen.
SPOX: Jetzt sind Sie wieder bei Friedhelm Funkel, den Sie schon aus Frankfurt kennen. Funkel ist wie Felix Magath ein alter Haudegen im Trainergeschäft. Worin unterscheiden sich die beiden?
Streit: Bei Funkel werde ich so akzeptiert, wie ich bin, und bekomme Vertrauen entgegengebracht. Was Magath angeht, rate ich Ihnen, einfach mal andere Spieler zu fragen. Am besten welche, die nicht mehr bei ihm unter Vertrag stehen. Äußert man bei ihm nämlich seine Meinung, kann es gut sein, dass man sich schnell bei den Amateuren wiederfindet. Denn damit kann er nicht umgehen.
SPOX: So erging es Patrick Helmes in Wolfsburg. Kurzzeitig erinnerte seine Lage ein wenig an Ihre auf Schalke.
Streit: Das kann ich verstehen. Magaths Druckmittel ist das Spiel mit der Angst. Er redet kaum mit einem Spieler und hat dann aber plötzlich tausende Freunde bei "Facebook", mit denen er spricht. Das finde ich lächerlich, aber darüber haben sich ja schon viele lustig gemacht.
SPOX: Angst und Druck - da ist man auch schnell beim Thema Burnout, das im Fußball immer größere Dimensionen annimmt. Ist der Leistungsdruck im Profigeschäft zu groß?
Streit: Das kommt letztlich auf jeden Einzelnen an und wie er damit umgeht. Seit Robert Enkes Tod hat sich aber gar nichts verändert. Das Werben um Verständnis, dass Fußballer keine Roboter seien, und all die anderen angeblichen Konsequenzen, die man daraus ziehen wollte, waren doch Tage später wieder vollkommen vergessen. Viele Leute nehmen den Fußball einfach so ernst, als ob es um Leben und Tod geht. Es gibt tausende Dinge im Leben, die wichtiger als Fußball sind.
SPOX: Sie sind seit 13 Jahren im Profigeschäft und haben einiges - positiv wie negativ - durchgemacht. Was hat sich in all den Jahren geändert?
Streit: Die Heuchlerei, die in dieser Branche mittlerweile an der Tagesordnung ist, stört mich gewaltig. Die Leute können die Wahrheit oft einfach nicht vertragen und möchten lieber angelogen werden. Dafür gibt es dutzende Belege.
SPOX: Können Sie ein Beispiel nennen?
Streit: Es gab schon so viele Spieler, die von ihrem Verein geschwärmt haben und sagten, sie seien schon seit ihrer Kindheit glühender Anhänger. Kommt dann aber die Chance, woanders das Doppelte zu verdienen, spricht man nur von der sportlich besseren Perspektive, für die man sich entschieden habe. Kein Mensch sagt, dass er sich finanziell extrem verbessern kann. Stattdessen macht man den Leuten etwas vor, was die offenbar auch hören möchten.
spoxSPOX: Sie sagten damals, dass Sie auf Schalke den Vertrag Ihres Lebens unterschrieben haben. Seitdem haben Sie das Image des Abzockers.
Streit: Ich hätte das ein bisschen anders ausdrücken sollen, auch wenn es eine ehrliche Antwort war. Die Wahrheit anders zu formulieren, das ist gar nicht so leicht (lacht). Aber sehen Sie, ich müsste ja jetzt im Nachhinein sagen, dass ich lieber gelogen hätte. Dann würde ich jetzt nicht als Abzocker dastehen. Da bin ich lieber ehrlich, auch wenn es unangenehme Folgen haben kann.
SPOX: Wenn Sie jetzt noch einmal an einem bestimmten Punkt Ihrer Karriere einsteigen und von vorne beginnen könnten, wo wäre das?
Streit: Ich hätte in Frankfurt bleiben müssen. Dann wäre wohl vieles, vieles ganz anders gelaufen. Ich bereue aber nichts.
Albert Streit im Steckbrief