Antonio da Silva ist bei Spitzenreiter Borussia Dortmund nach Robert Lewandowski der Spieler, der am häufigsten eingewechselt wird. Dass der Brasilianer beim BVB eine so tragende Rolle spielt, war vor einem halben Jahr keineswegs abzusehen.
Das Ekstase-Barometer in und um Dortmund ist nach dem beeindruckenden 3:1-Auswärtssieg in Leverkusen zum Rückrundenauftakt noch einmal beträchtlich in die Höhe geschnellt.
Wenn es etwas gab, was nach jenem Freitagabend nicht positiv beim BVB war, dann die Ungewissheit über den Gesundheitszustand von Sven Bender. Drei Tage später konnte man jedoch auch da aufatmen: Bender zog sich "nur" eine Innenbanddehnung im linken Knie zu. Sein Einsatz am Samstag gegen den VfB Stuttgart (15.15 Uhr im LIVE-TICKER) ist möglich, mehr allerdings vorerst auch nicht.
Die Versenkung drohte
Sollte Bender ausfallen oder zu Beginn geschont werden, rückt wie schon in Leverkusen Antonio da Silva auf die defensive Mittelfeldposition neben Nuri Sahin. Diese Umbaumaßnahme ist derzeit kein besonderes Geheimnis. Dass da Silva aber überhaupt eine Option auf einen freien Platz im Team des Tabellenführers ist, war vor einem halben Jahr eigentlich gar nicht geplant.
Der Karlsruher SC, der letzte Verein des Brasilianers, signalisierte da Silva schon früh, dass sein Vertrag im Wildpark aus finanziellen Gründen nicht verlängert wird. Zumal der 32-Jährige nach einem verkorksten Jahr in Baden, an dessen Ende der Abstieg in die 2. Liga stand, sowieso schon auf Leihbasis zum FC Basel abgeschoben wurde. In der Schweiz konnte er sich trotz 25 Einsätzen inklusive Meistertitel auch nicht für eine Weiterbeschäftigung empfehlen.
Also stand der doppelt Verschmähte im vergangenen Sommer da und wusste nicht, wo er unterkommen sollte. Anfragen gab es zwar, doch da Silva war ehrgeizig genug, um nicht das erstbeste Angebot anzunehmen. Doch auch das zweit- und drittbeste überzeugte ihn nicht. Nach den unglücklichen Engagements in Stuttgart und Karlsruhe standen da Silvas Aktien sowieso schon schlecht, nun drohte gar ein Stammplatz in der Versenkung.
Wenig Hoffnung zu Beginn
Einer dachte noch an ihn: Jürgen Klopp. Anfang Juli 2010 tummelte sich da Silva plötzlich beim Dortmunder Trainingsauftakt inmitten der BVB-Profis.
"Toni hält sich bei uns fit", erklärte der Coach, schob jedoch direkt hinterher: "Nein, er ist kein Thema für uns." Einfach nur ein netter Schachzug seines ehemaligen Trainers, dachte man. Da Silva und Klopp kennen sich seit ihrer gemeinsamen Zeit in Mainz, als der Stern des Mittelfeldspielers aufging, die 05er in die Bundesliga aufstiegen und sich da Silva in den Fokus des Europapokalteilnehmers aus Stuttgart spielte - und dort keinen geringeren als Alex Hleb ersetzten sollte.
Da Silva war froh über die Gelegenheit, sich unter professionellen Bedingungen zwei Wochen lang fit halten zu können. Man weiß ja nie, was passiert. Schnelllebiges Geschäft und so. Hoffnungen, sich einen Vertrag beim BVB zu ergattern, hatte er nicht: "Wenn die Borussia Interesse haben sollte - was ich aber nicht denke - sehen sie, dass ich voll da bin. Ich will aber nicht spekulieren", lautete zu dieser Zeit eines seiner Statements.
Zorc: "Sinnvolle Komplettierung unseres Mittelfeldes"
Für die Schwarzgelben kam damals ein Transfer - egal von wem - nicht in Frage. Das Hauptaugenmerk lag darauf, den Kader (finanziell) zu entschlacken. Nelson Valdez, Dimitar Rangelow oder Florian Kringe hießen da Silvas Hoffnungsträger. Auch wenn der Linksfuß als Trainingsgast eine gesonderte Rolle einnahm, schien da Silvas Integrationsprozess wie von alleine voranzuschreiten. "Ich verstehe mich mit allen Spielern richtig gut, bin jetzt schon voll integriert. Ich habe auch im Urlaub hart gearbeitet und das zahlt sich jetzt aus. Wenn also eine Anfrage kommt, bin ich topfit."
Etwas Konkretes trudelte bei da Silvas Berater allerdings nicht ein. Stattdessen erachteten es die BVB-Verantwortlichen als sinnvoll, da Silva mit ins Trainingslager nach Österreich zu nehmen. Vor allem durch seine Vielseitigkeit und Passsicherheit verdiente er sich den Platz in Stegersbach. Die Anzeichen verdichteten sich, dass da Silva, der in Testspielen Spielpraxis sammeln und den einen oder anderen Treffer beisteuerte durfte, tatsächlich als eine Option für einen Platz im Kader betrachtet wird.
Letztlich dauerte es bis zum letzten Tag der Sommertransferperiode am 31. August. Die Abgänge von Valdez und Rangelow ermöglichten da Silva einen Ein-Jahres-Vertrag. "Toni hat uns in der Vorbereitungszeit in jeder Beziehung überzeugt", sagte Sportdirektor Michael Zorc und schob nach, dass er eine "sinnvolle Komplettierung unseres Mittelfeldes" darstelle.
Da Silva und Klopp - gegenseitiges Vertrauensverhältnis
Spätestens jetzt, ein knappes halbes Jahr später, muss man der Einschätzung der Vereinsoberen vorbehaltlos zustimmen. Die Rolle, die da Silva beim BVB einnimmt, ergibt einfach Sinn. Der kurzfristige Kontrakt, der dem Brasilianer ein kolportiertes Gehalt von etwa einer halben Million Euro einbringt, stellt keinerlei wirtschaftliches Risiko dar. In da Silva bekam Klopp einen Spieler, dessen Stärken er kennt und schätzt ("Er ist ein Mann für die engen Räume.").
Der Familienvater ist der Prototyp eines hoch motivierten Bankspielers. Zwischen Klopp und ihm besteht ein großes Vertrauensverhältnis, das sich auch dadurch äußert, dass der Trainer ihn in 14 von 26 möglichen Partien einwechselte. "Wir kennen uns schon lange. Ich weiß, was er von seinen Spielern verlangt, wie seine Philosophie ist und wie er spielen will. Sein Training ist gut, die Mannschaftssitzungen fast noch besser. Alles, was er dir taktisch erklärt, verstehst du sofort", lobt da Silva seinen Coach, der ihn in Mainz noch meist links im Mittelfeld einsetzte.
Da Silva profitiert natürlich auch von der (Dauer-)Abwesenheit von Sebastian Kehl, hat im BVB-Trikot aber auch noch nicht ein einziges Mal enttäuscht. Benders Staubsaugerqualitäten gehen dem Brasilianer zwar ab, doch beweist er auf der Sechserposition ein gutes Auge und eine ordentliche Handlungsschnelligkeit.
Da Silva mit Bankrolle zufrieden
Bei der Dortmunder Schlussoffensive gegen Hoffenheim, die ihm dank eines schönen Freistoßtores in der Nachspielzeit ein Happy End bereitete, half da Silva sogar als Linksverteidiger in der Dreierkette aus. Obwohl die Partien längst entschieden waren, nutzte er wenig später gegen Hannover und Gladbach die jeweils sieben Minuten Spielzeit, um dank zweier aus dem Fußgelenk geschüttelter, öffnender Pässe, die zu Toren führten, weitere Pluspunkte einzuheimsen.
Dass die so erfolgreiche Stammmannschaft seine Chancen auf einen dauerhaften Platz unter den ersten Elf minimiert, stört da Silva nicht. Ganz im Gegenteil: "Es ist großartig, in dieser Mannschaft zu spielen, selbst wenn man nur auf der Bank sitzt. Immerhin habe ich von dort eine wunderbare Sicht. Jeder gönnt dem anderen, dass er auf dem Platz steht. Dieser Mannschaft nur beim Fußballspielen zuzugucken, ist schon ein Luxus."
Diese Ehrlichkeit ist glaubhaft. Schließlich waren luxuriöse Zustände in sportlicher Hinsicht für da Silva zuletzt selten.