"Dortmund vs. Schalke? Kein Vergleich!"

SPOX
19. März 201112:45
Wenn Celtic auf die Rangers trifft, hat das mit einem normalen Fußballspiel nichts mehr zu tun Getty
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Andreas Hinkel ist einer der wenigen deutschen Topspieler im Ausland, im Prinzip hat er sogar einen der coolsten Jobs der Welt. Er kickt bei Celtic Glasgow vor fanatischen Fans und darf sich nebenbei jeden Tag auf die teils eigenwillige schottische Lebensweise einlassen. Bei SPOX erzählt der 28-Jährige in seiner Braveheart-Kolumne, was er in Schottland erlebt. Diesmal berichtet er über die angespannte Lage vor dem nächsten Old Firm. Es geht um viel mehr als ein Fußballspiel.

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Hallo zusammen,

es wird höchste Zeit, dass ich mich mal wieder zu Wort melde. Zumal es einiges zu berichten gibt. Hier im schottischen Fußball kochen seit Wochen die Emotionen hoch. Ich kann all das bisher leider nur als Außenstehender verfolgen, doch die Zeichen stehen gut, dass ich bald wieder mittendrin im Geschehen bin.

Nach meinem Kreuzbandriss im vergangenen Jahr habe ich in dieser Woche zum ersten Mal wieder das Aufwärmen mit der Mannschaft mitgemacht. Es war ein grandioses Gefühl, wieder dazuzugehören. Jetzt sind es nur noch wenige Wochen, bis ich ganz zurück bin. Die Heilung meines Knies verlief bisher bilderbuchmäßig.

Andreas Hinkel bei Facebook

Der Optimismus ist und war immer da - trotzdem schmerzt es natürlich ein wenig, am kommenden Sonntag im Hampden Park nur auf der Tribüne zu sitzen. Da wird der erste Titel der Saison vergeben. Und im Ligapokalfinale heißt unser Gegner ausgerechnet Rangers. Es ist bereits das sechste (!) Spiel gegen unseren großen Rivalen in dieser Saison. Dreimal sind wir in der Liga aufeinandergetroffen (1:2, 2:0, 3:0) und zweimal im schottischen Pokal (2:2 und im Wiederholungsspiel 1:0).

Duell wird nie langweilig

Klingt langweilig? Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Dieses Duell wird nie langweilig. Niemals. Selbst wenn man es wöchentlich ansetzen würde. Das liegt natürlich auch an der unglaublich großen Rivalität der beiden Klubs. Selbst Duelle wie Dortmund gegen Schalke halten da keinem Vergleich stand.

Denn der Ursprung der Rivalität ist hier nicht der Sport. Es geht um Politik, Religion und Weltanschauung. Um Protestanten (Rangers) gegen Katholiken (Celtic) - und um Großbritannien (Rangers) gegen Irland (Celtic). All das ist sehr tief in der Bevölkerung verwurzelt.

Dazu kommt: Es sind so gut wie immer entscheidende Spiele. Durch die Dominanz beider Klubs in der Liga kommt den direkten Duellen eine viel größere Bedeutung zu, als es bei Derbys oder Spitzenspielen in anderen Ligen der Fall ist. Wenn in der Bundesliga ein Spitzenklub zwei Spiele gegen einen direkten Konkurrenten verliert, hat er immer noch alle Chancen auf die Meisterschaft. Hier sind dagegen die Old Firms sehr oft das Zünglein an der Waage.

Schottische Fußball-Welt aus den Fugen

Dasselbe gilt natürlich für die Pokalduelle. Und da hat es zuletzt richtig gerauscht. Mein lieber Mann! Im Achtelfinale des Scottish Cup (vergleichbar mit dem DFB-Pokal) haben wir durch ein 2:2 bei den Rangers ein Wiederholungsspiel erzwungen. Und bei dieser Partie ging es dann im Celtic Park mächtig ab. Es gab ein paar wilde Gerangel, unzählige Gelbe Karten - und in der Schlussphase drei Platzverweise für die Rangers. Am Ende waren wir durch ein 1:0 im Viertelfinale - aber die Fußball-Welt war hier in Schottland aus den Fugen.

Weil es nicht nur auf dem Platz, sondern auch am Rande des Spiels Tumulte gab - und zahlreiche Verhaftungen. Es folgten tagelange Diskussionen - und ein Old-Firm-Gipfeltreffen. Dort war alles am Start, was Rang und Namen hat. Zum Beispiel Alex Salmond. Das ist der Erste Minister von Schottland, was bei uns einem Ministerpräsidenten entspricht. Mit dabei waren auch die Vorstandschefs beider Klubs und Vertreter von Liga, Verband und Polizei.

Das Ergebnis: Ein Sechs-Punkte-Plan inklusive Verhaltenskodex für Spieler und Verantwortliche beider Klubs. Jetzt blickt natürlich jeder noch gespannter auf das nächste Duell am kommenden Sonntag. Und die Ansprüche an das Spiel sind hoch. Das Ligapokalfinale soll ein Schaufenster für den schottischen Fußball werden. Und den zuletzt etwas angekratzten Ruf aufpolieren.

Entwicklung in die richtige Richtung

Ich möchte die Vorkommnisse in und um das letzte Old Firm auf keinen Fall verharmlosen. Aber mir hat da bei den hitzigen Diskussionen in den Tagen danach ein klein wenig die Einordnung gefehlt. Denn dieses Spiel war ein Ausreißer. Normalerweise gehen die Duelle hart, aber fair über die Bühne. Sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen.

Auf dem Weg zu den Spielen habe ich sogar schon Fans beider Vereine friedlich miteinander zum Stadion laufen sehen. Das wäre früher unmöglich gewesen. Klar, das letzte Duell war ein Rückschlag in Sachen Umgang und Fairness. Aber insgesamt geht die Entwicklung in die richtige Richtung. Was auch daran liegt, dass der politische Konflikt, der zur Rivalität beigetragen hat, entschärft und eine neue Generation an Fans herangewachsen ist.

Ich freue mich jedenfalls riesig auf das Spiel. Weil ich weiß, dass jedes Duell eine einzigartige Atmosphäre hat. Seit ich hier bin gab es kein Old Firm, das mir nicht nachhaltig in Erinnerung geblieben ist. Hier die drei Spiele, bei denen mein Gänsehautfaktor besonders groß war.

Mein erstes Old Firm im Celtic Park: Diese Partie hatte gleich alles, was ein Fußballspiel nur bieten kann. Da es ein Nachholspiel war, fand es an einem Mittwochabend statt, bei Flutlicht. Die Stimmung war schon deshalb ganz besonders. Shunsuke Nakamura brachte uns in Führung, den Rangers gelang durch Nacho Novo der Ausgleich in der zweiten Halbzeit. In der 70. Minute klärte Rangers-Spieler Carlos Javier Cuellar mit der Hand auf der Linie und flog mit Rot vom Platz. Scott McDonald verwandelte den fälligen Elfer jedoch nicht. Erst in der Nachspielzeit, in der 94. Minute, mit der allerletzten Aktion des Spiels machten wir durch Jan Vennegoor of Hesselink noch das 2:1. Danach gab es ein ordentliches Gerangel auf dem Platz - ein wirklich emotionaler Abend.

Mein zweites Old Firm im Celtic Park: Das Spiel fand gerade mal elf Tage nach meiner persönlichen Old-Firm-Premiere statt. Diesmal bei strahlendem Sonnenschein und - natürlich - mit sensationeller Stimmung. Es ging hin und her: Unsere Führung durch Scott McDonald glichen die Rangers aus und gingen kurz darauf selbst in Führung (David Weir, Daniel Cousin). Doch wir kamen noch vor der Pause durch Scott McDonald wieder zurück. Dann gab es wieder in der 70. Minute einen Elfmeter für uns. Ich hatte bereits ein Deja-vu-Erlebnis - aber diesmal war er drin. Barry Robson sorgte für das 3:2. Wir hatten das zweite Old Firm im Celtic Park innerhalb so kurzer Zeit gewonnen, das war wirklich sensationell.

Das Finale im schottischen Ligapokal 2009: Wie es sich für ein Finale gehört, fand die Partie auf neutralem Boden im Hampden Park statt. Es war das erste Old Firm für mich, dass weder ein Heim- noch ein Auswärtsspiel war. Entsprechend ungewöhnlich war die Stimmung: du kommst ins Stadion, links ist alles in grün-weiß, rechts komplett blau.Nach 90 Minuten stand es noch 0:0, aber in der Verlängerung gingen wir durch Darren O'Dea sofort in Führung und machten in der letzten Minute durch einen Elfer von Aiden McGeady den Sack zu. Es war mein zweiter Titel mit Celtic. Bei der Siegerehrung, nur wenige Minuten nach dem Schlusspfiff, waren alle Blauen verschwunden und die Arena zur Hälfte leer. Es war ein kurioser Anblick.

Und damit schließt sich der Kreis. Ich hoffe und glaube, dass ich am Sonntag zu denen gehöre, die die Siegerehrung im Stadion genießen werden. Und natürlich hoffe ich auf ein hartes, aber faires Duell. Auf dass die Partie beste Werbung für ein Old Firm werde.

Herzliche Grüße aus Schottland,

Euer Andy

SPOX

Andreas Hinkel, geboren am 26. März 1982 in Backnang, gehört zu den besten Rechtsverteidigern Deutschlands. Von 2000 bis 2006 spielte er als Profi für den VfB Stuttgart, danach wechselte er in die Primera Division zum FC Sevilla. Seit Januar 2008 trägt Hinkel nun das Trikot von Celtic Glasgow. Für die Nationalmannschaft war er bislang 21 Mal im Einsatz. Mehr Informationen über Andreas Hinkel gibt es unter www.andreashinkel.com und auf seiner Facebook-Seite.

Andreas Hinkel im Steckbrief