BVB - Marius Wolf von Borussia Dortmund im Interview: "Es hieß, ich solle lieber eine Ausbildung beginnen"

Jochen Tittmar
02. Februar 202209:00
Marius Wolfimago images
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Zweimal wurde Marius Wolf seit seinem Wechsel zu Borussia Dortmund im Jahr 2018 bereits verliehen. Im dritten Anlauf beim BVB hat sich der 26-Jährige nun als polyvalenter Rollenspieler im Kader etabliert.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Wolf über seinen bisherigen Karriereverlauf und blickt auf sein Aus in der Jugend des 1. FC Nürnberg sowie sein anschließendes Glück beim TSV 1860 München zurück.

Wolf äußert sich zudem zur Degradierung bei Hannover 96, dem über ihm schwebenden Maßstab Eintracht Frankfurt und erklärt, weshalb er positiv auf kreative Kritik bei Twitter reagiert.

Herr Wolf, Sie kommen aus der Nähe von Coburg und waren als Kind häufig Skifahren. Schon als Dreijähriger sind Sie Ihrem ersten Fußballklub, dem VfB Einberg, beigetreten. Hatte Skifahren gegen Fußball denn nie eine Chance?

Marius Wolf: Nein, Skifahren war auf jeden Fall eine Option. Ich bin auch noch sehr lange gefahren, nachdem ich mit dem Fußball begonnen hatte. Mir haben am Ende aber wohl einfach die Berge gefehlt, um das richtig intensivieren zu können. Da gibt's rund um Coburg ja nicht besonders viele. Mittlerweile fahre ich leider gar nicht mehr, allein schon wegen des Verletzungsrisikos. Ich behaupte, dass ich es noch gut genug könnte, aber wenn jemand in mich reinfährt, habe ich ja denselben Salat.

Es soll ein Kindheitstraum von Ihnen sein, einmal in den USA Ski zu fahren.

Wolf: Ja. Den Traum gibt es noch und den werde ich mir auch sehr schnell nach der Karriere erfüllen. Das wollte ich mit meinen Kumpels einfach schon immer mal machen. Wo genau das sein wird, kann ich gar nicht sagen, aber ein kleines, nettes und verschneites Örtchen sollte es schon werden.

Letztlich hat sich der Fußball durchgesetzt. Als Sie elf Jahre alt waren, haben Sie in Ihrer Heimatstadt Rödental gespielt, ab 2006 nebenbei aber auch in einer deutsch-tschechischen Fußballschule. Wie sind Sie dazu gekommen?

Wolf: Ich weiß nicht mehr genau, wie ich dort hineingerutscht bin. Das war ein Projekt, bei dem deutsche und tschechische Kinder gemeinsam kicken, sich austauschen und mit der jeweils anderen Sprache in Berührung kommen sollten. Wir haben zweimal die Woche trainiert, abwechselnd in Hof und in Tschechien, also jeweils unweit der Grenze. Es wurden auch echt coole Reisen unternommen. Einmal sind wir nach Liverpool geflogen, um gegen Everton zu spielen. In Prag und Warschau nahmen wir an prominent besetzten Jugendturnieren teil. Wir haben grundsätzlich oft gegen Jugendteams von Profiklubs gespielt. Das war für mich ein geeigneter Platz, um auf höherem Niveau spielen zu können.

Wie ist es heute um Ihr Tschechisch bestellt?

Wolf: In dem einen Jahr habe ich durchaus einiges aufgeschnappt, aber es war schon einmal besser. (lacht)

Ein B-Junioren-Duell aus dem Jahr 2011: Stuttgarts Joshua Kimmich gegen Nürnbergs Marius Wolf.imago images

Für dieses Team haben Sie auch mal zwei Tore in einem Spiel gegen den 1. FC Nürnberg erzielt, was Ihnen letztlich ein Probetraining beim Club und ab Januar 2008 einen Platz im dortigen Nachwuchsleistungszentrum einbrachte. Dort kickten Sie von der U13 bis zur U17-Bundesliga - und wurden dann 2012 ausgemustert, weil Sie angeblich zu klein und langsam waren. War dies die einzige Begründung?

Wolf: Die physische Komponente war der Hauptgrund. Ich war in der U17 immer noch einer der Kleinsten. Mein Entwicklungssprung in der Hinsicht kam eben etwas später als bei anderen, das erging ja auch nicht nur mir so.

Hatten Sie eine Vorahnung, dass das Urteil gegen Sie ausfallen wird?

Wolf: Im Jugendbereich fanden jedes Jahr nach Saisonende solche Gespräche statt. Ich konnte also theoretisch schon etwas in die Richtung erahnen, aber das will man in dem Alter natürlich auch nicht so richtig wahrhaben und verdrängt es schnell. Es hieß dann, es reiche für mich nicht zum Profi. Ich solle mich anderweitig umschauen und vielleicht lieber eine Ausbildung beginnen. Ich war gerade 17 geworden, das war schon ein harter Schlag.

Sie sind danach ins NLZ von 1860 München gewechselt, wo Wolfgang Schellenberg gerade neuer Leiter geworden war. Schellenberg arbeitete zuvor beim Club, er erinnerte sich an Sie. Haben Sie sich mal überlegt, was mit Ihnen passiert wäre, wenn das nicht so gelaufen wäre?

Wolf: Es gibt ja im gesamten Leben viele solcher Was-wäre-wenn-Situationen. Es gehört manchmal auch schlicht Glück dazu und im Gegensatz zu Nürnberg hatte ich es in dem Fall. Ich hatte zunächst in Ingolstadt mittrainiert, aber das war irgendwie nichts für mich und hatte ehrlicherweise auch nicht das Niveau, das ich aus Nürnberg gewohnt war. Plötzlich kam der Kontakt mit Wolfgang zustande, der mich einfach fragte, ob ich denn nicht zu 1860 kommen möchte. Das war für mich in dem Moment der Jackpot. Die Reputation der Jugendarbeit bei den Löwen ist ja bekannt, zu diesem Gesamtpaket hätte ich niemals nein sagen können. Wolfgang wurde mein Förderer, er hat sich intensiv um mich gekümmert und mir viele Dinge erleichtert. Ihm bin ich wirklich sehr dankbar.

Obwohl Sie damals körperlich noch nicht so weit waren, wurden Sie bei 1860 genauso gefördert wie Julian Weigl und Florian Neuhaus, die einen ähnlichen physischen Rückstand aufwiesen. Das passiert aber bei weitem nicht in jedem NLZ. Ist dies in Ihren Augen ein Problem, dass oftmals keine Geduld vorherrscht mit den Entwicklungssprüngen der Spieler?

Wolf: Absolut. Ich habe schnell gemerkt, dass der Fokus und die Herangehensweise bei 1860 völlig unterschiedlich zu Nürnberg waren. 1860 lebte als Verein auch ganz anders von seiner Jugendarbeit. Wenn du mit 14 einer der Kleinsten bist und gegen einen spielen musst, der fast 1,80 Meter misst, dann hast du im Zweikampf natürlich keine Chance - auch wenn deine fußballerischen Qualitäten vielleicht um einiges höher sind als die des Gegenüber. Bei den Löwen wurde viel intensiver auf den einzelnen Spieler geschaut und nicht so stark auf die Mannschaftsleistung. Die Ausbildung des Einzelnen war wichtiger als das bloße Gewinnen. Und dadurch hat dann wiederum auch die Mannschaftsleistung automatisch gepasst.

Marius Wolf während seiner Zeit beim TSV 1860 München.imago images

Bei den Löwen gaben Sie 2014 mit 19 Ihr Profidebüt. Zwei Jahre später verließen Sie die bayerische Heimat erstmals und wechselten zu Hannover 96. Dort hatten Sie viel Pech: In Ihrem ersten halben Jahr spielten Sie unter Thomas Schaaf noch, als im Sommer 2016 jedoch Daniel Stendel übernahm, wurden Sie zu Saisonbeginn zu den Amateuren geschickt. Zudem waren Sie verletzt und erkrankten dann noch am Pfeifferschen Drüsenfieber. Wie fühlte sich das damals im Vergleich zu jenem Rückschlag vier Jahre zuvor in Nürnberg an?

Wolf: Beim Club habe ich das auf eine andere Weise verarbeitet, ich war ja noch ein Kind. Da hatte ich weniger negative Gedanken. Es war mehr ein: wird schon alles. Bei 96 fing es dagegen schon an, in mir zu arbeiten. Der Verein gab gutes Geld für mich aus, hatte Erwartungen, steckte mich dann aber ohne wirkliche Chance beim neuen Trainer direkt in die zweite Mannschaft. Da war ich erst einmal am Boden zerstört. Dazu war ich erstmals ganz allein in einer fremden Stadt und hatte kaum Bezug zu anderen Leuten. Als Kind lernt man ja schon schneller Freunde kennen, als Profi merkst du dagegen, dass du eher darauf achten solltest, wem du vertraust und wen du an dich heranlässt. Ich saß damals viel allein zu Hause und es ging mir nicht gut. Meine Familie hat mir viel Mut zugesprochen, so dass ich schließlich doch zügig den Entschluss gefasst habe, dass es einfach nichts bringt, jetzt auf einmal aufzugeben.

Gab es Momente, in denen Sie sich zu früh allein fühlten und insgesamt zu schnell erwachsen werden mussten?

Wolf: Klar. Will man es im Fußball nach oben schaffen, ist es unumgänglich, dass man schnell erwachsen werden muss. So ist das System, anders geht es im Grunde gar nicht. Es hat freilich Vor- und Nachteile, wenn man so früh schon selbständig zu sein hat. Ich denke, viele meiner Fehler, die ich alleine und weit weg von zu Hause gemacht habe, wären mir nicht passiert, wenn meine Eltern um mich herum gewesen wären und sozusagen auf mich aufgepasst hätten. Andererseits macht man die Fehler, die andere 26-Jährige begehen, nicht selbst mit 26, weil man sie schon ja mit 18 begangen hat. (lacht)

Marius Wolf: Die Leistungsdaten seiner Profikarriere

VereinPflichtspieleToreTorvorlagen
TSV 1860 München (2014-2015)4455
Hannover 96 (2016-2017)2--
Eintracht Frankfurt (2017-2018)38611
Borussia Dortmund (seit 2018)441-
Hertha BSC (2019-2020, Leihe)2315
1. FC Köln (2020-2021, Leihe)3523

Auch hier zeigte sich, wie nah Glück und Pech beieinander liegen: Sie wähnten sich schon beim VfL Bochum, ehe Sie in letzter Minute ein Leih-Angebot von Eintracht Frankfurt bekamen und dort im Januar 2017 unterschrieben. In den eineinhalb Jahren am Main gelang Ihnen der Durchbruch in der Bundesliga inklusive des Gewinns des DFB-Pokals 2018. Seitdem sind Ihre damaligen Leistungen der Maßstab an Sie in der öffentlichen Wahrnehmung.

Wolf: So ist es leider, die Zeit in Frankfurt schwebt bei mir immer ein bisschen mit. Es ist irgendwo auch normal, dass das gerade medial weiter befeuert wird, wenn man wie ich solch ein super Jahr gespielt hat.

Würden Sie sagen, es fehlt Ihnen heute etwas, um der Marius Wolf von damals zu sein?

Wolf: Ich verstehe die Versuchung, aber es ist sinnlos, dahingehend Vergleiche zu ziehen. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Als ich nach Frankfurt kam, hat im Grunde niemand irgendetwas von mir erwartet. Dann spielst du plötzlich gut, bekommst einen Lauf und es erwartet immer noch keiner etwas von dir. Wenn du ein paar schlechtere Spiele machst, heißt es, das kann eben passieren, der ist ja noch jung. Jetzt ein paar Jahre später mit mehr Erfahrung auf dem Buckel hat man diesen Bonus nicht mehr. Beim BVB ist die Situation daher eine ganz andere.

Marius Wolf nach dem DFB-Pokalsieg 2018 mit Eintracht Frankfurt.imago images

Ist denn der Marius Wolf von heute besser als der aus Frankfurt?

Wolf: Ich bin heute fußballerisch auf jeden Fall besser. Mit 22, 23 konnte ich ja gar nicht so weit sein, das war damals quasi meine erste volle Bundesligasaison. Ich würde sagen, dass ich mich seitdem in vielen einzelnen Bereichen deutlich verbessert habe. Es wäre ja auch tragisch, wenn es diese Entwicklung nicht gegeben hätte und ich immer noch auf dem Stand von 2018 wäre.

Apropos öffentliche Wahrnehmung: Sie "liken" auf Twitter in unregelmäßigen Abständen Beiträge, die eigentlich gegen Sie gerichtet sind und Sie kritisieren. Was steckt dahinter?

Wolf: Ich scrolle dort ab und zu mal durch und lese etwas mit. Ich lasse jedem seine eigene Meinung, damit habe ich kein Problem. Manchmal wird die Kritik ja auch vielleicht kreativ und nicht stumpf vorgetragen, dann gefällt mir das bisweilen auch. Und dann gibt's halt ein Like - auch, weil ich den Gedanken lustig finde, dass dies dann den Urheber etwas irritiert, weil er bestimmt nicht damit rechnet.

Sie waren seit jeher ein schlaksiger Typ. In der Zeit bei der Eintracht begannen Sie mit dem privaten Fitnesstrainer Yannick Obenauer zusammenzuarbeiten. Was gab den Ausschlag, ihn dazu zu holen - vielleicht die Schulter-Verletzung, die Sie das Pokalfinale 2017 verpassen ließ?

Wolf: Das war gewiss mit ein Grund. Ich bekam den Tipp von meinem Berater. Ich habe dann im Sommer auf Urlaub verzichtet und mit Yannick Vollgas gegeben. Ich weiß noch, wie der Arzt nach der OP meinte, dass ich nach zwölf Wochen wieder mit lockerem Laufen beginnen kann. Letztlich habe ich nach zwölf Wochen schon Mannschaftstraining absolviert. Seitdem arbeiten wir zusammen und haben das Training auf den gesamten Körper ausgeweitet. Mir wurden ein wenig die Augen geöffnet, dass das auch bei einem Körpertypen wie mir so fruchten kann.

Wo haben Sie sich überall verbessert?

Wolf: Antritt, Sprungkraft, Oberkörper, Stabilität - eigentlich in allen Bereichen, die wir abdecken. Ich bin schwerer und muskulöser geworden. Am meisten und sehr schnell habe ich das gemerkt, weil ich deutlich stabiler im Zweikampf wurde und nicht mehr so leicht an den schweren Jungs abgeprallt bin. Es war in Frankfurt grundsätzlich sehr wichtig für mich und meine Karriere, in der Hinsicht zu arbeiten und diesen Sprung auch zu machen.

Dabei sagte noch Ihr ehemaliger Trainer bei den Löwen, Ricardo Moniz, einst zu Ihnen: "Du bist ein fauler Drecksack, aber ein super Fußballer."

Wolf: Da wurde ich im ersten Moment auf dem falschen Fuß erwischt und hatte nicht mit so etwas gerechnet. Er hat mich damit echt ins Grübeln gebracht. Abends saß ich daheim und habe darüber nachgedacht. Ich habe es mir dann zu Herzen genommen und fand es auch gut, dass er mir das so deutlich und direkt ins Gesicht sagte. Es hörte sich zunächst nicht so an, aber ich habe das ziemlich schnell als positive Aussage wahrgenommen.

Wenn man sich im Umfeld der Mannschaft des BVB über Sie umhört, werden unter anderem folgende Attribute genannt: sehr beliebt, Arbeitertyp, ist in der Lage, Gruppen zu verbinden. Was denken Sie, was mit Letzterem gemeint sein könnte?

Wolf: Ich bin jemand, der sich mit recht vielen Leuten gut versteht. In der Kabine hatte ich noch nirgends Probleme. Das ist einfach mein Naturell, würde ich sagen. Ich äußere meine Meinung klar und direkt, daher hatte ich auch mit dem Satz von Ricardo Moniz keine Probleme. Und das mögen die Leute, denke ich.

Nach zwei Leihen zu Hertha BSC und dem 1. FC Köln hat Ihr dritter Neuanfang beim BVB nun gefruchtet: Sie sind zwar kein Stammspieler, aber deutlich häufiger als polyvalenter Rollenspieler gefragt als zuvor in Dortmund. Wenn man bedenkt, wie oft Ihre Karriere schon vor einem Knick stand: Haben Sie sich wegen Ihres Talents oder des Trainings in der Bundesliga etabliert?

Wolf: Es muss am Ende eine Mischung aus beidem sein, aber ich gebe gerne zu: Mein Wille ist sicher größer als mein Talent. (lacht) Ich habe durch die unterschiedlichen Erfahrungen, die Aufs und Abs, die ich in meiner bisherigen Laufbahn erlebt habe, auf jeden Fall gelernt, meinen Willen gewinnbringend einzusetzen.

Stimmt es eigentlich, dass Sie sich seit Ihrem16. Lebensjahr auf dem Handy vor jedem Spiel zur Motivation ein Video von Cristiano Ronaldos Toren und Tricks anschauen?

Wolf: Ja. Das habe ich sehr lange gemacht. Mir sind dann aber die Videos ausgegangen, irgendwann nach meinem Abgang aus Frankfurt. Seitdem schaue ich mir andersartige Motivationsvideos an, da kann dann auch mal Kampfsport vorkommen oder Reden, die einen pushen können. Ich brauche das einfach, um vor den Spielen in die richtige Stimmung zu kommen.

Sie besitzen in Dortmund noch einen Vertrag bis 2024. In dieser Saison haben Sie bisher 21 Pflichtspiele absolviert, neun Mal davon standen Sie in der Startelf. Wie blicken Sie in die Zukunft, wollen Sie künftig mehr Spielanteile bekommen?

Wolf: Ich kann mit meiner Spielzeit in dieser Saison nicht unzufrieden sein. Es ist in einem Verein wie dem BVB und auch bei einem Spielertypen wie mir in meinen Augen normal, dass häufiger rotiert wird und man mal mehr und mal weniger spielt. Ich versuche, Gas zu geben, um auf meine Minuten zu kommen. Daran ändert sich nichts, ob ich am Ende zwei oder 90 Minuten spiele. Ich habe es mir abgewöhnt, großartig in die Zukunft zu schauen - auch weil ich bisher nichts von dem vorhersagen konnte, was mir in meiner Karriere alles schon passiert ist.