Tim Cahill ist eine Legende im australischen Fußball. Er ist Rekordtorschütze des Landes und erzielte einst das erste WM-Tor des Landes. In Russland bestreitet der 38-Jährige nun bereits seine vierte Weltmeisterschaft - und mit einem Tor dort könnte er in einen sehr elitären Kreis eintreten.
Es läuft bereits die Verlängerung in den asiatischen WM-Playoffs zwischen Australien und Syrien. Nach dem 1:1 im Hinspiel steht es durch ein Cahill-Tor im Rückspiel nun ebenfalls 1:1. Australien zittert. Sollte man etwa das erste Mal seit 2002 eine Weltmeisterschaft verpassen?
Nein.
Die 109. Minute läuft, als Tim Cahill im Strafraum nach einer kurzen Hereingabe von links im Rücken seines Gegenspielers hochsteigt, kurz in der Luft steht - und den 2:1-Siegtreffer köpft. Die Erleichterung in Australien war förmlich greifbar. Cahills Treffer bescherten dem Team aus Down Under die Entscheidungsspiele gegen Honduras, wo es sich später für die Weltmeisterschaft qualifizieren sollte.
Mit diesen Toren hätte sich Cahill in Australien endgültig unsterblich machen können - wäre da nicht dieser Torjubel gewesen, der für einen unangenehmen Beigeschmack sorgte. Im Anschluss an seine entscheidenden Treffer breitete er nämlich die Arme aus als wolle er ein Flugzeug imitieren, anschließend formte er ein "T" Richtung Tribüne. Eine Werbebotschaft für das online-Reisebüro TripADeal.
Um auch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, postete das Unternehmen im Anschluss bei Instagram noch ein Foto mit dem Begleittext "Habt ihr Tim Cahill gesehen, unseren neuen Markenbotschafter, wie er nach seinem Siegtor gestern Abend das TripADeal-T formt? Gratulation, Tim!" Unter dem Druck eines massiven Shitstorms löschte die Firma den Post anschließend wieder. Auch Cahill verlinkte die Firma in einem Eintrag, ließ ihn allerdings online.
Die Aktion zeigt auch: Tim Cahill kümmert sich nicht um Gepflogenheiten oder das Denken anderer. Er macht, was ihm passt. Er geht seinen eigenen Weg.
Tim Cahill: Ein Idol auch in der australischen Kabine
Auch deshalb ist Cahill selbst mit seinen 38 Jahren noch so wertvoll für die australische Mannschaft. Denn Cahill macht einfach. In einem Alter, in dem der Körper den Ansprüchen des Profifußballs oftmals nicht mehr gewachsen ist, ist er fit wie eh und je. Er jagt jedem Ball hinterher und ist nach wie vor ein richtig ekliger - im positivsten Sinne - Gegenspieler.
Dass er stets über den Kampf kommt, zeigt sich auch in seinem normalen Torjubel, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist Werbung zu machen. Dann läuft er nämlich zur Eckfahne und fängt an zu boxen.
Seine Mitspieler blicken für diese Einstellung zu ihm auf. ''Es ist wirklich surreal für mich. Es ist seine vierte WM und wenn du mit ihm in der Umkleide sitzt, hat es einen großen Einfluss auf dich", erklärt etwa Nationalmannschaftskollege Josh Ridson.
Hertha-Stürmer Matthew Leckie ergänzt: "Er bedeutet mir eine Menge. Er ist ein super Typ. Wenn du in das Trainingscamp kommst und so eine Legende triffst, weißt du nie, was für eine Persönlichkeit es ist."
Nur 157 Spielminuten in dieser Saison für Tim Cahill
Cahills Rolle im Nationalteam hat sich aber nichtsdestotrotz verändert. Trotz seines Standings ist er längst kein Stammspieler mehr. Zuletzt ließ ihn Trainer Bert van Marwijk sogar häufiger ganz auf der Bank. Aber er weiß: Er braucht ihn für die ganz wichtigen Spiele - wie gegen Syrien. Oder bei der WM.
Dafür braucht Cahill auch keine Spielpraxis mehr. Auf Vereinsebene spielte er diese Saison nämlich nur 157 Minuten. Dabei war er nicht verletzt und spielte eigentlich bei zwei Vereinen, die in der Vergangenheit einen sehr positiven Einfluss auf seine Karriere hatten.
Die Saison begann er nämlich in seiner australischen Heimat, bei Melbourne City. Dort wollte er seine Karriere ausklingen lassen und dem australischen Fußball weiterhelfen, wie schon so oft in seiner Karriere. Kurz vor seiner Verpflichtung im Sommer 2016 führte die A-League extra eine Regel ein, die einen dritten Spieler außerhalb der Gehaltsobergrenze erlaubt. Sie wurde bekannt als Tim-Cahill-Rule.
In dieser Saison kam Cahill allerdings kaum noch zum Einsatz, sein Trainer setzte nicht mehr auf ihn. In der Nationalmannschaft hätte van Marwijk zwar niemals auf ihn verzichtet, dennoch entschied er sich für einen Wechsel, um mehr Spielpraxis zu sammeln. Die Wahl fiel auf den Klub, wo alles begann: Der FC Millwall.
Doch auch dort kam er kaum zum Zug. In 18 Spielen stand er nicht einmal in der Startelf. Wenn er eingewechselt wurde, fiel er eher negativ auf. Zuletzt wurde er nach einem Ellbogenschlag vom Verein suspendiert. Zur neuen Saison wird er nicht wiederkehren.
Tim Cahill: Die Mutter bewarf ihn nach schlechten Spielen mit Schuhen
Cahill musste schon immer kämpfen, von klein auf. Als Sohn einer samoanischen Mutter und eines englischen Vaters kam er in ärmlichen Verhältnissen zur Welt. Die Erziehungsmethoden damals: unkonventionell. "Wenn ich nach Hause kam, hat sie den Schuh benutzt, wenn ich nicht gut war", erzählt Cahill mit einem Augenzwinkern.
Die Familie hat ihn nämlich immer unterstützt. Als der FC Millwall ihn trotz seiner schmächtigen Figur zu einem Probetraining einlud, mussten sich seine Eltern das Geld für den Flug des Sohnes leihen. Kurze Zeit später rief er bei ihnen an, um ihnen mitzuteilen, dass sie nie wieder arbeiten müssen. Zudem habe er ihnen ein Haus gekauft. Er hatte es geschafft: "So wirft niemand mehr Schuhe auf mich nach schlechten Spielen."
Er setzte sich in Millwall durch, wurde zum Leader und führte das Team bis ins Finale des FA-Cups. Der Arbeiterklub Millwall und der Arbeiter Cahill, das passte perfekt. Aber Cahills Kampf sollte ihn noch weiterführen: Mit dem FC Everton klopfte ein Erstligist an, Cahill sagte zu. Er erzielte in acht Jahren 68 Tore in 276 Spielen und wurde zum Aushängeschild von Australiens Fußball.
Sein Abschied aus Everton war dann wieder ganz typisch für Cahill: "Ich erinnere mich, dass ich in die Kabine ging und einige meiner Mitspieler da waren. Ich sagte ihnen "Ich bin raus". Sie meinten: "Was?". Ich glaube Phil Jagielka drehte sich um und ohrfeigte mich. Er sagte, dass ihn nichts so sehr verblüfft wie meine Entscheidungen."
Und weg war er. Erst nach New York, dann nach China und schließlich zurück nach Australien.
Tim Cahills Leistungsdaten bei seinen Vereinen
Zeitraum | Verein | Spiele | Tore |
Melbourne City FC | 08/2016-01/2018 | 27 | 11 |
Zhejiang Greentown | 02/2016-08/2016 | 17 | 4 |
Shanghai Shenhua | 02/2015-02/2016 | 34 | 12 |
New York Red Bulls | 07/2012-02/2015 | 72 | 16 |
FC Everton | 07/2004-07/2012 | 276 | 68 |
FC Millwall | 07/1997-06/2004 und 01/2018-06/2018 | 106 | 26 |
Ein australischer Held, der fast keiner geworden wäre
Dieser Weg hat ihn nun zu seiner vierten WM-Teilnahme für Australien geführt, die mit dem Duell gegen Frankreich (ab 12 Uhr im Liveticker) beginnt. Dabei wäre er fast niemals für Australien aufgelaufen: Mit 14 Jahren absolvierte er zwei Länderspiele für die U20 Samoas, wollte dann aber für sein Geburtsland Australien antreten.
Der Verband weigerte sich zunächst. Doch Cahill kämpfte - wie so häufig. Und er siegte - wie so häufig. Durch seine Leistungen kam der Verband nicht daran vorbei, ihm die Genehmigung auszustellen und ihn in der Folge regelmäßig zu nominieren.
Es hat sich gelohnt. Nach 106 Länderspielen weist er mittlerweile 50 Tore auf, ist Rekordtorschütze seines Landes, hat bei den letzten drei Weltmeisterschaften getroffen und ist für fünf der insgesamt elf australischen WM-Tore verantwortlich.
Mit einem Tor bei der Weltmeisterschaft in Russland könnte er sich nun in die elitäre Reihe von Pele, Miroslav Klose, Uwe Seeler und mittlerweile auch Cristiano Ronaldo eintragen. Die Spieler, die bei vier verschiedenen Weltmeisterschaften getroffen haben.