Alexander Zorniger im Interview: "Mir geht es einzig und allein um die richtige Aufgabe"

Jochen Tittmar
20. Oktober 202010:11
Alexander Zorniger während seiner Zeit beim VfB Stuttgart.imago images / Eibner
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Nach dem Ende beim VfB Stuttgart verließ Alexander Zorniger Deutschland in Richtung Dänemark und arbeitete erfolgreich beim Traditionsverein Bröndby IF. Seit Februar 2019 ist der ehemalige Leipzig-Trainer ohne Job, lebt aber weiter in der Nähe von Kopenhagen.

Im Interview mit SPOX und Goal spricht der 53-Jährige über seine neue Ausgeglichenheit, frühere Fehler und die Lerneffekte des "Königswegs" Dänemark, die ihn als Trainer und Mensch neu beeinflussten.

Zorniger äußert sich zudem zu seiner provokanten Art, bisherigen Angeboten und Vorbehalten aus Deutschland.

Herr Zorniger, im Februar 2019 wurden Sie nach zwei zweiten Plätzen und einem Pokalsieg auf Rang vier stehend bei Bröndby IF entlassen. In Ihrer seit 2016 andauernden Zeit in Dänemark sind Sie zudem zweifacher Familienvater geworden und leben weiter im Land. Wieso sind Sie nicht nach Deutschland zurückgekehrt?

Alexander Zorniger: Wir hatten in Dänemark eine extrem erfolgreiche Zeit mit sehr großer Wertschätzung, auch in Bezug auf den Stimmungswandel in einem großen Traditionsverein. Da war es aus emotionalen und pragmatischen Gründen nie ein Thema, das Land gleich zu verlassen. Wir sind hier eine Familie geworden, beide Kinder sind hier geboren. Wir wohnen nur 100 Meter vom Meer entfernt und haben ein richtig gutes Verhältnis zur Nachbarschaft. Die Lebensqualität passt also. Meine Tochter kam in den Kindergarten, als ich bei Bröndby gearbeitet habe. Es hätte keinen Sinn ergeben, sie dort wieder herauszunehmen. Da meine Frau aus dem Osten Deutschlands und ich aus dem Süden komme, haben wir uns auch noch nicht festgelegt, wo genau einmal unser Hauptwohnort sein soll.

Wenn man bedenkt, dass Sie lange mit sich gerungen haben, einen Verein im Ausland zu übernehmen: Wie überrascht sind Sie von sich selbst, nun schon seit über vier Jahren in Dänemark zu leben?

Zorniger: Es war keineswegs so abzusehen. Ich habe 2012 mit 45 das erste Mal in meinem Leben den Dunstkreis Stuttgart wirklich verlassen. Seitdem sind erst acht Jahre, aber gefühlt ein ganzes Leben vergangen. Die Geschichten, die ich in dieser Zeit erlebt habe, reichen eigentlich für vier Leben. Wenn ich schon jetzt auf mein Leben in Anbetracht meiner Zielsetzung zurückblicke, irgendetwas daraus machen zu wollen, bin ich relativ weit gekommen. Ich bin mir selbst zumindest nicht mehr verpflichtet, mein Leben jetzt total spannend zu machen, weil es das seit vielen Jahren bereits ist.

Dabei wollten Sie anfangs auf dem deutschen Markt bleiben, wie Sie 2016 im SPOX-Interview sagten.

Zorniger: Ich hatte auch erst Bedenken, da ich die dänische Sprache nicht konnte und nicht wollte, dass es so aussieht, als würde ich aus Deutschland abhauen wollen. Als ich mich in Kopenhagen das erste Mal mit Manager Troels Bech unterhielt, habe ich ihm gesagt, dass das eher nichts wird. Er ließ aber nicht locker. Ich kam dann für ein weiteres Gespräch wieder, zusammen mit meiner heutigen Frau. Es schien die Sonne und irgendwie hatte ich dann dasselbe heimelige Gefühl wie damals, als ich das erste Mal durch Leipzig fuhr. Wir haben eine dieser Touristen-Bustouren gemacht, die eigentlich gar nicht mein Ding sind. Doch von Minute zu Minute hat sich bei uns die Überzeugung verfestigt, dass es hier von der reinen Lebensqualität her total passen könnte. Wir haben uns tatsächlich in Kopenhagen verliebt, dabei wussten wir noch gar nicht, wie sehr der Klub und die Fans unser Leben bereichern würden. Und da der Verein mir durchgehend das Gefühl gegeben hat, dass er mich unbedingt haben möchte, habe ich zugesagt. Zum Glück!

Ende 2017 wurden Sie erstmals Vater. Welchen Einfluss hatte das auf Sie?

Zorniger: Meine kleine Familie hat mich schnell auf ein gutes Level heruntergekühlt. Ich habe ein größeres Verständnis für die persönlichen Befindlichkeiten der Leute um mich herum bekommen. Es gibt dir einfach ein größeres Maß an Gelassenheit und Ruhe. Ich bin ausgeglichener geworden und sehe manche Dinge nicht mehr so verbissen, auch im Umgang mit meinen Spielern und Vorgesetzten.

Inwiefern?

Zorniger: Ich bin mit 50 Vater geworden. Da gibt es natürlich ein paar Prinzipien, die sich bis dahin verfestigt haben - doch man lernt nicht aus. Wenn ich beispielsweise mit der Mannschaft auf dem Trainingsplatz stehe, erwarte ich, dass bestimmte Prinzipien umgesetzt werden - vor allem in Bezug auf das Kreieren einer Leistungsatmosphäre und eines Teamgedankens. Nun allerdings mit zusätzlichen Aspekten, die ich über das Leben gelernt habe. Mir ging und geht es eigentlich nur darum, Spiele zu gewinnen. Es gibt aber Faktoren, die einen näher an dieses Ziel bringen, als ich es in der Vergangenheit gedacht habe.

Zur dänischen Lebensweise gehört vor allem der Begriff "hygge", der das Glücklichsein und die Gemütlichkeit umschreibt. Wie haben Sie dieses Lebensgefühl dort erfahren, was bedeutet es für Sie?

Zorniger: Das wird Ihnen auch ein Däne nicht genau erklären können. Die Dänen gehen zwar früh zur Arbeit, aber sie brauchen das Gefühl, denn sie wollen um 14.30 Uhr auch wieder zu Hause sein können, um noch einen großen Teil des Tages vor sich zu haben und das Leben genießen zu können. Kaum jemand bewertet andere wegen der Größe ihres Autos oder Hauses. Die wertvollsten Gegenstände haben alle vielmehr innerhalb ihrer eigenen vier Wände, weil es ihnen wichtiger ist, sich darin wohlzufühlen. Ich weiß auch noch, wie eines Tages mein deutscher Videoanalyst Matze Borst von einem Sponsorentermin kam und meinte, er konnte bis zum Schluss nicht sagen, wer dort der Chef war. Es interessiert niemanden, ob der Sportdirektor im Mannschaftsbus immer vorne sitzt oder nicht. Man versucht hier ständig, alle Parteien zu Wort kommen zu lassen und keine Meinungen abzubügeln.

Der damalige Bröndby-Sportdirektor Ebbe Sand verkündete das Aus von Alexander Zorniger.imago images / Ritzau Scanpix

Würden Sie sagen, dass Sie als Deutscher mit dänischem Wohnsitz gewissermaßen zwischen beiden Welten stehen?

Zorniger: Ja. Ich nehme sehr viel auf und sehe, wie vieles total Sinn für mich selbst ergibt. Ich bin daher auch überhaupt nicht unruhig hinsichtlich meiner Jobsituation. Ich genieße es vor allem unglaublich und weiß, wie privilegiert ich bin, dass ich meine Kinder in dieser frühen Phase aufwachsen sehe.

Wie blicken Sie denn mittlerweile auf die Deutschen, wenn Sie manches Mal in der Heimat sind?

Zorniger: Der Deutsche motzt und hupt nach wie vor etwas schneller, auch sein Blick auf das Ausland hat sich ein bisschen verändert. Leider sehr oft nicht zum Guten, da die Deutschen den Anspruch haben, zahlreiche Sachen richtig bewerten zu können. Das tun sie jedoch selbstverständlich nicht, denn es gibt schlichtweg ganz viele verschiedene Wege, die Dinge zu betrachten. Genau das kann man meiner Ansicht nach aber erst richtig ein- und wertschätzen, wenn man selbst einmal für längere Zeit im Ausland war und von dort auf Deutschland blickt.

Der Weg aus Deutschland heraus scheint für Sie in persönlicher wie beruflicher Hinsicht also genau richtig gewesen zu sein.

Zorniger: Absolut. Es war mein Königsweg, um ein besserer Trainer zu werden und meinen Fokus viel mehr für Themen zu erweitern, die mich weitergebracht haben - als Trainer, aber vor allem auch als Person. Der Glaube an das Gute im Menschen hat sich durch die Zeit in Dänemark bei mir deutlich verstärkt.

Weshalb glauben Sie, nun ein besserer Coach zu sein?

Zorniger: Ich denke, ich war schon immer ein ganz guter Trainer für willige Performer. Ich war und bin aber nach wie vor kein guter Trainer für Low- oder Non-Performer, nicht nur Spieler. Wenn ich merke, dass intern wie extern nicht ernsthaft über den Faktor Leistung gesprochen wird, sondern nur darüber, wie man am besten blendet, bleibe ich ganz kurz angebunden. Das hat sich nicht geändert. Ich gehe aber nicht mehr wie vielleicht früher davon aus, dass jemand grundsätzlich seine Leistung aus Bequemlichkeit nicht abliefert. Durch die Erfahrungen in Dänemark nehme ich nun grundsätzlich an, dass jemand gewillt ist, seine Leistung zu bringen. Irgendetwas hemmt ihn derzeit vielleicht nur. Erst wenn ich durch ein Gespräch oder das Training herausfinde, dass derjenige nicht alles dafür tut, um erfolgreich zu sein, greifen bei mir wieder andere Mechanismen. Die Motivation für Leistung bei Spielern und Staff zu finden, ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe für uns Trainer in dieser Zeit und in diesem extrem öffentlichen Job, in dem es um so viel Geld geht.

Sie haben für sich festgestellt, dass viele Wege nach Rom führen können.

Zorniger: Genau. Nämlich nicht nur über noch mehr Training oder Videoanalyse. Ich glaube, man muss möglichst viel Wissen für sich zusammentragen, wie man eine Top-Leistung abliefern kann. Das kann jedoch bei jedem Spieler und Trainer anders aussehen. Der eine wird ein überragender Coach, weil er immer mehr Trainingsformen, immer mehr Möglichkeiten für Videoanalyse, immer mehr Fachleute um sich herum ansammelt. Ein anderer dagegen verbessert sich, weil er weiß, dass er in sich noch viel mehr entwicklungsfähiges Potenzial trägt.

Alexander Zorniger: Seine Trainerstationen auf Profiebene

ZeitraumVerein
2009 (Co-Trainer)VfB Stuttgart
2010-2012SG Sonnenhof-Großaspach
2012-2015RB Leipzig
2015VfB Stuttgart
2016-2019Bröndby IF

Wie sind Sie gerade zu Ihrer Anfangszeit bei Bröndby vorgegangen, als Sie das nun angehäufte Wissen noch nicht in der Form hatten?

Zorniger: Zu Beginn war ich noch zu verbissen und ungeduldig. Die dänische Gelassenheit half mir schnell, den Blick auf gewisse Dinge zu verändern. In Kombination mit meiner Disziplin und der Art und Weise, Dinge anzugehen, ergab sich daraus eine von Anfang an erfolgreiche Mischung über zwei Jahre hinweg. Nach den ersten drei Wochen hieß es von manchen in unserem Staff, dass das alles ja schon ziemlich intensiv sei. Ich habe zum Beispiel den Trainingsplan nur wöchentlich bekannt gegeben. Gerade die dänischen Mitarbeiter waren das nicht gewohnt, für sie war ein vierwöchiger Trainingsplan Usus. Der ergab für mich jedoch keinen Sinn, weil ich das Training für den Kernpunkt der Arbeit und des Arbeitstages halte. Wir haben uns letztlich darauf geeinigt, dass der Plan zweiwöchig erscheint. Dass wir dann relativ schnell sehr erfolgreich waren, hat wie ein Brandbeschleuniger dafür gewirkt, dass ich Dinge anders als gewohnt angegangen bin.

Was war dann Ihr erster echter Lerneffekt?

Zorniger: Am ersten Tag wollte ich mich nach dem Training noch mit meinem dänischen Analysten zusammensetzen, um Abläufe zu besprechen. Er verwies darauf, dass er seine Kinder heute früher vom Kindergarten abholen muss und wir das Gespräch erst morgen führen können. In Deutschland schwer vorstellbar. Wir hatten dann am nächsten Tag ein sehr gutes und entspanntes Gespräch und in der Zukunft ein herausragendes und professionelles Verhältnis, von dem ich oft profitierte. Ich hatte mir ohnehin geschworen, dass ich nicht auf Anhieb alles auf den Prüfstand stellen und sofort tiefgründige Entscheidungen treffen werde. Ich wollte sehen, wie Sachen funktionieren, die ich anstoße. Ich muss immer das Gefühl haben, dass alle 100 Prozent geben, habe aber relativ schnell gelernt, dass man die auch in einem zeitlichen Rahmen von vielleicht nur 70 Prozent geben kann. Zudem habe ich im Team mit meinem Manager alle größeren Entscheidungen erst treffen wollen, wenn wir die Dinge für einen Zeitraum beobachten. Weihnachten war hier die Deadline. Natürlich immer mit dem Wissen, dass es auch Entscheidungen gibt, die du manchmal gleich treffen musst.

Haben Sie dadurch auch gemerkt, dass es womöglich besser ist, weniger Themen ausdiskutieren zu wollen?

Zorniger: Ja. Grundsätzlich muss ich nicht jedes Mal jedem erklären, warum er vielleicht falsch liegt und ich richtig. Das bleibt doch sehr oft auch subjektiv. Ich bin mittlerweile in der Lage, mir meinen Teil auch nur zu denken und versuche nicht mehr, jemandem meine Sichtweise überzustülpen. Das Recht hat man einfach nicht. Ich will kein Dampfplauderer sein, sondern andere Menschen im Fußballfachlichen überzeugen können, aber gleichzeitig bereit sein, selbst fachlich überzeugt zu werden. Im Wissen darum, dass das große Ganze im kurzfristigen sportlichen Bereich immer beim Cheftrainer zusammenlaufen muss.

In Ihrer Zeit in Deutschland lernte man Sie als teils provokativen Typen kennen, der knallhart ehrlich sein konnte. Woher kommt diese Art bei Ihnen?

Zorniger: Ich bin einfach der Meinung, wenn man für gewisse Dinge steht, kann man sie im beidseitigen Interesse auch zeigen - weil ich es mir einerseits wert bin und andererseits den Respekt für mein Gegenüber zeige, indem ich mich mit ihm intensiv auseinandersetze.

Viele Menschen reagieren allerdings mindestens allergisch auf zu große Offenheit.

Zorniger: Ich kann nur für mich sprechen und handeln und nicht für die angesprochenen vielen Menschen. Als meine Kumpels in der Pubertät angefangen haben, Alkohol zu trinken, dachte ich mir: Wenn das jetzt alle machen, ist es irgendwie komisch und nichts für mich. Ohne Wertung trinke ich bis heute keinen Tropfen (lacht). Es ist aber nicht so, als sei ich mit 22 in meinem Denken eine fertige Persönlichkeit gewesen und habe nichts mehr an mir geändert. Ich reflektiere mich in allen Bereichen meines Lebens ständig. Heute weiß ich, dass man zu einem guten Essen auch ein gutes Glas Wein genießen kann. Dieses Gen würde ich in dem Fall auch gerne haben, aber bislang habe ich mich da noch nicht überwunden.

Sie sagten einmal, dass sich das Trainerbild verändern und man als Coach desillusioniert würde. Inwiefern haben Sie Ihre Erwartung an den Job umgestellt?

Zorniger: Man muss einfach akzeptieren, dass man dieses Bild nicht jedes Mal verändern kann. Um eine Situation nicht eskalieren zu lassen, muss man sie - wenn es nichts Essentielles für einen ist - nicht provokativ oder aggressiv angehen, wie ich es teils in der Vergangenheit gemacht habe. Nicht hingehen und sagen: Stopp, so wie du das machst, stimmt es nicht. Sondern: Lass' es uns bitte einmal anders versuchen. Auch das ist typisch dänisch.

Wie handhaben denn andere Trainer, mit denen Sie sich austauschen, ihre eigene Situation und das Leben in der Öffentlichkeit?

Zorniger: Das macht jeder je nach Erfahrungsschatz auf seine Weise. Jeder merkt in diesem Job in sehr kurzer Zeit, dass wir jede Woche öffentlich bewertet werden, ohne dass vielleicht in der Bewertung alle entscheidenden Faktoren für das Handeln des Trainers bekannt sind.

Nach zehn Jahren ohne Titel gewann Bröndby IF unter Alexander Zorniger 2018 den dänischen Pokal.imago images

Was bedeutet das wiederum für Sie als Trainer?

Zorniger: Dass es das gibt, fertig. Sobald ich mein Handeln zu sehr ändere, kann es sein, dass mein Wertekompass nicht mehr stimmt und ich zu viele falsche Entscheidungen treffe oder zu viele falsche Aussagen mache.

Wenn wir schon das Thema Werte streifen: Wie schauen Sie denn auf die Welt an sich?

Zorniger: Ich bin der Meinung, sie ist aktuell mit einem ganz schwachen Wertesystem ausgerüstet, das besonders bei einigen großen politischen Leadern überhaupt nicht mehr stimmt. Ich finde übrigens, dass sich da unsere Kanzlerin positiv abhebt. Es ist doch eine Katastrophe für alle jüngeren Menschen, die gerade aufwachsen, wenn jemand wie Trump suggeriert, dass er eine verlorene Wahl womöglich nicht akzeptieren wird oder für den eigenen Nutzen jedes Mittel recht ist.

Fragen sich letztlich zu wenige, wofür sie eigentlich in ihrem Leben stehen möchten?

Zorniger: Vielen ist der Wertekompass offensichtlich total aus dem Ruder gelaufen. Vor 20, 30 Jahren war es noch eine riesige Schlagzeile, wenn irgendwo ein Mensch erschossen wurde. Heute tangiert das nur noch wenige, weil es nichts Außergewöhnliches mehr ist. Oder schauen Sie sich das Unterhaltungsprogramm im Fernsehen an: Heute hat man Top-Einschaltquoten bei Formaten, die nicht die geringste Wertigkeit haben, weil es keine Balance der Werte mehr gibt. In der Hinsicht: Das kann und darf ich einfach nicht machen, weil es allem widerspricht, was uns vom Tier unterscheidet. Stattdessen werden sofort die niederen Instinkte angesprochen - und das geht dann in viele andere Bereiche über.

Seit Sie bei Bröndby entlassen wurden, hat man zumindest von Deutschland aus betrachtet nicht den Eindruck bekommen, Sie stünden hier besonders im Fokus. Wie sehen Sie das?

Zorniger: Sehr entspannt, da es mir ermöglicht hat, eine gute Balance in meinem Leben zu garantieren.

Wie groß ist denn neben dem familiären der berufliche Anteil Ihrer freien Zeit seit dem Aus?

Zorniger: Ich habe schon während meiner Zeit in Leipzig, Stuttgart und Bröndby Leadership-Seminare gehalten. Zunächst jedoch sehr aus meiner persönlichen Sicht heraus. Ich beschäftige mich auch sehr mit den Philosophien von Kapazitäten im Sport wie zum Beispiel dem Basketballtrainer Phil Jackson, sowohl in Biographien als auch über Serien. Auch die Dokumentation "Sunderland till I die" fand ich sehr lehrreich. Darüber hinaus gibt es natürlich auch ohne Job fast keinen Tag, an dem sich meine Frau bei der Auswahl des abendlichen Fernsehprogramms nicht dem Fußball beugen muss.

Was haben Sie von den unterschiedlichen Sport-Philosophien mitgenommen?

Zorniger: Es hat mir in erster Linie gezeigt, was hinsichtlich des Umgangs mit Führungsstrukturen weiter zu mir passt und wo ich mich noch besser aufstellen muss. Ich bin aber weit davon entfernt zu sagen, dass ich künftig meine Prinzipien komplett umwerfen muss, um weiterzukommen. Du kannst im Sport auf extrem unterschiedlichen Wegen erfolgreich und glücklich werden.

Sie standen im Sommer vor einem Engagement bei Twente Enschede in den Niederlanden. Wären Sie denn bereit für einen neuen Verein?

Zorniger: Mir geht es einzig und allein um die richtige Aufgabe und was ich für mich als befriedigend ansehe - und nicht darum, was für andere Verwirklichung wäre. So weit man das vorab abschätzen kann, muss ich genau hinschauen und sehen, was für eine Aufgabe auf mich zukäme und ob sie zu mir als Trainer, Person und zu meiner aktuellen Erwartung ans Leben passt. Meine Lebenszufriedenheit ist unfassbar hoch, mein Ehrgeiz aber natürlich nicht verloren gegangen.

Inwiefern fehlen Ihnen der Fußball und die Arbeit mit einer Mannschaft?

Zorniger: Grundsätzlich natürlich schon, weil das meine Passion und Profession ist. Mit nichts im Leben habe ich mich mehr auseinandergesetzt als mit Fußball. Ich merke ungefähr seit Februar, dass ich wieder einen anderen Rhythmus brauche als nur den der Kita meiner Tochter. Ich weiß zwar, dass ich für ein paar Entscheider in den Vereinen aus dem Sinn bin, weil ich aus dem Auge bin. Die Fußballwelt ist aber so global, dass es genügend Leute gibt, die auch die dänische Liga im Blick haben. Es war die ganze Zeit beständig Interesse da.

Wie kurz stand eine neue Aufgabe letztlich bevor?

Zorniger: Ich habe mich immer nur dann mit einem interessierten Verein zusammengesetzt, wenn mich die Aufgabe auch wirklich interessiert hat. Doch im Fußball wird man eben genommen oder nicht. Wichtig war mir vor allem, dass es in all der Zeit Vereinsvertreter gab, die mich ernsthaft kennenlernen wollten und sich mit meiner Vita und Person beschäftigt haben.

Wie sieht es mit deutschen Vereinen aus: Spüren Sie da Vorbehalte oder gibt es Interesse an Ihnen?

Zorniger: Beides. Ich spüre, dass verfolgt wurde, was wir bei Bröndby geleistet haben. Ich spüre aber auch Vorbehalte vor allem von Leuten, bei denen der Vorbehalt in ihr Bild von mir passt.

Weil diese Leute vordergründig Ihr Engagement beim VfB im Kopf haben?

Zorniger: Natürlich hat die Zeit in Stuttgart eine gewisse Aussagekraft und sie gehört auch bei mir dazu. Manche Personen sagen zu mir aber, wenn man die Nebengeräusche beiseite lässt, die es um mich gab und die ich auch teils selbst produziert habe, dann ist das einfach ein geiler Fußball, den ich spielen lasse. Ich habe beim VfB Entscheidungen getroffen, die nicht erfolgreich waren und die ich jetzt in der Art und Weise nicht mehr treffen würde - aus fachlicher Sicht.

Was meinen Sie damit genau?

Zorniger: Gewisse Dinge muss man mit Ruhe begleiten können, denn sonst bekommt man dieses hoch öffentlichkeitswirksame Gebilde nicht unter Kontrolle. Das muss man als Trainer schlichtweg akzeptieren.

Sie hatten einst mit Bröndby in der Europa-League-Qualifikation beim schottischen Klub Hibernian Edinburgh quasi ein Erweckungserlebnis. Dort pfiff man Ihr Team 90 Minuten lang aus, doch nach dem 1:0-Sieg wurde es mit Standing Ovations gefeiert. Seitdem würden Sie gerne einmal auf der Insel trainieren, sagten Sie.

Zorniger: Die Menschen dort lieben das Spiel und respektieren es, auch in der Niederlage der eigenen Mannschaft bei der Bewertung des Gegners und dessen Spielweise. Das steht für mich auch für Werte. Ich habe auch gesehen, dass man dort in der Analyse bei der Trainersuche anders aufgestellt ist. Ich hatte jeweils mit einem interessierten Verein aus der englischen Championship und der schottischen Premier League gesprochen und gefragt, wie man auf mich gekommen sei. Da hieß es: Wir wollen mit einer bestimmten Spielweise agieren und haben, auch teilweise mittels des Moneyball-Prinzips, auf die Zahlen der Trainer geschaut. Sie legten Wert auf Faktoren wie Ballbesitzzeiten des Gegners, Höhe der Balleroberungslinie, herausgespielte Torchancen, expected goals oder expected points. Ich finde diese Herangehensweise positiv, weil es ihnen tatsächlich darum ging, welcher Trainer zu ihrem bevorzugten Spiel passen könnte. Die Vereine wollten sich in ihrer Analyse etwas mehr von Pech oder Glück im Spielverlauf lösen.

Kommt es zu selten vor, dass Vereine eine konkrete Vorstellung davon haben, wie ihr Fußball aussehen soll und erst anschließend der Trainer ausgesucht wird, dessen Spielidee dieser Vorstellung nahekommt?

Zorniger: Ja, das ist immer wieder der Fall. Der Fußball, für den ich persönlich stehe, wird als risikobereiter wahrgenommen. Ist er aber eigentlich nicht, weil er ganz klar für etwas steht. Wenn man aber eine Spielweise hat, die auf Risikovermeidung ausgelegt ist, kann man gar nicht wissen, an welchen Stellschrauben man drehen muss, wenn mal etwas schiefgeht.

Was wäre eigentlich, wenn eine Aufgabe für Sie extrem reizvoll ist und der Verein Sie auch unbedingt haben möchte, dieser aber in der 3., 4. oder 5. Liga spielt?

Zorniger: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin so zufrieden mit dem, was ich in meinem Leben bisher erreicht habe und wie es meiner Familie und mir geht, dass ich mich nur noch an einer Aufgabe orientiere, bei der mir jemand überspitzt formuliert sagt: Alex, wir denken genauso wie du - und jetzt komm' zu uns und wir starten durch. Ob das in einer 3. oder 4. Liga ist, ist dann nicht wichtig. Als ich die Sunderland-Doku mit ihrem sportlich schmerzhaften Verlauf gesehen habe, hätte ich danach am liebsten dort unterschrieben. (lacht)

Alexander Zorniger während seiner Zeit beim VfB Stuttgart.imago images / Eibner

Ist es für Sie denkbar, eine Mannschaft ohne große Vorbereitungszeit zu übernehmen, wo jetzt der Ligabetrieb wieder aufgenommen wurde?

Zorniger: Ja, denn ich weiß, dass es den absolut richtigen Zeitpunkt nur höchst selten gibt. Inhaltlich müsste man das dann auf ein paar wesentliche Prozesse reduzieren, mit denen man Dinge einleiten kann, um dann in einer ersten richtigen Vorbereitungsphase Weiteres in Gang zu setzen. Wenn ich Fußball auf vier Bereiche herunterbreche - Spiel mit und gegen den Ball sowie Ballgewinn und Ballverlust -, gibt es in jedem davon Kernprinzipien, an denen man arbeiten und relativ schnell Veränderungen herbeiführen kann.

Sie haben in diesem Gespräch sehr reflektiert und an bestimmten Werten orientiert gewirkt. Gar nicht mehr wie die eher rechthaberische und sture Person, als die Sie manches Mal in Ihrer Zeit in Deutschland wahrgenommen worden sind. Wie blicken Sie nun konkret in Ihre Zukunft?

Zorniger: Wie gesagt: Es geht mir vor allem darum, die richtige Aufgabe zu finden. Und mir selbst klarzumachen, dass ich aus den vielen privaten wie beruflichen Erfahrungen der vergangenen Jahre die richtigen Schlüsse gezogen habe - die aber immer noch zu meiner Persönlichkeit passen.