"Ich habe Fußball nie richtig geliebt"

Johannes Heiming
01. März 201614:15
Johannes Focher machte im April 2014 sein letzten Spiel für Borussia Dortmundgetty
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Johannes Focher stand viele Jahre bei der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund im Tor und war Teil des Profikaders, als der BVB 2011 und 2012 Meister wurde. Doch mit 25 beendete der Torwart seine Karriere und begann stattdessen ein BWL-Studium. Focher über sein neues Leben, die Kritik an Jugendspielern und Thorsten Legat.

SPOX: Herr Focher, Sie spielten insgesamt neun Jahre für Borussia Dortmund und beendeten im Sommer 2015 mit 24 Jahren Ihre Karriere als Profi, um ein BWL-Studium zu beginnen. Weshalb haben Sie sich für diesen ungewöhnlichen Weg entschieden?

Johannes Focher: Ein Studium hat mich grundsätzlich schon immer gereizt. Ich habe schon zu Profizeiten versucht, nebenher zu studieren. Das klappte aber nicht so gut. Als ich von Sturm Graz nach Dortmund kam, habe ich dort nicht mehr gespielt und mir deshalb überlegt: wie sieht mein Leben in den nächsten zehn Jahren aus? Rückblickend muss ich sagen, dass ich nie der größte Fußball-Fan mit hoher Leidenschaft war. Andere können nicht mehr ohne ihn leben, aber das war bei mir einfach nicht so. Daher habe ich mich trotz aller Widerstände für das Studium entschieden.

SPOX: Sie haben im April 2014 ihr letztes Spiel für die Amateure von Borussia Dortmund gemacht. Wann genau ist dann die Entscheidung pro Studium gereift?

Focher: Das hat sich in meinem letzten Profijahr immer mehr herauskristallisiert. Ich hatte damals Probleme mit einer Fußverletzung und habe mich gefragt, ob ich noch einmal in die vierte oder fünfte Liga gehen möchte, um wieder anzugreifen. Doch ich hatte das Feuer nicht mehr.

SPOX: Sie sind dann zunächst nach München gezogen und haben dort ein duales Studium begonnen.

Focher: Das hörte sich eigentlich auch ganz gut an. Ich war in der Hinsicht aber wirklich unerfahren. Zuvor war der Fußball in meinem Leben so dominant. Ich merkte daher schnell, dass das nicht das Richtige für mich ist und habe zum Glück noch schnell genug umdisponiert.

SPOX: Und zwar wieder Richtung Ruhrgebiet.

Focher: Genau. Ich studiere nun sozusagen in heimatlichen Gefilden. Bochum ist Ruhrgebiet - mehr als hier geht gar nicht. Mehr Beton geht auch nicht. (lacht) Es passt aber richtig gut und ich freue mich auf die nächsten Semester.

SPOX: Wie groß war letztlich die Umstellung vom Leben als Fußballprofi auf den studentischen Alltag?

Focher: Das war wirklich krass. Ich habe jetzt im Hinblick auf meine Klausuren zwar auch Druck, aber der ist nicht vergleichbar, da ich ihn mir ja nur selbst mache. Beim Fußball kommt er fast ausschließlich von außen. Als Jugendspieler muss man noch viel selbst organisieren, aber später dann überhaupt nicht mehr. Als Profi wird sehr viel für dich getan. Beim Studium hingegen gilt: wenn nicht ich es mache, macht es keiner. Das ist neben all den inhaltlichen Dingen, die ich nun lerne, auch ein interessanter Nebeneffekt. Ich entwickele mich charakterlich weiter. Für Leute, die nicht aus dem Profi-Geschäft kommen hört sich das vielleicht nicht üblich an, aber die Eigenständigkeit geht vielen Fußballern mit der Zeit komplett verloren. Es gibt viele Sportler, die diesen Absprung nicht schaffen.

SPOX: Sind die Unterschiede so groß?

Focher: Es ist eine vollkommen andere Welt, in der ich mich erst einmal zu Recht finden musste. Ich war überrascht, wie viel Gegenwind ich in der Zeit bekommen habe, in der ich über das Karriereende nachdachte. Viele waren skeptisch und meinten: 'Warum machst du das? Du wirfst dein Talent weg!' Ich solle stattdessen lieber an das gute Geld denken, das ich verdienen könne.

SPOX: Wie sind Sie mit diesen Meinungen umgegangen?

Focher: Die Leute, die eng mit dem Fußball verbunden sind, haben den Kopf geschüttelt. Sie konnten nicht verstehen, weshalb ich den Beruf, von dem so viele Jungs träumen, einfach hinwerfe. Mein Onkel hat mir sehr geholfen, ihm bin ich mehr als dankbar. Er ist auch der Einzige in meiner Familie, der ein Studium abgeschlossen hat. Er hat mir unterschiedliche Strukturen aufgezeigt und mir gesagt, auf was ich zu achten habe. Zudem hat mich auch ein guter Freund unterstützt, der Jura studiert hat. Er konnte mir viele Fragen aus der Sicht eines Studenten beantworten.

SPOX: Sind Sie jetzt mit dem zeitlichen Abstand froh, den Sprung geschafft zu haben?

Focher: Ja, total. Fußball ist für mich natürlich kein schlechter Sport, aber ich musste an meine Zukunft denken. Ich befand mich etwas auf dem absteigenden Ast und wusste nicht, wo ich letztlich gelandet wäre. Das Risiko, mit 30 Jahren keine Perspektive mehr zu haben, ist hoch. Das wollte ich nicht erleben. Die Klassiker, eine Trainerausbildung zu machen oder Berater zu werden, kamen für mich nie in Frage.

SPOX: Hatten Sie Sorge, wie die Entscheidung öffentlich wahrgenommen wird?

Focher: Ja, sie war aber unter dem Strich unbegründet. Ich habe einige Sportler kennengelernt, die denselben Schritt gewagt haben. In Tobias Rau kann ich mich beispielsweise total wiederfinden. Dennoch fragt man sich natürlich, wie eine solche Entscheidung in der Öffentlichkeit ankommt. Wenn ich jetzt erzähle, dass ich vor meinem Studium Fußballprofi war, wird das aber gar nicht als extrem außergewöhnlich wahrgenommen.

SPOX: Sie sind an der Universität also gar kein großes Thema?

Focher: Nein, zumindest nicht so, wie ich dachte. Die Leute wollen dann zwar wissen, wo ich gespielt habe und so weiter, aber ich bin trotzdem ein normaler Student. Doch es ist schon so, dass man schnell abgestempelt wird, wenn man zugibt, keine Lust mehr auf Fußball verspürt zu haben. Dann heißt es: 'Der hat es halt einfach nicht gepackt.'

SPOX: Ist Ihnen das dann egal?

Focher: Ja. Es darf jeder denken, was er will. Vielleicht haben die Leute ja auch Recht. Wäre ich ein besserer Spieler gewesen, hätte ich wohl weiter gemacht und in der 2. Liga spielen können. Darauf kommt es jetzt aber nicht mehr an.

SPOX: 2012 haben Sie es versucht, aus dem gewohnten Umfeld auszubrechen und sind zu Sturm Graz gewechselt, wo Sie insgesamt 22 Spiele in der österreichischen Bundesliga absolvierten.

Focher: Peter Hyballa, mein Trainer in der Dortmunder A-Jugend, hat mich damals angerufen. Ich fand das dann auch schnell ziemlich interessant. Das Ausland hat mich schon immer gereizt, auch wenn es dann "nur Österreich" geworden ist. Die Stadt Graz ist ein Traum. Wir spielten eine turbulente Saison mit Höhen und Tiefen. Der Trainer wurde ausgetauscht, zwei Mal der Torwart gewechselt - rückblickend dennoch eine tolle und lehrreiche Zeit.

SPOX: Aber auch eine kurze. Nach einer Saison sind Sie wieder zurück nach Dortmund gegangen.

Focher: Darko Milanic wurde neuer Trainer in Graz und unter ihm habe ich nicht mehr gespielt. Ich habe mich daher nicht mehr richtig wohl gefühlt und vor allem keine Perspektive mehr gesehen. Das Heimweh hat sicherlich auch eine gewisse Rolle gespielt. Graz ist im Vergleich zum Ruhrgebiet schon ein ganz anderes Pflaster, gerade was die Menschen und ihre Mentalität angeht.

SPOX: Ihr letztes Pflichtspiel für die Dortmunder U23 fand im April 2014 in der 3. Liga gegen Wacker Burghausen statt. Wie steht es derzeit um Ihre sportliche Aktivität?

Focher: Ziemlich schlecht. Ich müsste mal wieder ein bisschen was machen. (lacht) Ab und zu kicke ich zum Spaß mit Freunden. Hin und wieder kommen auch noch Angebote rein, wenn irgendwo ein Torwart gebraucht wird. Die habe ich bislang aber alle abgelehnt.

SPOX: Eine Rückkehr zwischen die Pfosten ist, egal wo, also nicht denkbar?

Focher: Nicht im Moment. Man soll ja niemals nie sagen, aber es reizt mich einfach nicht mehr. Wie gesagt: Ich hasse den Fußball nicht. Ich habe lange gespielt und war ein klassischer Schulhofzocker. Ich war aber nie besessen davon wie zum Beispiel ein Thorsten Legat. Ich habe auch nie Playstation gespielt wie alle anderen. Dafür hatte ich einfach noch nie etwas übrig. Dennoch war ich natürlich in meinen Mannschaften immer richtig integriert und es war auch eine witzige Zeit. Ich habe den Fußball nie richtig geliebt, aber ich finde es schwer zu erklären, weshalb das so ist. Vielleicht gelingt mir das mit 60 Jahren besser. Klar ist: Mir hat das Profileben nicht mehr gereicht. Ich brauchte anderes Futter.

SPOX: 2004 sind Sie als 14-Jähriger zu Borussia Dortmund gekommen. Wie reflektieren Sie nun Ihre ersten Schritte?

Focher: Es war immer cool, wo wir überall hingefahren sind und wen ich alles kennengelernt habe. Während ich im Tor stand, war ich nie total unglücklich. Ich war von dem, was ich getan habe, in all den Jahren überzeugt. Nach dem Abitur aber merkte ich, dass mir etwas fehlt. Der Fußballeralltag ist plump und ermüdend, ich wollte geistig mehr gefordert werden. Die Gesprächsthemen im Fußball sind meist sehr beschränkt. Es dreht sich hauptsächlich um Fußball, Frauen und Geld. Als ich an die Uni kam, war ich überrascht, welche Unterhaltungen man dort führen kann. Trotzdem bin ich heute für alles, was Borussia Dortmund für mich getan hat, sehr dankbar.

SPOX: Sie sprachen die mangelnde Eigenständigkeit mancher Fußballer bereits an. Holger Badstuber kritisierte kürzlich zu bequeme Jugendspieler. Können Sie ihn verstehen?

Focher: Definitiv. Bei den Bayern wird das Hofieren der Spieler sicherlich noch etwas extremer sein als in Dortmund. Doch auch beim BVB geht es den Jungs echt gut. Bereits als Jugendspieler verdient man ordentliches Geld und in der Schule ist man sowieso der König. Bei mir war das nicht anders. Diese Zeit ist aber meistens endlich, denn nicht viele schaffen den Sprung zu den Profis - und dann fällt der Wechsel ins wirkliche Leben sehr schwer.

SPOX: Weil man zuvor schon so abgehoben ist, dass der Aufprall schmerzhaft ausfällt?

Focher: Irgendwo ist das ja auch normal. In Europa dominiert der Fußball alles. Bereits in der U14 berichten die Medien über einen. Dass da der eine oder andere dann die Nase zu weit oben trägt, ist wohl ein menschlicher Prozess, den man prinzipiell niemandem übel nehmen kann. Jeder will guten Fußball sehen und eine gute Nationalmannschaft haben. Eine hochprofessionelle Jugendarbeit ist da selbstverständlich. Ich kenne aber auch einige Leute, die in jungen Jahren ein kaputtes Knie oder eine kaputte Hüfte davontragen - und die stehen dann mit leeren Händen da.

SPOX: Herr Focher, abschließende Frage: Sind Sie mit sich und Ihrer Entscheidung im Reinen?

Focher: Ja, das bin ich. Mir fehlt der Fußball nicht und es war die richtige Entscheidung. Das überrascht mich manchmal auch selbst und ist dann etwas beängstigend. (lacht) Ich habe aber einfach keinen Grund, dem Fußball hinterher zu trauern, denn dafür ist die Zeit im Moment zu aufregend. Ich bin gespannt, wohin mich meine die Reise noch führen wird.

Johannes Focher im Steckbrief