Burak Yilmaz steht mit dem OSC Lille kurz davor, in Frankreich Meister zu werden - vor Paris Saint-Germain und Co. Der größte Erfolg für den 35 Jahre alten Yilmaz ist allerdings die Zuneigung, die ihm in Frankreich zuteil wird. Eine Liebe, die er nicht immer empfinden durfte.
Es gibt da die eine oder andere Regel, die man befolgen muss, um in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu generieren. Der Inhalt muss natürlich spannend sein, klar. Der Inhalt muss gut dargestellt werden, auch klar. Und die zeitliche Planung ist auch wichtig. Die wichtigste Regel ist jedoch, einen Bezug zur türkischen Community herzustellen und schon fliegen einem die Likes nur so zu.
Selbst Großverbände wie FIFA oder UEFA haben den Braten längst gerochen und publizieren regelmäßig Inhalte mit Türkei-Bezug. Die FIFA ließ neulich das wichtigste Derby der Welt wählen. Dass das Istanbuler Derby zwischen Galatasaray und Fenerbahce gewann, überraschte nicht. Und noch nie in der Geschichte zählte die FIFA so viele Interaktionen bei einer Umfrage.
Beim OSC Lille beschäftigt man neuerdings gar einen türkischsprachigen Mitarbeiter in der Social-Media-Abteilung. Das hat aber weniger damit zu tun, dass Lille so scharf auf türkische Reichweite ist. Vielmehr ist es eine Notwendigkeit. Der französische Klub steht unmittelbar vor der Meisterschaft in der Ligue 1 und einer der Gründe für den Aufschwung ist Burak Yilmaz.
Der 35 Jahre alte Stürmer aus der Türkei schoss in dieser Saison 15 Tore in 26 Liga-Spielen. Die Social-Media-Abteilung Lilles kommt nicht mehr zu anderen Themen, so oft und intensiv wird Yilmaz inzwischen gefeiert. Als Lille zuletzt in Lens mit 3:0 gewann, schoss Yilmaz ein Traumtor und schaffte es gar in die weltweiten Social-Media-Trends.
gettyBurak Yilmaz bei Lille: Bauen sie ihm sogar ein Denkmal?
Es wäre vermessen zu sagen, dass Yilmaz derartige Aufmerksamkeit zum ersten Mal genießt. Aber die Liebe, die ihm aktuell entgegengebracht wird, könnte tatsächlich neu sein. Sowohl in Lille, wo ihn die Fans inzwischen mit Spalier am Trainingsgelände empfangen und der Bürgermeister schon von einem möglichen Denkmal spricht, aber auch in der Türkei. Dort, wo er sich sehr viel Respekt erarbeitet hat, aber eine innige Zuneigung investierte man in ihn nie.
Es mag am äußerst ausgeprägten Selbstvertrauen liegen, das Yilmaz immer wieder zum Ausdruck brachte. Die Türkei ist ein fußballverrücktes Land, in dem jeder Schritt und jede Silbe auf die Goldwaage gelegt wird. Viele Profis spielen da lieber den braven Jungen von nebenan, der sich möglichst zu wenig Themen äußert und keine Angriffsfläche bietet.
Bei Yilmaz war das immer anders. Er teilte aus, wenn es sein muss. Konfrontationen mit den äußert kritischen Medien und Fans ging er nie aus dem Weg. Allein schon die Tatsache, dass er neben Sergen Yalcin der einzige Fußballer der Geschichte ist, der für Besiktas, Fenerbahce, Galatasaray und Trabzonspor spielte, beweist, welch dickes Fell dieser Mann haben muss.
Jean Tigana, der einst bei Besiktas in der Türkei arbeitete und damals auf Yilmaz aufmerksam wurde, sagt: "Er spielte unterklassig, als ich ihn zum ersten Mal sah. Sein Selbstvertrauen und seine Entschlossenheit waren in dieser Intensität verblüffend." Besiktas stach damals die Konkurrenz aus und holte Yilmaz. "Tigana war wie ein Vater für mich. Er glaubte an mich und hat das immer gezeigt."
Burak Yilmaz: Die Oberflächlichkeit verfolgte ihn ewig
Doch Tigana, der auch nie zum Arzt laufen musste, um Mangel an Selbstvertrauen zu beklagen, war oft alleine in seiner Unterstützung für Yilmaz, der zwar sehr talentiert war, dies aber zu selten auf hohem Niveau zeigte. Schnell wurde er auf sein Äußeres reduziert. Er kümmere sich eher um sein gutes Aussehen als auf dem Platz zu glänzen. Und wann macht er eigentlich mal sein Trikot dreckig?
Die Oberflächlichkeit verfolgte ihn ewig, bis Yilmaz irgendwann die Haarpracht einfach komplett wegrasierte und das Thema für immer beendete. Selbst Christoph Daum, einst Trainer von Yilmaz bei Fenerbahce, ließ sich davon anstecken. "Ich hätte gerne mit ihm gearbeitet, aber man sagte mir, dass er schwierig zu führen ist", sagte Daum damals. Wenn Daum heute seine Lieblingsspieler aus der Süper Lig aufzählen muss, fällt der Name Burak Yilmaz jedes Mal.
Dass Yilmaz trotz aller Vorbehalte es doch zu einem gestandenen Profi geschafft hat, liegt aber nicht an einem Wandel, wie es oft so bei Spätstartern ist. Wie Tigana spricht auch Emre Belözoglu, mit dem Yilmaz nicht nur in der Nationalmannschaft lange zusammenspielte, sondern auch ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, von dessen geistiger Stärke.
"Es ist schwer, ihn zu beschreiben. Aber eines ist klar: Er ist immer sehr fokussiert und daher auf seinem Weg nicht aufzuhalten." Yilmaz hat sich nie verändert, er hat sich Umfelder geschaffen, in denen er verstanden wird und erfolgreich sein durfte - auf seiner Art.
Burak Yilmaz: Ein letztes Mal um die Liebe der Fans spielen
So wie nun in Lille, wo er anfangs noch Probleme hatte, sich richtig zu integrieren. "Es gibt große Unterschiede zwischen dem Fußball in Frankreich und dem in der Türkei." Lilles Trainer Christophe Galtier musste mit Yilmaz Laufwege und Abläufe studieren, um ihn in das Spiel zu integrieren. Den Rest besorgte Yilmaz' Selbstvertrauen, denn auch Galtier weiß: "Wie bei jedem Torjäger wird es besser werden, wenn er getroffen hat."
Doch Yilmaz trifft nicht nur, er führt auch an. Und das trotz Sprachbarrieren, denn er spricht weder Französisch, noch ist sein Englisch auf höchstem Niveau. Yilmaz sagt, dass eine Führungspersönlichkeit nicht nur Worte braucht. "Ich lebe den Willen vor, ich gehe voran." Die hungrige Truppe folgt ihm. "Ich hatte immer Gelegenheiten, nach Europa zu wechseln, doch ich hatte immer gute Verträge", sagt Yilmaz ganz offen. "Ich habe es nie bereut, den Wechsel nicht früher gemacht zu haben. Ich habe es aber auch nicht bereut, hierher zu kommen."
Kenner sagen, dass es nicht überraschend wäre, wenn Yilmaz nach gewonnener Meisterschaft seine Zelte in Lille wieder abbricht und in die Türkei zurückzukehrt. Um ein letztes Mal um die Liebe der Fans zu spielen. Was er auch macht - bereuen wird er es nicht.