"Sowas ist doch Heuchelei"

Roman Ahrens
21. April 201620:02
Benjamin Auer spielte vier Jahre lang für Alemannia Aachengetty
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Einst war Benjamin Auer einer der großen Hoffnungsträger für die WM 2006. Das Versprechen auf die ganz große Karriere konnte er aber nicht einhalten. Mittlerweile lässt der Stürmer die Karriere in der Regionalliga ausklingen. Auer über den frühen Medienhype, Jürgen Klopp und planlose Fußballer.

SPOX: Herr Auer, seit Winter 2014 spielen Sie beim FK Pirmasens in der Regionalliga. Wie groß ist denn der Respekt, wenn da auf einmal ein ehemaliger Bundesliga-Spieler in der Kabine steht?

Benjamin Auer: Meine Mitspieler sind alle ziemlich jung, ich bin mit weitem Abstand der Älteste. Natürlich haben die Respekt und hören darauf, was ich sage. Das liegt aber glaube ich nicht so sehr an meiner Vergangenheit, sondern mehr an meinem Alter. Aber ich muss auch beweisen, dass ich noch etwas kicken kann. Von den Gegnern gibt´s häufiger mal auf die Socken, ich bin ja doch kein Unbekannter. Aber ich bin kein Kind von Traurigkeit und weiß mich da schon zu wehren.

SPOX: Wie kam ihr Engagement in Pirmasens überhaupt zustande?

Auer: Mein Steuerberater ist der Präsident des FKP, wir kennen uns schon seit zehn Jahren und sind gut befreundet. Er hat mich immer wieder gefragt, ob ich nicht nochmal Lust habe zu spielen. Irgendwann habe ich mich dann bequatschen lassen. Im Sommer soll aber eigentlich Schluss sein.

SPOX: Sie haben sich schon 2005 als "Talent im Endstadium" bezeichnet. Welche Beschreibung würde Ihnen denn heutzutage gerecht?

Auer: (lacht) Gute Frage. Ich bin jetzt 35, ein Alter, in dem man langsam mal mit dem Fußball aufhören sollte. Ich bin durch meine anderen Tätigkeiten schon stark eingebunden. Was ich jetzt mache, kann man nicht mehr wirklich als ernsthaften Fußball bezeichnen, aber es macht mir einfach noch Spaß.

SPOX: Ihnen wurde eigentlich eine große Karriere prophezeit. Wie zufrieden sind Sie mit dieser unterm Strich?

Auer: Wenn man meine Jugendzeit von der U15 bis zur U21 nimmt und den Medienhype, der damals über mich hereingebrochen ist, hätte man schon erwarten können, dass ich den Durchbruch in der Nationalmannschaft schaffe. Aber ich bin nicht unzufrieden. Ich habe den Traum vieler Kinder als Fußballprofi gelebt. Ich habe dem Fußball sehr viel zu verdanken, habe viele Erfahrungen gemacht, von denen ich heute noch profitiere. Darüber hinaus habe ich natürlich auch sehr, sehr gutes Geld verdient.

SPOX: Stichwort Medienhype: Wie sehr haben Sie sich von Schlagzeilen wie "größtes deutsches Sturmtalent" unter Druck setzen lassen?

Auer: Als junger Spieler ist es etwas Schönes, wenn man gehypt wird. Ich bin mir nicht sicher, ob sich noch so viele Leute an mich erinnern würden, wäre der Hype damals nicht so groß gewesen. Das hat jetzt auch im beruflichen Leben noch seine Vorteile.

SPOX: Sie sind der drittbeste Torschütze der U21. Auch vor der Heim-EM im Jahr 2004 war das Interesse groß. Nach der Vorrunde war aber trotz eines Teams mit Ihnen, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski schon Schluss. Woran lag das?

Auer: Das Aus war natürlich sehr enttäuschend, zumal wir dadurch auch die Qualifikation für Olympia verpasst haben. Ich glaube, die Zusammenstellung des Teams hat einfach nicht gepasst, es gab viele Ungereimtheiten. Dazu hat dann die No-Go-Aktion von Uli Stielike, im zweiten Spiel (1:2 gegen Schweden) die gesamte Mannschaft zu tauschen, zu noch mehr Reibereien geführt. Mit der A-Mannschaft hätten wir das Spiel nicht verloren.

SPOX: Auch für das Team 2006 sind Sie der Rekordtorschütze. Im letzten Spiel, einem 5:2-Sieg gegen Österreich, trafen Sie und ein gewisser Mario Gomez. Wie groß war die Hoffnung im Team, den Sprung zur WM zu schaffen?

Auer: Die war natürlich riesengroß. Aber es wusste auch jeder, dass dich ein paar Einsätze hier nicht nach oben katapultieren. Wichtig war die Leistung im Verein, das Team 2006 war eigentlich unnötig.

SPOX: Nach Ihrer starken U20-WM 2001 mit vier Toren galten sie als neuer Hoffnungsträger bei den Fohlen. Warum hat es am Ende doch nicht geklappt?

Auer: Nach dem Kreuzbandriss, den ich mir bei der WM zugezogen habe, war es nicht leicht, wieder zurückzukommen. Das war ein psychischer Knacks. Unter Hans Meyer, der eher auf ältere Spieler wie Arie van Lent gesetzt hat, war es auch nicht gerade einfach.

SPOX: In der öffentlichen Wahrnehmung ist Hans Meyer ja auch als Spaßvogel bekannt. Wieso kamen Sie mit ihm nicht wirklich zurecht?

Auer: Wer ihn kennt, weiß, dass er nichts davon hält, wenn junge Spieler in den Medien zu präsent sind. Auch wenn ich ja nichts dafür konnte. Als Außenstehender würde ich das auch alles witzig finden. Er ist ja eine Erscheinung, der nicht nur Phrasen und Standardantworten gibt. Wenn er aber nicht dein größter Fan ist, hat man als junger Spieler an manchen Sprüchen schon zu knabbern. Heute würde ich darüber lachen, aber damals hat mich das nicht kalt gelassen.

SPOX: In Mainz lief es dafür umso besser. Was verbinden Sie mit den 05ern?

Auer: Primär die positiven Dinge wie den Aufstieg 2004. Da hat man in der ganzen Stadt eine Euphorie gespürt und wir hatten mit Jürgen Klopp einen gigantischen Trainer.

SPOX: Im Jahr davor verpassten Sie dafür den Aufstieg am letzten Spieltag trotz Ihres Viererpacks beim 4:1 gegen Eintracht Braunschweig denkbar knapp. Hat man danach schon die Kloppschen Motivationskünste gespürt?

Auer: Jürgen Klopps große Stärke ist seine Rhetorik. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch vor der Mannschaft. Er hat eine ganz besondere Gabe, die Spieler zu motivieren und das hat er damals in Mainz bereits in Perfektion umgesetzt.

SPOX: Hat sich die große Karriere da bereits abgezeichnet?

Auer: Ich habe schon gedacht, dass er mal in die Bundesliga geht. Aber ich war mir nicht sicher, ob er auch mit großen Stars so gut klarkommt. Er ist ein super Typ und Trainer, ich gönne ihm absolut alles, was er erreicht hat.

SPOX: Ihre anschließenden Stationen in Bochum und Kaiserslautern verliefen nicht zufriedenstellend, bei Alemannia Aachen trafen Sie aber wieder regelmäßig. Welchen Stellenwert hat die Alemannia für Sie?

Auer: Die Entwicklung in Aachen verfolge ich nach meiner schönen Zeit dort schon mit einem weinenden Auge. Eigentlich müsste man eine oder zwei Ligen höher spielen.

SPOX: Nach dem Abstieg aus der zweiten Liga 2012 wurde mit Ihnen als einem der letzten gesprochen. Wie groß war Ihre Enttäuschung?

Auer: Nach den vielen Toren war es natürlich schon enttäuschend, dass der Verein nicht auf einen zukam. Aber ich wüsste auch nicht, ob ich den Weg in die dritte Liga mitgegangen wäre. Jetzt drücke ich dem Team die Daumen für den Aufstieg.

SPOX: Hätten Sie nach dem Abstieg nicht hier weiterspielen können?

Auer: Als Fußballer ist die Zeit, in der man Geld verdient, begrenzt. Da verstehe ich jeden, der versucht, in dieser Zeit das Maximum für sich rauszuholen. Aber ich wollte nach dem schmerzhaften Abstieg mit Aachen einfach nicht mehr weiter in der zweiten Liga oder dann gegen Aachen spielen. Die Angebote aus Griechenland oder dem Ostblock waren mit meiner Familie nicht zu vereinbaren.

SPOX: Das erinnert ja stark an Marcell Jansen. Stichwort: "Den Fußball nie geliebt"?

Auer: Da ist jeder Typ anders. Marcell Jansen wird sich sicher gar keine Sorgen mehr um seine Zukunft machen müssen. Aber wenn einer das Wappen eines Vereins küsst und zwei Wochen später weg ist, dann ist das doch verrückt. Ich finde, sowas ist Heuchelei. Das Ausland hingegen wäre nochmal ein Erlebnis gewesen.

SPOX: Sie standen dann kurz vor einem Wechsel zu Racing Santander. Woran ist dieser gescheitert?

Auer: Das hätte alles sehr gut gepasst. Im Endeffekt ist es dann an meinem alten Kreuzbandriss gescheitert: Obwohl ich davon seit Jahren nichts gemerkt hatte, war den Spaniern das Risiko zu groß.

SPOX: Kam Ihnen angesichts des geplatzten Wechsels dann ihr Studium in Fitnessökonomie und Gesundheitsmanagement zugute?

Auer: 2004 habe ich mein erstes von drei Fitnessstudios eröffnet. Da war mir klar, dass das ohne entsprechende Vorbereitung nicht gehen würde. Für mich war vor allem die Abwechslung zum Fußball sinnvoll, mal etwas ganz anderes und etwas für den Kopf zu machen. So konnte man sich auch etwas vom "typischen" Fußballer abheben. Ich habe auch viele Spieler gesehen, die kurz vor dem Karriereende keinen Plan hatten, was sie danach machen. Mir war schon klar, dass das Leben nach der Karriere weitergeht. Ich kann und will mein Leben nicht nur auf der Couch verbringen.

SPOX: Verfolgen Sie denn den Profifußball überhaupt noch, da gibt es ja auch immer wieder die Diskussion um klassische Mittelstürmer oder falsche Neuner?

Auer: Ich gucke ab und zu schon Spiele mit Freunden. Das war direkt nach der Karriere anders, da hab ich mich kaum mit dem Thema beschäftigt. Ich war immer schon ein Fan des klassischen Mittelstürmers, der die Bälle halten oder direkt verwerten kann. Aber davon gibt es ja nicht mehr wirklich viele, daher gehört für mich Mario Gomez ins DFB-Team. Daniel Ginczek wäre vielleicht auch eine Option geworden, aber der ist derzeit ja wieder verletzt.

Benjamin Auer im Steckbrief