Nach seiner schwachen vergangenen Saison hat nicht nur BVB-Sportdirektor Michael Zorc eine Leistungssteigerung von Julian Brandt erwartet. Der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund liefert und befindet sich derzeit in Top-Form - wäre ihm zu wünschen, dass ihn die Verletzung aus dem Bayern-Spiel nur kurzfristig stoppt.
"Ich erwarte von ihm eine Leistungssteigerung. Und dass er dieses Potenzial kontinuierlich abruft", sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc Anfang Juli. Würde man den Adressaten zunächst weglassen - jeder, der halbwegs regelmäßig Spiele von Borussia Dortmund schaut, kann nur zu dem Schluss kommen: Zorc muss Julian Brandt gemeint haben.
Der Mittelfeldspieler gehörte nach einer ziemlich verkorksten Vorsaison medial schon zu den möglichen Verkaufskandidaten bei der Borussia, Brandt stand regelmäßig auf ominösen Streichlisten. Doch nicht nur der Autor dieser Zeilen sprach sich dafür aus, Brandt in Dortmund zu halten. Auch im Verein war man sich sicher, dass Brandt der Fußball unter Marco Rose guttun würde.
Und genau so ist es: Brandt ist seit Wochen der beste Dortmunder - weil er endlich einmal konstant abliefert. Dies ist der simple Unterschied zu seinen ersten beiden Spielzeiten in Westfalen, denn da deutete Brandt stets punktuell an, wozu er in der Lage ist. Man wusste es ja ohnehin aus seiner Zeit bei Bayer Leverkusen. Doch beim BVB wechselten sich Licht und Schatten in steter Regelmäßigkeit ab, teilweise sogar innerhalb weniger Sekunden auf dem Spielfeld.
"Sicherlich waren die letzten zwei Jahre sehr turbulent mit guten Phasen und auch mit einer schlechten Saison im letzten Jahr", blickte Brandt kürzlich zurück. Er ist schlau genug zu wissen, woran es ihm in erster Linie mangelt. Am Ball kann er alles, gegen den Ball kann er nur wenig - so könnte man etwas verkürzt das Profil des mittlerweile 25-Jährigen beschreiben.
BVB: Julian Brandt kommt der Rose-Fußball entgegen
Es ist gerade der Pressing-Ansatz in Roses Fußball, der Brandt sehr entgegenkommt. In extremerer Form lernte er den bereits bei Bayer unter Roger Schmidt und Peter Bosz kennen. Rose lässt Brandt auch die Freiheit, weniger starr auf einer festen Position agieren zu müssen. Stattdessen darf er viel rotieren, seine Spielintelligenz ausleben und situativ selbst entscheiden, welche Räume er besetzt.
"Im Spiel ist es gar nicht so positionsbezogen. Es gibt keine richtige Position, auf der du klebst. Ich habe einfach nur Bock, Fußball zu spielen", sagte Brandt, dem es zudem sichtlich geholfen hat, vom ersten Tag der Rose-Amtszeit an mit dabei gewesen zu sein. Der Coach bescheinigte ihm im Sommer dann auch eine "sehr, sehr gute" Vorbereitung.
Körperlich befindet sich Brandt deshalb trotz einer zwischenzeitlichen Corona-Infektion und muskulärer Beschwerden in einem guten Zustand. Nur so ist er in der Lage, die Schwachstelle in seinem Spiel überhaupt ausmerzen zu können - die Bewegungen ohne Ball. Es ist unzweideutig Roses Verdienst, welchen Sprung Brandt in dieser Beziehung im Laufe der aktuellen Saison gemacht hat.
Brandt gehört zu den besten Technikern der Bundesliga
Während Brandt zuvor noch Zweikämpfen beinahe aus dem Weg zu gehen schien, spielt er mittlerweile mit einer deutlich höherer Intensität gegen den Ball und legt dabei vor allem eine ganz andere, konsequentere Körpersprache an den Tag. Das Lethargische ist verschwunden, Brandt hat in Sachen kämpfen und beißen klar zugelegt.
Dadurch nimmt er insgesamt aktiver am Spielgeschehen teil, ist wieder selbstbewusster geworden und kann so seine Fähigkeit mit dem Spielgerät am Fuß besser zur Geltung bringen. Brandt gehört zu den besten Technikern der Bundesliga, in mehreren Partien dieser Saison agierte er mit einer extremen Leichtigkeit und fand fast immer Lösungen auf engstem Raum und unter Druck.
Es ist auch der seit Monaten angespannten Personallage zu verdanken, doch Rose ließ Brandt bereits in 14 von 17 Pflichtspielen von Beginn an auflaufen. Dieser dankte es ihm mit sieben Torbeteiligungen (drei Treffer, vier Vorlagen). Brandt übernimmt nun aber auch mehr Verantwortung und geht voran, wie Rose befindet: "Jule entwickelt über die Spiele ein gutes Gefühl für sich und nimmt Rhythmus auf. Ich glaube, dass er noch besser werden kann, aber wir auf einem richtig guten Weg sind."
Julian Brandt muss jetzt die Wegstrecke verlängern
Die bisherige Wegstrecke ist lang genug, um Brandt derzeit ein solches Zeugnis auszustellen. Sie muss jedoch um einiges verlängert werden, um eine echte Nachhaltigkeit zu entwickeln und schließlich ihn selbst, aber auch Zorc und den BVB zufrieden zu stellen.
Beim Spitzenspiel gegen die Bayern, wo Brandt nach einem guten Laufweg das frühe 1:0 sehenswert erzielte, musste er nach einem schweren Zusammenstoß mit Verletzungen am Kopf vorzeitig ausgewechselt und ins Krankenhaus gebracht werden. Am Sonntag gab Sebastian Kehl Entwarnung: "Er hat eine Gehirnerschütterung erlitten, sonst ist aber alles in Ordnung und es geht ihm nach einer Nacht im Krankenhaus schon wieder deutlich besser", sagte der Leiter der BVB-Lizenzspielerabteilung dem kicker. "Wir sind alle sehr erleichtert, haben Glück gehabt."
Ob Brandt dennoch vorerst ausgebremst wird, ist momentan noch unklar. Bester Beleg für die gestiegene Wertschätzung, die er aktuell beim BVB genießt, war jedenfalls Roses Reaktion unmittelbar nach dem Spiel. Für den zuvor des Feldes verwiesenen Trainer war ein 'Daumen hoch' seines Schützlings "das Wichtigste des Abends".