32 Teams nehmen an der Weltmeisterschaft in Südafrika teil. Jedes Teilnehmerland hat seine eigene Geschichte zu erzählen. SPOX greift aktuelle Entwicklungen auf, lässt Protagonisten zu Wort kommen oder beleuchtet historische Ereignisse. Heute: Australien.
Jetzt oder nie. Frank Lowy wusste, dass schon viel zu viel Zeit verstrichen war. Er musste handeln. Sofort. Es war ein lauer Sommerabend, damals, im August 2004, als die luxuriöse Yacht Ilona IV des australischen Multi-Milliardärs im Hafen von Piräus ablegte. Lowy besuchte, genauso wie die Gäste, die sich auf seiner Yacht versammelten, die Olympischen Spiele.
An Bord tummelte sich die weltweite Sport-Elite: Fußball-Funktionäre, Verbands-Chefs, wichtige Entscheidungsträger, Geldgeber. Doch Lowy wollte seine Gäste nicht nur verköstigen und über das Mittelmeer schippern. Lowy verfolgte zielgerichtet einen Plan, und wie so vieles, was Lowy sich in seinem bisherigen Leben vorgenommen hat, setzte er auch dieses Mammutprojekt in die Tat um.
Wendepunkt für australischen Fußball
Lowy bezeichnete diesen Tag später selbst als "Wendepunkt in der Geschichte des australischen Fußballs". Die Weltkarte des Fußballs, sie änderte sich an diesem Tag grundlegend. Plötzlich zählte Australien zu Asien - und nicht mehr zu Ozeanien. Lowy hatte seine Gäste nämlich davon überzeugt, Australien dem asiatischen Verband beitreten zu lassen.
Nur so, sagte Lowy, könne sich Soccer, wie Fußball auf dem fünften Kontinent genannt wird, nach einem halben Jahrhundert der Stagnation und Isolation entwickeln. Der Coup war perfekt. Nun konnte sich Australien mit ernsthaften Gegnern messen. "Das war ganz wichtig für die Entwicklung. Spiele gegen beispielsweise Korea oder Japan bringen den australischen Fußball auf ein ganz anderes Level", sagt Australien-Experte Pierre Littbarski im Gespräch mit SPOX.
Socceroos in der Sackgasse
Bis dahin steckten die Socceroos in der Sackgasse: Zwar hat Australien die ozeanische WM-Quali stets mit Leichtigkeit genommen. Um an der WM teilnehmen zu können, mussten die Aussies aber noch ein Relegationsspiel gegen ein Team aus Südamerika bestreiten - und scheiterten meist.
Nur 1974 und 2006 - als die WM kurioserweise jeweils in Deutschland stattfand - schaffte Australien die Qualifikation. Für die Endrunde in Südafrika, bei der Australien in der Gruppenphase auf Deutschland, Serbien und Ghana trifft, qualifizierten sich die Aussies trotz schwererer Gegner in der asiatischen WM-Quali souverän.
Vom Einwanderer zum Multi-Milliardär
Doch wer ist Lowy überhaupt? Der Immigrant gilt nach Medien-Tycoon Rupert Murdoch als zweitreichster Mann auf dem fünften Kontinent, hat mit der Westfield Group ein weltweites Shopping-Center-Imperium aufgebaut - und ist zudem Chef des australischen Fußball-Verbandes FFA. Anfang der 50er Jahre wanderte Lowy, dessen jüdischer Vater im KZ Auschwitz ermordet wurde, nach Australien aus und verdiente sich seine ersten Dollar im familiären Wurstwaren-Betrieb. Der Anfang eines sagenhaften Aufstiegs.
Aber: Ein Unternehmer mit Milliardenvermögen als ranghöchster Fußball-Funktionär? Kann das gut gehen? Man stelle sich nur vor, die Aldi-Brüder Theo und Karl Albrecht stünden an der Spitze des DFB. Doch in Australien ticken die Uhren etwas anders - gerade im Fußball. Und die Albrecht-Brüder sind eben nicht Lowy. "Die Fußball-Fans wissen, was sie Lowy zu verdanken haben", sagte Littbarski.
Fußball abseits des Interesses
Über Jahrzehnte hatte der Sport ein Nischen-Dasein gefristet, stand tief im Schatten der traditionellen Sportarten wie Rugby oder Australian Rules Football. "Fußball in Australien war ein spaltender Sport, wir haben ihn nun endlich vereint", sagte Lowy. Die Partien verfolgten oftmals nur wenige hundert Zuschauer, Ausschreitungen waren an der Tagesordnung, rivalisierende Fans bekriegten sich regelrecht.
In der breiten Öffentlichkeit fand Soccer praktisch nicht statt und besaß als klassischer Einwanderer-Sport das Etikett des Schmuddelkinds - bis Lowy kam und den Laden grundlegend umkrempelte und modernisierte. Etliche Millionen pumpte der Multi-Milliardär hinein - mit Erfolg. Die National Soccer League, eine vor sich hin darbende Liga, bestehend aus Halbamateuren, wurde eingestampft und 2005 durch die A-League ersetzt. Ein genialer Schachzug.
Ohne Lowy keine A-League
"Für die Entstehung der Liga war Lowy von immenser Bedeutung. Er war die Triebkraft, mit einer Vision, den australischen Fußball über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Ohne ihn würde es die Liga aller Voraussicht nach nicht geben", sagte Littbarski. Die A-League ist professioneller strukturiert, besitzt einen ordentlich dotierten Fernseh-Vertrag und lockt Profis wie Robbie Fowler an, die zuvor in Europa ihr Geld verdient haben.
"Fox TV pusht Fußball enorm, das Ansehen in der Öffentlichkeit hat sich grundlegend verändert", begrüßt auch Littbarski die professionellen Strukturen. Das aufpolierte Image hat sich prompt in den Zuschauerzahlen niedergeschlagen. "In Melbourne sind Zuschauerzahlen von 50.000 keine Seltenheit. So etwas gab es vorher überhaupt nicht. Früher waren es State-League-Vereine, wegen der großen Distanzen kam es überhaupt nicht zu überregionalen Spielen", so Littbarski.
Obwohl die Entwicklung in Australien steil nach oben zeigt, wäre Lowy nicht Lowy, würde er sich mit dem Status Quo zufrieden geben. Die große Vision des 80-Jährigen: Eine WM im eigenen Land, für die Endrunde 2018 und 2022 haben die Aussies bereits ihre Unterlagen beim Weltverband FIFA eingereicht - und Lowy hofft, diese noch persönlich zu erleben. "Die Chancen stehen bestens", so Littbarski, "die Infrastruktur ist top, die Stadien ebenfalls. Australien ist bereit, die WM kann kommen."
Und Lowy würde mit Sicherheit ein großes Fest abhalten. Auf seiner Yacht, versteht sich.