Diamanti: "Als Diamantinho wäre es leichter"

Christian Bernhard
23. März 201212:33
Alessandro Diamanti (r.) ist einer der Garanten für Bolognas HöhenflugGetty
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Spezialist für besondere Tore, Anwärter auf ein EM-Ticket und bunter Hund: Alessandro Diamanti vom FC Bologna ist kein Nullachtfünfzehn-Spieler. Im Interview spricht der Kreativspieler des FC Bologna über seine aufregende Zeit bei West Ham United, sein Nationalmannschaftsdebüt mit 39 Grad Fieber, ein angebliches Interesse von Felix Magath und Lagerfeuer mitten in der Kabine.

SPOX: Herr Diamanti, Normalo-Tore sind nichts für Sie: Gegen Lazio trafen sie volley aus 35 Metern und setzten einen Eckball direkt an die Querlatte - gewollt.

Alessandro Diamanti: Ich habe eben nicht das Glück anderer, Treffer von der Torlinie zu machen. Mir gefällt es, schwierige Dinge auszuprobieren. Manchmal gelingt es mir, manchmal muss ich Pfiffe einstecken, weil es in die Hose geht. Aber ich versuche die schwierigen Aktionen. Ich liebe den Kitzel und habe keine Angst davor, eine schlechte Figur zu machen.

SPOX: Für Sie waren es spezielle Rom-Wochen. Zuerst haben sie mit Aussagen über Francesco Totti für Furore gesorgt, dadurch haben Sie die Lazio-Fans zu ihrem Idol auserkoren und dann haben Sie Lazio abgeschossen.

Diamanti: Sagen wir es so: Meine fußballerische Zukunft wird wohl nicht in Rom liegen. (lacht)

SPOX: Dafür waren Sie bereits in der Premier League. Sie schwärmen immer wieder von Ihrer Zeit bei West Ham United und betonen, dass Ihnen das sehr viel gebracht habe.

Diamanti: Erfahrungen bringen einen immer weiter, egal ob positive oder negative. Diese war sehr positiv, weil ich eine fantastische Stadt kennengelernt habe, in der ich in Zukunft leben werde. Es hat mich sehr gefreut, unter Coach Gianfranco Zola zu arbeiten, er ist ein Champion durch und durch. In England wird der Fußball auf wunderbare Art und Weise gelebt, es ist eine völlig andere Herangehensweise als in Italien. Der gespielte Fußball ist in Italien und England toll, abseits des Feldes gibt es aber keinen Vergleich: Da ist England Italien um 50 Jahre voraus. Wäre ich im Sommer nicht nach Bologna gegangen, wäre ich auf die Insel zurückgekehrt.

SPOX: Was passt in Italien nicht?

Diamanti: Die Medien haben zu viel Macht. Es gibt mittlerweile ja fast mehr Journalisten als Fußballer: 20 Zeitungen, 100 Radiosender, 24-Stunden-Sendungen über Fußball - jeder gibt seinen Senf ab. Das ist einfach zu viel. Statt die schönen Dinge hervorzuheben, wird so gut wie immer polemisiert. Das ist die negative Seite am italienischen Fußball.

SPOX: Und die positive?

Diamanti: Die Leidenschaft. In England lebt man den Fußball hauptsächlich am Spieltag selbst, in Italien hingegen die ganze Woche. Jeden Tag.

SPOX: Verfolgen Sie das Geschehen bei West Ham noch?

Diamanti: Ja, vor allem wegen der Fans, die mich nach Paolo Di Canio sehr herzlich aufgenommen haben. Ich weiß, dass in der Klubkneipe immer noch viele Fotos von mir hängen. Weniger wegen der Vereinsführung, die meiner Meinung nach Schuld am Abstieg war. Ich wäre mein ganzes Fußballer-Leben dageblieben, aber als ich gesehen habe, dass sie Zola weggeschickt haben und irgendwelche komischen Revolutionen planten, bin ich gegangen. Dabei wollte mich Coach Avram Grant unbedingt behalten, aber die Vereinsführung hat mich ohne sein Wissen einfach verkauft.

SPOX: Wie bitte?

Diamanti: Ich kam an einem Freitag zum Training, am Wochenende hätte ich gegen Bolton von Anfang an spielen sollen. Da rief mich Vize-Präsident Karren Brady zu sich und sagte mir: "Ich habe dich verkauft." Ich bin dann auf den Platz und Grant erklärte mir, auf was ich gegen Bolton besonders zu achten hätte. Da sagte ich: "Coach, die haben mich verkauft." Grant hat mich fassungslos angeschaut und ist schimpfend und schwarz im Gesicht vom Platz gegangen. Diese Saison stand unter keinem guten Stern.

SPOX: Sie wurden von den Fans aber zum zweitbesten Spieler der Saison gewählt.

Diamanti: Genau, ich wurde zum "runner-up" gewählt - eine sehr wichtige Wahl in England. Nur Scott Parker landete vor mir. Auf der Insel gefallen die verrückten Spieler, die auch was Riskantes versuchen. Schließlich sind die Fans eher Tacklings als schöne Aktionen gewohnt.

Seite 2: Diamanti über Magath, die Nationalmannschaft und Lagerfeuer in der Kabine

SPOX: Sie scheinen sich mit dem Titel "verrückt" gut identifizieren zu können.

Diamanti: Und wie. Ich mache das ja nicht extra, ich bin seit der Geburt so. (lacht) Es liegt in meiner Natur. Deshalb habe ich meiner Frau ja auch einen rosaroten Fiat 500 besorgt, der statt dem Fiat-Wappen die 23 auf der Haube hat - ihren Geburtstag und meine Glückszahl.

SPOX: Sie haben immer wieder mit Ihrem Temperament für Aufsehen gesorgt, bereits zu Ihren Zeiten bei Prato.

Diamanti: Sie spielen auf das Testspiel vor einigen Jahren an, dass der FC Bologna extra organisiert hatte, um mich genau unter die Lupe zu nehmen. Ja, ich habe den Schiedsrichter damals zum Teufel geschickt, da er nach unserer Führung so gepfiffen hat, dass Bologna ausgleichen konnte.

SPOX: Blöd nur, dass Schiedsrichter Alessandro Guidi die rechte Hand des damaligen Bologna-Präsidenten Alfredo Cazzola war.

Diamanti: Wissen sie: Egal ob man sich für oder gegen mich entscheidet - das wichtigste ist, dass die Dinge fair ablaufen. Die Korrektheit steht bei mir an erster Stelle. Und mit Guidi ist schon lange alles geklärt.

SPOX: Hat Sie diese Hitzköpfigkeit an einer größeren Karriere gehindert?

Diamanti: Aber nein. In Italien wäre es zwar leichter gewesen, wenn ich Diamantinho oder Diamantovic geheißen hätte, aber erstens bin ich noch gut in der Zeit. Und zweitens: Es gibt Menschen, die bereits mit 14 reif sind, andere sind es mit 25 oder 30, und wieder andere werden es nie. Jeder hat seine eigene Geschichte.

SPOX: Ihre ist noch nicht zu Ende geschrieben. Nationalcoach Cesare Prandelli hat vor dem USA-Spiel bestätigt, dass er Sie beobachtet.

Diamanti: Klar denke ich an die Nationalmannschaft. Wenn einer Profifußballer wird, will er für sein Land spielen. Prandelli weiß, dass er auf mich setzen kann. Wenn er mich einberuft, bin ich froh, wenn nicht, werde ich weiter an mir arbeiten und den Azzurri die Daumen drücken.

SPOX: Sie haben bereits einmal das Nationaltrikot getragen. Im November 2010 debütierten Sie unter Prandelli im Testspiel gegen Rumänien.

Diamanti: Das war ein besonderer Moment. Ich hatte zwei Tage lang 40 Grad Fieber und habe dann mit 39 Grad Fieber gespielt. Ich habe niemanden etwas gesagt, denn einer wie ich, der aus der Serie C2 (4. Liga, Anm. d. Red.) nach ganz oben kommt, lässt sich so eine Chance nicht entgehen.

SPOX: Der Lauf Ihrer Mannschaft kommt Ihnen im Kampf um ein EM-Ticket zugute, Bologna ist momentan eines der heißesten Teams der Liga. Sie haben in den letzten zwölf Partien nur einmal verloren, dabei Lazio und Inter geschlagen und gegen Juve, Napoli und die Roma gepunktet. Was ist das Geheimnis?

Diamanti: Harte Arbeit unter der Woche. Mit Siegen und guten Vorstellungen wird alles einfacher, weil wir viel Selbstvertrauen gewonnen haben. Wir wollen genauso weitermachen und uns so schnell wie möglich retten. Das ist unser Ziel. Unsere größten Stärken sind das erhöhte Selbstwertgefühl, unsere Kompaktheit und die Kampfbereitschaft. Das gesteigerte Selbstbewusstsein ist die Basis, um im Fußball erfolgreich zu sein.

SPOX: Auch Gaston Ramirez sorgt für Aufsehen. Der 21-jährige Nationalspieler Uruguays zieht zusammen mit Ihnen im offensiven Mittelfeld die Fäden und wurde bereits mit einigen Topteams in Verbindung gebracht. Hat er die Qualität für ganz oben?

Marco Di Vaio legt Blumen am Platz von Lucio Dalla niedergetty

Diamanti: Ja, er kann es schaffen. Er muss noch viel lernen, aber das weiß er und er hängt sich jeden Tag voll rein. Mit seinem Talent und seiner Bereitschaft, hart an sich zu arbeiten, kann er alles erreichen.

SPOX: Bologna ist mit sieben Meistertiteln ein sehr traditionsreicher Verein und eine fußballbegeisterte Stadt. Wie lebt es sich in der Emilia-Romagna?

Diamanti: Meiner Familie und mir geht es hier sehr gut. Bologna ist eine lebenswerte Stadt, in der die Tifosi sehr am Verein hängen. Emotionen werden hier großgeschrieben, das hat man kürzlich gesehen, als Lucio Dalla (italienischer Liedermacher, Anm. d. Red.) gestorben ist. Er war ein großer Bologna-Fan und unser Kapitän Marco Di Vaio hat auf seinem Platz im Stadion Blumen niedergelegt. Das war ein sehr berührender Moment. Dalla war nicht nur ein Stück Bologna, sondern ein Stück Italien.

SPOX: Der Verein stand im Vorjahr monatelang vor dem finanziellen Aus.

Diamanti: Aus sportlicher Sicht war es ein wunderschönes Jahr, denn obwohl die Spieler sechs, sieben Monate kein Gehalt bekamen, sind sie ganz eng zusammengerückt und haben den Klassenerhalt geschafft. Dabei hatten sie alle schon abgeschrieben. Das war ein sportliches Wunder.

SPOX: Der damalige Trainer Alberto Malesani hat erzählt, dass die Mannschaft regelmäßig Lagerfeuer vor den Spielen entzündet habe.

Diamanti: Das stimmt. Das Lagerfeuer war mitten in der Umkleide, überall war Rauch - ein echtes Chaos. (lacht) Unglaublich sympathische Aktion. In 15 Jahren Profifußball habe ich viel gesehen und angestellt, aber so etwas noch nicht.

SPOX: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder mal Gerüchte um ein angebliches Interesse des VfL Wolfsburg an Ihnen. War da was dran?

Diamanti: Ich habe davon gehört, aber an mich ist nie jemand herangetreten. Es wurde mir lediglich gesagt, dass Felix Magath mich gut fand. Wo genau er mich beobachtet haben soll, weiß ich ehrlich gesagt nicht. (lacht) Aber eine Erfahrung in Deutschland würde mir sehr gefallen. Ich verfolge die Bundesliga, das fußballerische Niveau dort ist gestiegen. Borussia Dortmund gefällt mir sehr und Arjen Robben ist bärenstark. Ich fühle mich in Bologna pudelwohl, sollte ich diese Stadt aber noch einmal verlassen, würde ich das Ausland bevorzugen. Außer...

SPOX: Ja, bitte.

Diamanti: ... Milan, Juve oder Inter würden mich rufen. Da würde ich schon hingehen, so ist es ja nicht. (lacht) Spaß beiseite: Das Ausland reizt mich einfach. Ich liebe es, neue Kulturen und Sprachen kennenzulernen.

Alessandro Diamanti im Steckbrief