"Ich will gar keinen WM-Bonus haben"

Florian Bogner
04. Februar 201116:36
Arne Friedrich will im DFB-Team keinen WM-Bonus haben, sondern durch Leistung überzeugenGetty
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Wolfsburgs Arne Friedrich kehrt gegen Italien in die Nationalmannschaft zurück. Bei SPOX spricht der 31-Jährige über fünf Wochen Bettruhe, die latente Abstiegsangst beim VfL und über sein Standing beim DFB. Außerdem erklärt er, wie sehr sich das DFB-Team verändert hat und verrät, wen er für den besten Innenverteidiger der Welt hält.

SPOX: Arne Friedrich, wie geht es dem Rücken?

Arne Friedrich: Ganz gut soweit! Ich muss vierteljährlich Spritzenkuren über mich ergehen lassen, aber an der Bandscheibe ist alles in Ordnung. Die Muskulatur ist mitunter verspannt, was aber auch kein Wunder ist, weil die Belastung in letzter Zeit hoch war - ich habe schließlich alle Spiele und alle Trainingseinheiten mitgemacht.

SPOX: Sie sprachen vor kurzem davon, dass bei einem weiteren Bandscheibenvorfall die Karriere beendet wäre. Wie hoch ist das Risiko?

Friedrich: Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Dr. Müller-Wohlfahrt hat mir versichert, dass ich mir keine Gedanken machen muss. Ich vertraue ihm voll und ganz.

SPOX: Müssen Sie spezielle Übungen vor oder nach dem Training absolvieren?

Friedrich: Ja, vor jeder Einheit und vor jedem Spiel mache ich 20 Minuten Übungen. Krafttraining ist auch wichtig. Ich habe ein striktes Programm und daran halte ich mich auch.

SPOX: Beliebte Frage: Was lernt man über sich selbst, wenn man ein halbes Jahr zum Zusehen verdammt ist?

Friedrich: (überlegt) Ich habe gelernt, mich zu gedulden, obwohl ich ein sehr ungeduldiger Mensch bin. Direkt nach der Operation musste ich fünf Wochen lang nur liegen, damit alles richtig vernarbt. Ich durfte nicht sitzen, konnte nichts machen. Es bleibt einem ja auch nichts anderes übrig, als vernünftig zu sein und die Verletzung richtig auszukurieren.

SPOX: Was macht man, wenn man fünf Wochen lang nur liegt?

Friedrich: Ich war auf jeden Fall froh, einen Fernseher zu haben! (lacht) Ich wollte aber nicht nur vor der Glotze liegen. Also habe ich ein bisschen italienisch gelernt, hatte einmal die Woche eine Lehrerin da. Ich mag die Kultur und die Sprache. Aber nicht dass jetzt gleich Spekulationen aufkommen! (lacht)

SPOX: Die WM-Spiele haben Sie sich bestimmt auch noch mal angesehen.

Friedrich: Komischerweise nicht. Ich habe erst kürzlich den Film angesehen, den ich von der Nationalmannschaft bekommen habe. Das war aber nach der Verletzung. Während der fünf Wochen habe ich davon nichts geguckt.

SPOX: Kein Fußball?

Friedrich: Doch, sonst alles! Ich habe mir natürlich alle unsere Spiele angesehen und alle Spiele der Hertha. Ich hatte ja unglaublich viel Zeit.

SPOX: Wird man zum Analytiker?

Friedrich: Klar, als Außenstehender weiß man immer alles besser. Aber auch ich kann sagen: Als Zuschauer sieht alles immer sehr viel einfacher aus, als es ist.

SPOX: War der Bandscheibenvorfall eigentlich eine Folge zu großer Belastungen durch die lange Saison inklusive WM?

Friedrich: Nein. Der operierende Professor hat mir bestätigt, dass der Bandscheibenvorfall ganz frisch war. Das waren keine Verschleißerscheinungen.

SPOX: Wie kam es dazu?

Friedrich: Ich bin nach einem Zweikampf im Training ungünstig aufgekommen und konnte mich danach kaum noch bewegen. Das war schon ziemlich krass.

SPOX: Zur sportlichen Situation in Wolfsburg - der VfL hat derzeit nur vier Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge. Läuft man Gefahr, diese Abstiegsrealität zu unterschätzen?

Friedrich: Also ich persönlich werde sie mit Sicherheit nicht unterschätzen, ich bin ja ein gebranntes Kind. Die Sache mit der Hertha zeigt, dass der Abstieg vor großen Namen nicht Halt macht. Ich glaube aber trotzdem, dass wir nichts damit zu tun haben werden. Klar haben wir uns das alles anders vorgestellt, hatten die internationalen Plätze im Visier. Von diesem Ziel müssen wir uns vorerst jedoch distanzieren.

SPOX: Wie schwierig ist es, sechs Neuzugänge zu integrieren, damit sie sofort weiterhelfen können?

Friedrich: Menschlich sind alle schon integriert. Das sind alles gute Jungs, die den Willen haben, einen Aufbruch zu erzeugen. Auf dem Platz muss man sehen, was schon geht.

SPOX: Patrick Helmes kennen Sie ja schon aus der Nationalmannschaft.

Friedrich: Stimmt, wir haben auch schon vor dem Wechsel telefoniert und gemailt.

SPOX: Arne Friedrich sagte also Patrick Helmes, dass es in Wolfsburg nicht so schlecht sei.

Friedrich: (lacht) Nein, mit dem Transfer hatte ich in dem Sinne nichts zu tun, aber wir hatten im Vorfeld schon Kontakt.

SPOX: Seine Dienste kann der VfL gut gebrauchen, oder?

Friedrich: Patrick Helmes hat alle Anlagen. Er ist beidfüssig, schnell und hat einen Torriecher. Ich hoffe, dass er schnell seinen Rhythmus findet und uns dann auch gleich hilft.

SPOX: Haben Sie nicht mittelfristig das Bedürfnis, die Kapitänsrolle zu übernehmen?

Friedrich: Nein, habe ich nicht. Mit Marcel Schäfer wurde genau der richtige Mann bestimmt. Er ist schon ein paar Jahre im Verein und macht das sehr gut. Nichtsdestotrotz werde ich auch ohne Binde weiter meine Meinung sagen und Verantwortung übernehmen.

Teil 2: Arne Friedrich über seine Rolle im DFB-Team

Teil 3: Friedrich über die EM 2012 und seine Zukunft

SPOX: Wie kam Ihr Leistungssprung bei der WM 2010 zustande?

Friedrich: Nach dem Abstieg und der harten Kritik in Berlin ist bei der Nationalmannschaft plötzlich eine unglaubliche Last von mir gefallen. Wenn der Kopf frei ist und man soviel Vertrauen und Unterstützung von den Trainern bekommt, dann nimmt eben alles einen ganz anderen Lauf. Außerdem habe ich erstmals ein Turnier auf der Innenverteidigerposition spielen dürfen, das hat mir auch viel Auftrieb gegeben. Ich bin innen nun mal sehr viel stärker als außen.

SPOX: Nie wieder Rechtsverteidiger?

Friedrich: Man soll nie nie sagen, aber ich denke, ich habe mich jetzt in der Mitte etabliert.

SPOX: Worüber Sie auch sehr froh sind.

Friedrich: Definitiv. Gegenüber der Zeit, in der ich als Rechtsverteidiger angefangen habe, hat sich das Spiel sehr verändert. Ich komme noch aus der Zeit, als man teilweise noch mit Dreierkette gespielt hat. Da war der Außenverteidiger noch auf die Defensive beschränkt. Jetzt gibt es Spielertypen wie Philipp Lahm, die permanent Druck nach vorne machen. Ich bin in punkto Ausdauer nicht der Stärkste. Dafür bin ich schnell, zweikampfstark und habe mittlerweile ein gutes Passspiel. Das sind alles Stärken, die man in der Innenverteidigung besser gebrauchen kann. Ein Flankengott bin ich nie gewesen.

SPOX: Wie oft haben Sie sich Ihr Tor gegen Argentinien noch mal angesehen?

Friedrich: (lacht) Nur einmal! Ja, gut. Es war jetzt kein Fallrückziehertor. Meine Freundin hat mir damals dazu gratuliert, dass ich den Ball reingestolpert habe. War schon witzig, aber egal: Es war mein erstes Länderspieltor. Den Fluch hätte ich damit besiegt.

SPOX: Gibt es für Sie einen WM-Bonus?

Friedrich: Nein, den will ich auch nicht haben. Jogi Löw weiß schon, was er an mir hat. Der Spieler, der die beste Form hat, soll spielen. Es gibt nur ein Ziel: den Erfolg.

SPOX: Wie war der Kontakt zum DFB während der Verletzungspause?

Friedrich: Der war immer da. Man hat telefoniert und sich ab und an auf Veranstaltungen getroffen. Das zeichnet auch den DFB-Stab aus: Auch wenn es mal für einen Spieler nicht so läuft und er längere Zeit nicht dabei ist, reißt der Kontakt nicht ab.

SPOX: Zum Italien-Spiel gehören Sie wieder zum Aufgebot.

Friedrich: Ja, der Trainer hat mich am Dienstag angerufen. Er hat mich gefragt, wie es mir geht, und dann haben wir uns darauf verständigt, dass ich wieder dabei bin.

SPOX: Italien in Dortmund.

Friedrich: Ja, da war was. Man kann natürlich so ein Spiel wie das Halbfinale 2006 nicht wieder gut machen. Es hat sich in diesen vier Jahren auch unglaublich viel getan. Wir sind im Aufbruch, die Italiener im Umbruch. Ich freue mich auf einen Klassiker.

SPOX: Zuletzt hat Holger Badstuber neben Per Mertesacker in der Innenverteidigung gespielt, was gewissermaßen ein Generationenwechsel war. Haben Sie überhaupt Chancen, diesen Zweikampf gegen einen Jüngeren zu gewinnen?

Friedrich: Mats Hummels darf man auch nicht vergessen, der spielt eine überragende Saison. Ich denke trotzdem, dass ich Chancen habe. Man hat bei der WM gesehen, was ich kann. Für den Trainer zählt nur die Leistung, egal wie alt man ist. Die Besten sollen spielen. Es ist doch toll für den deutschen Fußball, dass wir so viele Alternativen haben.

SPOX: Wenn Sie Michael Ballack wären - würden Sie sich das noch mal antun?

Friedrich: Michael hat den Anspruch, es allen in Deutschland noch mal zu zeigen. Es wurde so viel gesprochen, so viel gemutmaßt. Braucht man ihn, braucht man ihn nicht? Dieses Hin und Her habe ich nicht verstanden. Wenn er körperlich fit ist und seine Leistung bringt, dann gehört er ganz klar in die Nationalmannschaft.

SPOX: Komischerweise war die Diskussionen um Ballack selten sachlich. Es ging mehr um Macht und Hierarchie und weniger um das Sportliche. Konnten Sie das als Interner überhaupt nachvollziehen?

Friedrich: Das wurde teilweise zu heiß gekocht. Aus der Kapitänsfrage wurde viel mehr gemacht, als eigentlich war. Philipp Lahm hat damals lediglich gesagt, dass er die Möglichkeit auch in Zukunft wahrnehmen wird, Kapitän zu sein. Er hat ja nie gesagt: Ich bleibe jetzt Kapitän. Meiner Meinung nach hat man damals ein Thema gesucht und auch gefunden. In der Mannschaft war das dagegen nie Thema. Michael hat uns ja auch besucht. Das zeigt doch, dass er dazu gehört.

Teil 1: Arne Friedrich über seine Verletzung und den VfL Wolfsburg

Teil 3: Friedrich über die EM 2012 und seine Zukunft

SPOX: Sie haben kürzlich gesagt: Deutschland ist reif für einen Titel.

Friedrich: (lacht) Das sage ich natürlich auch aus Eigennutz.

SPOX: Wen haben Sie denn noch für die EM 2012 auf dem Zettel?

Friedrich: Spanien muss man immer auf dem Zettel haben.

SPOX: Gewagter Tipp.

Friedrich: (lacht) Schon, oder? Aber es ist nun mal so, dass sie uns bei den letzten beiden Turnieren einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Es wird auch 2012 dabei bleiben: Solange die Spanier im Turnier sind, sind sie Favorit. Aber ganz so weit weg sind wir nicht mehr.

SPOX: Sie sind seit 2002 Nationalspieler - welchen Wandel hat das DFB-Team in dieser Zeit vollzogen?

Friedrich: Der Fußball hat sich komplett verändert, ist viel schneller geworden. Wir als Nationalmannschaft spielen jetzt viel dominanter, wollen mehr vom Spiel haben. Wir haben deutlich mehr Ballbesitz und passen schneller. Die Mannschaft ist aber auch jünger geworden. Wir haben riesige Talente in unseren Reihen. Das macht Hoffnung für die nächsten Jahre.

SPOX: Inwiefern hat sich das Spiel als Innenverteidiger verändert?

Friedrich: Es wird sehr viel mehr Wert auf die Spieleröffnung und das vertikale Spiel gelegt. Früher wurde viel mit langen Bällen operiert, jetzt wollen wir mehr Kontrolle haben. Das macht das Spiel in meinen Augen auch wesentlich attraktiver.

SPOX: Welcher Innenverteidiger macht das Ihrer Meinung nach derzeit am Besten?

Friedrich: Gerard Pique.

SPOX: Warum?

Friedrich: Weil er alles mitbringt, was ein moderner Innenverteidiger braucht. Er ist kopfballstark, zweikampfstark, schnell, hat eine super Spieleröffnung ein super Passspiel, ist jung, spielt bei Barcelona und hat schon alle Titel gewonnen. Er ist für mich die klare Nummer eins.

SPOX: In einem Interview sagten Sie vor kurzem, dass für Sie nach der EM 2012 im DFB-Team Schluss sei. Haben Sie sich das schon länger so zu Recht gelegt?

Friedrich: Nein, ich habe überhaupt keinen festen Plan. Ich denke nur, dass es so kommen wird. Ich bin ja nicht dumm: Bei der WM 2014 wäre ich bereits 35 Jahre alt und es wird schwer, das Niveau bis dahin zu halten.

SPOX: Haben Sie sich auch schon über das Ende ihrer Vereinskarriere Gedanken gemacht?

Friedrich: Nein. Mein Vertrag läuft bis 2013 und den möchte ich erstmal erfüllen.

SPOX: Karriere-Ende in Wolfsburg?

Friedrich: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber ich bin mit Sicherheit kein Spieler, der ständig wechselt, auch wenn ich schon lesen musste, dass ich ja angeblich nur aufs Geld schauen würde - so ein Schwachsinn! Wenn das stimmen würde, hätte ich bestimmt nicht acht Jahre lang bei der Hertha gespielt. Mal sehen, was passiert.

Teil 1: Arne Friedrich über seine Verletzung und den VfL Wolfsburg

Teil 2: Friedrich über seine Rolle im DFB-Team