Auswärtsspiel - die SPOX-Kolumne: Arda Güler - das Wunderkind, das Mesut Özil vergessen lässt

Fatih Demireli
07. April 202216:58
SPOXgetty
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Arda Güler ist mit 17 Jahren die vielleicht größte Attraktion des türkischen Fußballs. Der junge Spielmacher lässt bei seinem Klub Fenerbahce nicht nur den einstigen Messias Mesut Özil vergessen, sondern schafft sogar eine Brücke zum verfeindeten Erzrivalen Galatasaray.

Der 31. Mai 2021 ist in den Geschichtsbüchern der türkischen Fußballkultur nicht mit besonderem Vermerk dokumentiert. Dabei wäre das mehr als gerecht. Die U19-Mannschaften von Galatasaray und Fenerbahce trennten sich an jenem Tag im Ligaspiel mit 2:2.

Es gibt wenig bis nichts, was die Rivalität zwischen den Istanbuler Erzfeinden vergessen lassen würde. Als zuletzt die beiden Klub-Präsidenten, die sich skandalöser Weise privat gut verstehen und deswegen bei ihrer Anhängerschaft einen schweren Stand haben, kurz darüber nachgedacht haben, bei gewissen Themen wie Sponsorensuche und TV-Verträge die Kräfte zu bündeln, gab es einen großen Aufschrei. Wohlwissend, dass eine Zusammenarbeit tatsächlich helfen könnte, lehnt man eine Nähe grundsätzlich ab.

Umso erstaunlicher war es, was an jenem 31. Mai 2021 geschah. Der klubeigene TV-Sender von Galatasaray zeigte die Ausschnitte des U19-Derbys und schaltete dann zurück ins Studio. Moderator Serbay Senkal sagte einleitend, dass man das Spiel leider nicht gewinnen konnte, man dennoch stolz auf die Jungs sei und eigentlich wollte er seinem Studiogast auch schon die erste Frage zuspielen.

Aber Senkal wandte sich plötzlich zur Kamera. "Es gibt eine Sache, die ich unbedingt erwähnen sollte", sagte der langjährige Galatasaray-Mann: "Es gibt bei Fenerbahce einen wichtigen Spieler, der 2005 geboren wurde, 16 Jahre alt ist und Arda Güler heißt. Er hat ein tolles Tor geschossen. Ich habe das Spiel verfolgt. Er ist ein Fußballspieler, der mit seinen Fähigkeiten eine Mannschaft führen kann und brutale Qualitäten hat. Der türkische Fußball wird einen Fußballspieler namens Arda Güler gewinnen. Ich gratuliere Fenerbahce zu diesem Spieler. Das muss einfach gesagt werden."

Arda Güler: Es gehört zum guten Ton, ihn zu loben

Selbst der Studiogast schien im ersten Augenblick überrascht vom Lob für einen, der zu denen gehört, dessen Namen man nicht aussprechen darf, gesellte sich aber schnell zur Lobhudelei dazu und lobte ebenfalls diesen Arda Güler. In der Euphorie erzählte er, dass sein Neffe Fenerbahce-Fan ist und Arda Güler auch ganz toll findet. Vielleicht eine Spur dann zu viel Freundschaft in diesem Moment.

Wie auch immer: Arda Güler bedankte sich auf Twitter artig bei Senkal. Auch Fenerbahce-Präsident Ali Koc ließ Grüße für die faire Geste vom anderen Kontinenten (Fenerbahce ist asiatisch, Galatasaray europäisch zu Hause) ausrichten.

Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen. In der Türkei ist es keine Besonderheit mehr, Arda Güler zu loben. Es gehört einfach zum guten Ton. Ein richtiger Fußball-Talk in der Türkei sieht inzwischen wie folgt aus: Über Schiedsrichter schimpfen, über Transfers spekulieren und Arda Güler loben.

Wie soll man es denn auch nicht tun? Das inzwischen 17 Jahre alte Wunderkind ist wie eine Fata Morgana in der Fußball-Wüste Türkei. Spielwitz, Dribbelkunst, Schussstärke, Übersicht - er macht einfach alles, was ein Spielmacher machen muss, schon in diesem Alter auf höchstem Niveau. Und es sieht so selbstverständlich aus, wenn er wie zuletzt in Kayseri das Ding aus 20 Metern mit links ins kurze Eck donnert und der Torhüter - trotz richtiger Ecke - keine Chance hat. Fatih Demirelis Kolumnespox

Seine Eltern zogen nach Istanbul, weil er Heimweh hatte

Bei Fenerbahce hatte man eigentlich diese Erwartungen an Ömer Faruk Beyaz, der ebenfalls als großes Wunderkind gepriesen wurde, aber dann mit vielen Nebengeräuschen zum VfB Stuttgart zu Beginn dieser Saison wechselte. Fenerbahce-Kenner sagten schon damals, dass man es verkraften kann, weil ein viel größeres Talent kommt. Und sie behielten recht.

Mit 17 hat er in 196 Minuten Süper-Lig-Zeit schon zwei Tore und zwei Vorlagen geliefert. Selbst in der Conference League genügten ihm nur 48 Minuten Einsatzzeit für zwei Torvorlagen. Man darf Arda Güler aber nicht in Statistiken pressen, dafür kann er einfach schon zu viel.

2019 gewann Fenerbahce das Rennen um die Gunst des Toptalents des Ankara-Klubs Genclerbirligi. Alle wollten ihn haben, er wollte aber zu Fenerbahce, seinem Lieblingsklub. Als ihm Genclerbirligi den Segen erteilte, erfüllte sich als Teenager ein großer Traum, doch als er erstmals das Trainingszentrum betrat, wo er dann auch künftig wohnen sollte, ereilte ihn die Sehnsucht nach Hause zu den Eltern.

Die berufstätigen Eltern kamen bei jeder Gelegenheit nach Istanbul, auch weil sie merkten, dass der Sohnemann die Nähe braucht. Sechs Monate später zogen die Gülers nach Istanbul. "Wir haben ihm gesagt, dass er sich dafür nicht verantwortlich fühlen muss und er auch keinen Druck hat, dass er es schaffen muss. Wenn es nicht klappt, dann kehren wir halt zurück", so Vater Ümit Güler.

Vitor Pereira: "Selten so einen Spieler gesehen"

Aber die Nähe tat Arda gut. Er wurde schnell integriert, spielte in der höheren Jahrgangsstufe und war dort mit Abstand der beste Spieler. Da war er schon längst in aller Munde. Nicht nur bei Galatasaray TV, sondern auch bei Vitor Pereira, dem neuen Trainer Fenerbahces, der Arda in die erste Mannschaft holte und ihm gleich ein paar Kurzeinsätze bescherte.

Dass er dafür gelobt wurde, konnte Pereira nicht nachvollziehen: "Wenn man junge Spieler entwickeln will, muss man ihnen Zeit und Vertrauen schenken. Ich habe fünf Jahre in der Nachwuchsabteilung des FC Porto gearbeitet und selten einen Spieler wie Arda gesehen mit so einem Charakter und so einer Qualität."

Gegen Antalyaspor wurde Arda in der 87. Minute eingewechselt und sorgte für die Vorlage zum Siegtreffer. Vier Tage später gab es dann in der Europa League bei HJK Helsinki einen für später symbolträchtigen Wechsel, als Pereira Mesut Özil aus dem Spiel nahm, um Arda zu bringen.

Symbolträchtig, weil man sich bei Fenerbahce zwar insgeheim sehr viel von Özil, der ein halbes Jahr zuvor vom FC Arsenal gekommen war, erhoffte, aber der Ertrag überschaubar blieb. Pereira schien auch nicht viel von Özil zu halten, ließ ihn immer öfter draußen. Es war ein schleichender Prozess, wie Arda in der Gunst der Anhänger des Klubs an Özil vorbeizog.

Mesut Özil: "Arda Güler wird ein Weltklassespieler"

Heute ist Özil suspendiert, nicht mehr Teil des Profikaders, Arda tritt dagegen immer öfter in Erscheinung und bei all dem Hype, den der Spielmacher auslöste, hat man Özil fast schon vergessen. Der Weltmeister von 2014 gilt dabei selbst als Förderer seines jungen Kollegen.

Özil ist in der Mannschaft Fenerbahces überaus beliebt, zeigt Nähe zu allen Kollegen und gerade für die jungen Spieler ist er ein Vorbild, das in der Kabine sitzt und wertvolle Tipps geben kann. Als Arda sein erstes Tor in der Süper Lig schoss, lief er zu Özil, um sein Glück zu teilen. Beim Rückflug saß Arda neben Özil, als dieser anfing aufzuzählen, was der Youngster alles kann und schloss mit dem Satz ab: "Er wird ein Weltklassespieler." Arda war ganz verlegen.

Die Verlegenheit legt er aber mit jedem Einsatz ab. Bei den Fans ist er ohnehin schon der neue Held. Spielt er nicht, gibt es Sprechchöre, die seinen Einsatz fordern. Als ihn Fenerbahce-Trainer Ismail Kartal, der selbst aus der Jugend des Klubs stammt, zuletzt auf die Bank setzte, um "ihn zu schützen", gab es große Aufruhr.

Arda Güler soll öfters spielen, ohne Rücksicht auf Verluste - und auch wenn es der einstige Messias Özil ist. Nun heißt es schon, dass halb Europa hinter dem Spielmacher, der aufgrund seiner Übersicht und Cleverness auch auf der Acht spielen kann, her ist. Bei Fenerbahce hat man aber nicht das Interesse, das schnelle Geld zu machen. Und auch Arda scheint die Wanderlust nicht gepackt zu haben. Er soll mittelfristig das Gesicht des Klubs werden und die Mannschaft führen. Serbay hat es vorausgesagt.